Im verrückten Spiel des BVB gegen Schalke 04 leistet sich der starke Schiedsrichter Deniz Aytekin nur einen erwähnenswerten Fehler. In Augsburg gibt es wieder Diskussionen über den Videobeweis – und eine überraschende Äußerung des Unparteiischen dazu.

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Das denkwürdige Revierduell zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 (4:4) wird nicht nur den Spielern, Trainern, Funktionären und Fans noch lange im Gedächtnis bleiben. Auch Schiedsrichter Deniz Aytekin dürfte die Begegnung so schnell nicht vergessen.

Denn in dieser irren Partie hatte er eine Menge schwieriger Entscheidungen zu treffen, die gleichzeitig Einfluss auf den Spielverlauf nahmen und deshalb Stoff für Diskussionen bargen.

Dass der Unparteiische trotzdem keineswegs im Mittelpunkt der Debatten stand, lag nicht zuletzt an seiner souveränen Art der Spielleitung. Der 39-Jährige verstand es schon durch seine unaufgeregte Körpersprache und seine unerschütterliche Ruhe, sich Akzeptanz zu verschaffen.

Warum Aubameyangs Hand-Tor regulär war

So gab es beispielsweise gegen den Führungstreffer des BVB nach zwölf Minuten kaum Proteste vonseiten der Schalker, obwohl Pierre-Emerick Aubameyang das Tor mit seiner rechten Hand erzielt hatte.

Vorausgegangen war ein Schussversuch von Nuri Sahin; der Ball landete beim heranrauschenden Aubameyang, der ihn aus kurzer Distanz ins Gehäuse der Gäste zu drücken versuchte. Der Schalker Torhüter Ralf Fährmann wehrte die Kugel ab.

Sie sprang dem Dortmunder Stürmer, der sich immer noch in der Rutschbewegung befand, an den Fuß und von dort an die Hand, bevor sie schließlich im Tor landete. Das alles spielte sich in Sekundenbruchteilen ab.

Nun könnte man der Auffassung sein, dass ein mit der Hand oder dem Arm erzielter Treffer grundsätzlich nicht zählen sollte. Doch rein regeltechnisch betrachtet gab es keinen Grund, Aubameyangs Tor nicht anzuerkennen.

Denn von den Kriterien, die zur Beurteilung der alles entscheidenden Frage herangezogen werden, ob das Handspiel absichtlich erfolgte, traf keines zu.

Aubameyang hatte mit seiner Hand keine Bewegung zum Ball unternommen, die Armhaltung war auch nicht unnatürlich, sondern ganz normal. Die Reaktionszeit war sehr gering, die Körperfläche wurde nicht vergrößert, erst recht nicht in unsportlicher Absicht. Damit war der Treffer regulär.

Kehrers Glück ist Aytekins einziges Manko

Die rustikale Grätsche des Schalkers Thilo Kehrer gegen Sahin nach 21 Minuten nur mit einer Verwarnung zu ahnden, ging ebenfalls in Ordnung. Denn der Dortmunder wurde nur am Fuß getroffen, das Vergehen war zwar rücksichtlos, aber trotz seiner Dynamik nicht gesundheitsgefährdend brutal.

Als sich Kehrer in der 40. Minute ein weiteres, ähnlich gelagertes Foul gegen Andriy Yarmolenko leistete, dürfte er allerdings selbst überrascht gewesen sein, nicht Gelb-Rot zu sehen. Hier dehnte der Schiedsrichter seinen Ermessensspielraum zu weit aus.

Konsequent war er hingegen auf der anderen Seite nach 72 Minuten bei der völlig korrekten Gelb-Roten Karte gegen Aubameyang, der Amine Harit durch ein Beinstellen von hinten zu Fall gebracht hatte.

Das unterschiedliche Maß im Vergleich zu Kehrers Vergehen war Aytekins einziges Manko an diesem Tag. Gonzalo Castros eher unglücklichen als brutalen Tritt in die Hacken von Harit bei einem Laufduell in der 80. Minute nur mit einer Verwarnung zu bestrafen, war jedenfalls angemessen.

Ebenso die Nachsicht gegenüber dem bereits verwarnten Sokratis bei dessen übertrieben wehleidiger Reaktion auf ein Foulspiel von Yevhen Konoplyanka neun Minuten später. Eine weitere Gelb-Rote Karte für den BVB wäre hier übertrieben gewesen.

Wieder Streit um den Videobeweis

In Augsburg gab es unterdessen beim Spiel gegen den VfL Wolfsburg (2:1) wieder einmal Aufregung über den Videobeweis, mit dessen Hilfe Schiedsrichter Tobias Stieler zweimal eine Entscheidung korrigierte.

Zunächst nach acht Minuten, als er Maximilian Arnold für ein Foul an Alfred Finnbogason erst verwarnte, den Wolfsburger schließlich jedoch nach Rücksprache mit dem Video-Assistenten Tobias Welz und der selbstständigen Prüfung der Bilder in der Review Area wegen einer "Notbremse" des Feldes verwies.

Und nach einer Stunde, als der Referee nach einem Zweikampf zwischen dem Wolfsburger Torwart Koen Casteels und dem Augsburger Caiuby auf Elfmeter für die Hausherren entschied, den Strafstoß jedoch nach einer weiteren Rücksprache mit der Video-Zentrale in Köln zurücknahm.

Einerseits gab es gute Gründe für diese Korrekturen. Denn dass Finnbogason ohne Arnolds Foul aufs Tor zulaufen und nicht mehr am Abschluss aus erfolgversprechender Position hätte gehindert werden können, ist wahrscheinlich. Casteels wiederum traf zuerst klar den Ball und erst danach Caiuby.

Andererseits kann man argumentieren, dass sich Finnbogason angesichts heraneilender Wolfsburger Verteidiger vielleicht für einen schnellen, nicht so aussichtsreichen Schuss vom Strafraumeck entschieden hätte und dass Casteels bei seinem riskanten Einsatz nun mal nicht bloß den Ball getroffen, sondern auch Caiuby abgeräumt hat.

Darüber, ob wirklich glasklare Fehler vorlagen, die den Video-Assistenten ins Spiel bringen mussten, lässt sich also streiten.

Schiedsrichter bitte oft selbst um Hilfe

Bekanntlich soll der Video-Assistent nur bei glasklaren Fehlern eingreifen. Der Punkt ist allerdings: Er hat es in Augsburg gar nicht von sich aus getan, vielmehr hat der Schiedsrichter ihn um seine Einschätzung gebeten. Das sei "in 90 Prozent der Fälle so", sagte Stieler dem "Kicker".

In der Theorie mag das kein Unterschied sein – schließlich soll der Video-Assistent im einen wie im anderen Fall nur dann eine Änderung der Entscheidung empfehlen, wenn er eine eindeutige Fehlentscheidung feststellt.

In der Praxis aber lässt die explizite Bitte des Unparteiischen um Prüfung der Bilder auf eine gewisse Unsicherheit bei einer schwerwiegenden Entscheidung schließen, was offenbar häufiger vorkommt, als zu vermuten war.

Das wiederum wird den Helfer vor den Monitoren in Köln nicht kalt lassen – und in Zweifelsfällen dazu führen, dem Referee zum Gang in die Review Area am Spielfeldrand zu raten.

Was ein eindeutiger Fehler ist, ist nicht immer eindeutig

Eine Empfehlung, die weniger wahrscheinlich ist, wenn der Schiedsrichter sich seiner Sache sicher ist und deshalb nicht um Hilfe ersucht – schließlich liegt die Entscheidungshoheit bei ihm.

Hätte Tobias Welz auch ohne Stielers Bitte zweimal interveniert? Das ist fraglich. Sicher ist dagegen, dass es Stimmen gegeben hätte, die im Falle einer Nichteinmischung lautstark bemängelt hätten, dass der Video-Assistent sich trotz einer "klaren Notbremse" und eines "völlig unberechtigten Elfmeters" nicht eingeschaltet hat.

Denn was ein eindeutiger Fehler ist, ist eben keineswegs immer eindeutig. Und das bleibt das zentrale, vielleicht unlösbare Problem beim Einsatz des Videobeweises.

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