Borussia Dortmund ist schon lange kein Bayern-Jäger mehr, sondern nur noch eine Mannschaft unter vielen in der Bundesliga. Die Fehlerkette des BVB in den letzten Jahren ist lang, der Weg zurück an die Spitze schwierig. Immerhin gibt es die ersten richtigen Personalentscheidungen. Die größten Baustellen stehen den Verantwortlichen aber noch ins Haus.

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Es war einmal ein Spitzenspiel, auf das vor knapp fünf Jahren die ganze Welt blickte.

Borussia Dortmund gegen den FC Bayern war der deutsche Straßenfeger, das Finale von Wembley eine globale Angelegenheit. Die beiden besten deutschen Mannschaften auf Augenhöhe im Endspiel der Königsklasse: Mehr ging nicht.

Am vergangenen Samstag hat die immer noch beste deutsche Mannschaft zwar Borussia Dortmund empfangen, aber nicht mehr ihren großen Rivalen. Das für die Bayern eigentlich nahezu bedeutungslose Spiel wurde zu einem Inferno für den BVB, zu einer nicht für mögliche gehaltenen Demütigung.

Und hätten die Bayern nicht eine gute Portion Anstand gezeigt und in der zweiten Halbzeit drei Gänge zurückgeschaltet - es wäre durchaus auch ein zweistelliges Ergebnis möglich gewesen.

Die Partie in München dürfte auch dem letzten Tagträumer die Augen geöffnet haben. Borussia Dortmund ist auf dem besten Weg in die größte Krise der letzten zehn Jahre - oder vielleicht schon längst dort angekommen.

Es stimmt überhaupt nichts mehr in jenem Klub, der vor einigen Jahren noch die Bundesliga beherrscht und die Bayern vor sich hergetrieben hat. Weder in der Mannschaft, noch im Führungsgremium, und seit geraumer Zeit auch unter den Fans.

Watzke und Zorc im Fokus

Die Tatsache, dass der BVB international gesehen ein Verkäufer-Klub ist, dass er in schöner Regelmäßigkeit seine besten Spieler ziehen lassen muss - nicht wenige davon zu den Bayern - ist eine mögliche Erklärung.

Andererseits ist das Problem kein neues und wurde in vielen Jahren zuvor durch eine geschickte Einkaufspolitik kompensiert und in wirtschaftlicher Hinsicht sogar äußerst rentabel genutzt. Trotzdem hängt der BVB in den Seilen und bangt um die sehr wichtige Teilnahme an der kommenden Champions-League-Saison.

Es gibt nicht wenige, die den steilen Niedergang mit der Personalie Thomas Tuchel verbinden. Dessen Streit mit Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Bus vor gut einem Jahr war wie ein Brandbeschleuniger für eine ohnehin schon zerrütteten Gemeinschaft.

Ob nun Tuchel oder Watzke der größere Anteil an der Malaise gehört, ist für das Kernproblem kaum relevant. Dass Watzke aber zwischenmenschliche Gründe für die Trennung anführt, ist zumindest bemerkenswert.

Der Geschäftsführer und sein Sportdirektor Michael Zorc geben seit dem Anschlag kein besonders gutes Bild ab.

Dem Theater um Tuchel und dessen unwürdigen Rauswurf folgte die Komödie um Ousmane Dembélé. Dazwischen waren Watzke und Zorc felsenfest von Peter Bosz als neuem Trainer einer erfolgreichen Ära überzeugt.

Bosz hielt sich aber keine sechs Monate. Von Pierre-Emerick Aubameyang wurden Watzke und Zorc wochenlang genarrt, am Ende setzte sich auch hier der Spieler gegen den Klub durch.

Es folgten ein paar scharf formulierte Lippenbekenntnisse der Granden, vornehmlich an den Rest der Mannschaft gerichtet. Was diese mittlerweile noch wert sind, haben die Spiele und Ergebnisse der letzten Wochen aber mit Nachdruck gezeigt.

Zorc und Watzke werden weichen

Dass Watzke erst neulich noch für den aktuellen Trainer Peter Stöger getrommelt und ihm eine Anstellung über den Sommer hinaus in Aussicht gestellt hatte, erscheint nach den Blamagen gegen Salzburg in der Europa League und dem fürchterlichen 0:6 von München aber wie ein schlechter Witz.

Immerhin haben Watzke und Zorc erkannt, dass sie mit der Lösung dieses Berges an Problemen überfordert sind und holen sich externe Hilfen ins Haus. Matthias Sammer als Berater und Sebastian Kehl als Scharnier zwischen Mannschaft, Trainerteam und Führungsetage sind kluge Entscheidungen.

Michael Zorc plant nach Informationen des "Kicker" nach Ablauf seines soeben bis 2021 verlängerten Vertrags den Rückzug vom Posten des Managers, Kehl soll als Zorcs Nachfolger aufgebaut werden.

Watzke will sich laut "Kicker" nach Ablauf seines Vertrages am Jahresende 2022 ebenfalls aus dem operativen Geschäft zurückziehen und den dann 76 Jahre alten Reinhard Rauball als Präsident ablösen.

Darüber hinaus gibt es Gerüchte über eine Rückholaktion des ehemaligen Chefscouts Sven Mislintat. Mislintat war erst im Winter zum FC Arsenal gewechselt.

Der BVB holt sich mit Sammer, Kehl und womöglich Mislintat über die Jahre wieder eine gute Portion Dortmunder DNA in den Klub zurück. Das muss noch nicht sofort für den großen Umschwung sorgen, dürfte aber für positive Impulse sorgen.

Für kurzfristig erfolgreiche Planungen genügen die Personalien im Hintergrund aber noch lange nicht. Stöger wird jetzt entgegen Watzkes Plänen von vor wenigen Wochen doch im Sommer gehen müssen. Der BVB hat dann innerhalb eines Jahres drei Trainer verschlissen, die drei völlig konträr zueinander definierte Spielausrichtungen verfolgten.

Die Mannschaft hat ihren originären Charakter längst verloren, Spiele gewinnt der BVB durch die individuelle Klasse seiner Einzelspieler und nicht als Mannschaft.

Favre ist angeblich Top-Kandidat beim BVB

Ein neuer Trainer mit einer tragfähigen Philosophie muss her. Einer, der eine Mannschaft neu aufbauen und entwickeln kann, ihr ein Gesicht und eine frische Identität verpassen kann. Eventuell Lucien Favre?

Am Schweizer, der derzeit beim französischen Erstligisten OGC Nizza unter Vertrag steht, hat der BVB nach dpa-Informationen großes Interesse.

Favres Berater Reza Fazeli wollte das Thema jedoch nicht kommentieren. "Zur Situation von Klienten, die noch Vertrag haben, werde ich mich bis zum Saisonende nicht äußern", sagte er.

Wer auch immer bald auf dem Trainerstuhl der Borussia Platz nehmen wird: Auch der beste Trainer wird mit einer Ansammlung farblose Charaktere wenig anfangen können.

Und diesen Anschein vermittelt das Gebilde, das sich einmal eine "Mannschaft" nennen durfte. Den Dortmunder Kader, so wie er sich derzeit darstellt, zu entkernen und neu auszurichten, wird die ganz große Aufgabe der neuen sportlichen Leitung.

Ein "Weiter so" kann es nach historisch unterirdischen Leistungen in dieser Saison wie der zweiten Halbzeit beim 4:4 gegen Schalke, nun beim Desaster von München, aber auch bei den beiden Spielen gegen Salzburg einfach nicht geben.

Der BVB wird sich von einigen verdienten Spielern trennen müssen, wenn ein echter Neustart erfolgen soll. Das wird wehtun, aber andernfalls wird sich kaum etwas ändern. Extreme Bedingungen erfordern manchmal eben auch extreme Maßnahmen.

Der BVB benötigt neue Ideen und Impulse in allen Bereichen. Vielleicht gibt es dann in naher Zukunft wieder eine Partie auf Augenhöhe mit den Bayern. Oder sogar eine ganze Saison, in der der BVB mit dem Rekordmeister wenigstens einigermaßen mithalten kann.

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