Wann fährt endlich eine Frau in der Formel 1? Was muss passieren, damit die Königsklasse weiblicher wird? Warum dauert es so lange und welche Chancen hat Sophia Flörsch? Darüber haben wir uns mit Monisha Kaltenborn unterhalten. Sie war die erste Teamchefin in der Formel 1 und weiß, auf was es im Macho-Business und Haifischbecken Königsklasse ankommt.

Ein Interview

Wer ist eigentlich der Formel-1-Held Ihrer Kindheit?

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Monisha Kaltenborn: Es gibt keinen bestimmten Helden. Die Formel 1 hat mich als Kind aber sehr interessiert. Und dafür gibt es zwei Gründe. Der eine war, weil sie meinen Vater so interessierte und ich ein Einzelkind bin. Und der zweite Grund war die Berichterstattung zu der Zeit in Österreich. Schließlich gab es einige sehr erfolgreiche österreichische Rennfahrer wie Niki Lauda oder Gerhard Berger und dazu auch den legendären Kommentator Heinz Prüller. Daher war die Formel 1 immer ein sehr präsentes Thema.

Später sind Sie auch beruflich eingestiegen. Was war die Faszination, die der Sport auf Sie ausübte?

Die Faszination besteht für mich nach wie vor aus der Kombination aus dem Sportlichen und dem Technischen. Einen tiefen Einblick bekam ich, als ich bei der Fritz-Kaiser-Gruppe war, die Mitanteilseigner des damaligen Sauber-Teams war. So konnte ich erkennen, dass die Rennen eigentlich nur ein ganz kleiner Teil des ganzen Geschäfts sind. Fast wichtiger ist alles, was davor und danach passiert sowie das ganze Business dahinter.

Als Sie 2012 Sauber-Geschäftsführerin wurden – wie sehr hat Sie das selbst überrascht?

In der damaligen Situation nicht, denn das hat sich zum Teil auch durch meine Tätigkeiten auf Management-Ebene und durch die Entwicklung des Teams so ergeben. Ich war bereits in der Geschäftsleitung und der nächste logische Schritt war der zur Geschäftsführerin. Natürlich hat es die Außenwelt sehr überrascht, weil man nicht an eine Frau gedacht hat.

Wie viele Nächte mussten Sie darüber schlafen, als Ihnen der Job angeboten wurde?

Ich hatte gar keine Zeit dafür, denn das Team war damals in einer sehr schwierigen Situation. BMW wollte nicht mehr weitermachen und wir wollten natürlich, dass das Team weiterlebt. Die Einigung wurde sehr spät in der Nacht getroffen und eigentlich war es eher eine rhetorische Frage an mich. Ich habe gar nicht groß darüber nachgedacht. Hätte ich das, hätte ich unter den Prämissen, die bestanden - kein Auto, kein Geld, kein Platz in der nächstjährigen WM – wohl Nein gesagt. Aber Peter Sauber und ich haben zusammen für das Überleben des Teams gekämpft.

Sie waren die erste Frau in einer Führungsposition in der Formel 1. Wie waren die Reaktionen damals, im Fahrerlager, im Team, in den Medien?

Im Team und im Umfeld des Teams war es eigentlich für alle klar und nichts Besonderes. Wir haben mit dem Pressesprecher damals Argumente vorbereitet und es waren ganz viele Fragen drin, nur nicht der Fakt, dass ich die erste Frau als Teamchefin bin. Das haben wir nicht auf dem Schirm gehabt, da es für uns eigentlich klar war, dass das überhaupt kein Thema ist. Und das war von den Medien dann die erste Frage. Wir hatten viele Antworten, nur nicht die, ob das jetzt etwas Besonderes sei. Interessant war auch: Mir wurden lange keine Fragen zu technischen Dingen gestellt.

"Das war eine faszinierende, aber auch fordernde Welt."

Wie herausfordernd war es damals generell als Frau?

Die Verunsicherung, die Unsicherheit bestand eher rund um das Team. Ob wir überleben werden. Die meisten Medien haben sich darauf fokussiert und sie haben meine Personalie auch durchaus positiv gesehen. Natürlich gibt es immer ein, zwei Medien, die es zum Aufhänger machen und einen dann auch viel strenger beurteilen, weil man eine Frau ist.

Wie sexistisch war die Formel 1, wie schlimm waren die Sprüche, wie nervig die Machos?

Ich habe das nicht so wahrgenommen. Man weiß, dass es so ist und in welche Welt man sich hineinbegibt. Und ich kann auch nicht sagen, dass ich Szenen erlebt habe, die darauf zurückzuführen sind, dass es ein Macho-Business ist. Wie gesagt: Vor allem im Medienbereich wurde teilweise mit anderen Maßstäben gemessen. Es ist aber heute noch so, dass in vielen männerdominierten Berufen je nach Geschlecht andere Maßstäbe angesetzt werden. Als Frau gilt es dann, damit souverän umzugehen.

Wie kompliziert war die Formel 1 grundsätzlich? Sie gilt ja nicht umsonst als Haifischbecken ...

Die Formel 1 hat aufgrund ihrer kommerziellen Dimension ihre eigenen Mechanismen und Regeln. Es gab ganz starke Akteure wie Chefpromoter Bernie Ecclestone oder FIA-Präsident Max Mosley. Die Teams waren ganz anders geprägt als heute, mit anderen Persönlichkeiten. Da muss man wissen, mit wem man welche Allianzen schließt. Man muss mit der Zeit lernen, sich auf diesem Eis zu bewegen. Das war eine faszinierende, aber auch fordernde Welt.

Wie oft sind Sie ausgerutscht auf dem Eis?

(lacht) Das passierte immer wieder, aber nie so, dass das Eis gebrochen ist.

Was hat Sie nach der Amtsübernahme am meisten überrascht?

Dass diejenigen, die die Formel 1 eher oberflächlich betrachtet und verfolgt haben, überrascht waren, dass eine Frau so eine Funktion ausübt. Die haben dann oft, wenn ein Mann mit dabei war, gedacht, dass der auch der Chef sein muss.

Unterm Strich: War die Formel 1 bereit für eine Frau in einer Führungsposition?

Ich denke schon. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich an irgendwas nicht herankomme, weil ich eine Frau bin oder dass ich nicht ernst genommen werde. Die wichtigen handelnden Personen waren absolut bereit dafür. Was mich eher wundert, ist, dass seitdem nicht viel passiert ist, dass nicht viele Frauen in höheren Positionen arbeiten. Auf der technischen Seite ist mehr passiert. Aber man hat immer noch nicht das Gefühl, dass die Türen für Frauen offenstehen. Es muss aber natürlich auch das Interesse auf der anderen Seite bestehen.

Woran liegt das?

Das hat sehr viele Gründe. Ich glaube, dass es generell in allen männerdominierten Berufen für eine Frau schwieriger ist. Dann kommt hinzu, dass das Interesse bei Frauen für diese Materie nicht so groß ist. Da muss man ansetzen: Man muss es attraktiver für Frauen machen. Und wenn wir es auf die Fahrerinnen beziehen: Die Förderung ist noch nicht so wie bei den Jungs, und das beginnt bereits zu Hause. Die Jungs bekommen von zu Hause eine ganz andere Einstellung mit als das Mädchen. Und dann bleibt die Karriere auch trotz des Talents oft früh auf der Strecke.

"Man sieht mehr Frauen an der Boxenmauer, mehr Frauen in den Teams, und das ist gut."

Mussten Sie als Frau immer mehr leisten als Männer in der Formel 1?

Ja, und das ist immer noch so. Man muss mehr leisten, um annähernd dieselbe Anerkennung zu bekommen. Und wenn Kritik geübt wird, wird man sehr schnell für alles verantwortlich gemacht. Zum Teil ist der Umgang auch unfairer. Wenn das Auto früher gut war, dann war es der technische Direktor. Wenn das Auto schlecht war, wurde das gerne mal dem Teamchef in die Schuhe geschoben. Das stimmt beides nicht, denn es ist nie nur die Leistung einer Person, es ist eine Teamleistung. Aber man wird als Frau härter angepackt. Aber das weiß man und damit muss man lernen umzugehen.

Würden Sie rückblickend etwas anders machen, bereuen Sie etwas?

Wenn überhaupt, dann hätte ich vielleicht gewisse Dinge nicht so nah an mich heranlassen sollen, wie ich es getan habe. Ich kann mit Kritik gut umgehen. Aber wenn es unfair oder polemisch wird, dann kann ich es rational erst einmal nicht nachvollziehen. Ich habe da einen Lernprozess durchgemacht. Vielleicht hätte der schneller gehen sollen. Aber ansonsten glaube ich, dass ich gar nicht viel anders hätte machen können.

Wie sehr hat sich die Formel 1 bei den Themen Diversität und Gleichstellung gebessert?

Man sieht mehr Frauen an der Boxenmauer, mehr Frauen in den Teams, und das ist gut. Das zeigt ja auch, dass man in die richtige Richtung geht. Ich glaube, dass jetzt noch viel mehr kommen muss. Auch wenn man nicht alles auf die Fahrer reduzieren sollte, sind sie die Stars. Und da ist es wichtig, dass mal eine Frau kommt. In dem Zusammenhang muss das generelle Interesse von Mädchen für den Sport geweckt werden. Und wichtig wäre es, wenn die jungen Fahrer die Mädchen bewusst ansprechen und sie bestätigen, ermuntern, diesen Weg einzuschlagen. Die junge Generation denkt nicht mehr so in Geschlechtern. Das heißt, ein junges Mädchen wird als Vorbilder auch männliche Helden haben und sich nicht auf Frauen reduzieren lassen.

Wann fährt denn endlich die erste Frau in der Formel 1?

Das kann ich nicht sagen. Die Zeit ist schon lange reif dafür. Das Problem ist, dass die Gruppe an potenziellen Fahrerinnen noch so klein ist. Was auch fehlt: Dass man ganz klar mit der Einstellung herangeht wie bei einem jungen Mann, durch die Nachwuchsklassen nach oben, mit dem klaren Ziel Formel 1. Dieser konsequente Weg wurde noch nicht eingeschlagen, weil die Förderung dafür noch fehlt.

Was ist denn das Problem? Ist es das Geld? Fehlender Mut? Nicht genug Aufgeschlossenheit? Fehlendes Talent wird es ja nicht sein …

Die Formel 1 hat ein Interesse daran. Sie ist absolut reif dafür. Der Mut fehlt. Denn Geld kann man finden. Talent ist da, es gibt doch keinen Grund, dass eine Frau mit Talent auf dem Niveau nicht mitfahren kann. Sie werden auch Unternehmen finden, die das mit aufbauen. Sie werden auch Personen finden, die konsequent ein Programm durchziehen können. Es ist der Mut, der fehlt.

Sie selbst haben Simona de Silvestro und Tatiana Calderon als Testfahrerinnen zu Sauber geholt. Das sind sehr talentierte Frauen. Warum haben sie es nicht geschafft?

Wir wollten die Plattform bieten und diesen Mut haben. Simona de Silvestro haben wir so weit gebracht, dass sie damals die A-Lizenz hätte beantragen können. Es gab dann in ihrem Umfeld Umstände, warum das nicht passiert ist. Und bei Tatiana Calderon hat schlussendlich auch der Mut gefehlt, dass man daran festhält und es durchzieht, auch wenn es einen Rückschlag gibt. Es gibt viele Fahrer in der Formel 1, die vorher nicht alle Meisterschaften gewonnen haben. Man hat diesen Fahrern vertraut, man hat den Mut gehabt. Und dann ist es halt nicht der Titel geworden, aber trotzdem geht der Fahrer in die Formel 1. Und das fehlt bei den Frauen.

Es gibt viele Initiativen, eigene Rennserien wie die F1 Academy, Förderprogramme. Sind da sinnvolle Dinge dabei und wie sehr hilft das wirklich?

Ich glaube, dass alles, was man da machen kann, hilft, denn es schafft mehr Aufmerksamkeit. Und es ist eine Plattform, damit man weitere Schritte gehen kann. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass man nicht getrennte Serien haben muss. Aber je mehr man bieten kann, desto besser ist es, um die Anzahl an Frauen zu erhöhen.

Mit Jessica Hawkins durfte bei Aston Martin jetzt nach längerer Zeit mal wieder eine Frau ein recht aktuelles F1-Auto fahren. Sie ist aber auch schon 28. Was sagt das über den Status quo aus?

Es ist gut, dass es gemacht wird, weil es das ganze Thema auf die Agenda bringt und dazu die Frage, warum es nicht genug Frauen im Motorsport gibt. Man sollte dann aber nicht dort aufhören und sagen, dass es keine talentierten Frauen gibt. Es liegt im Endeffekt am Mut, das Ganze konsequent von A bis Z durchzuziehen. Denn solche Teams hätten ja alle das Geld.

Recht mutig ist es aber, dass Sophia Flörsch von Alpine in das Nachwuchsprogramm aufgenommen wurde. Wie sehen Sie ihre Situation?

In der Formel 3 hat sie in diesem Jahr in einem schlechten Team einen soliden Job gemacht. Ja, sie stand nicht auf dem Podium. Aber die Formel-1-Welt darf auch bei Frauen nicht immer den höchsten Maßstab ansetzen. Bei den jungen Fahrern macht man das ja auch nicht. Es gibt Fahrer, die noch nie auf dem Podium standen, die noch nie ein Rennen gewonnen haben in ihrer Karriere. Die sind aber trotzdem in der Formel 1 gefahren. Das sollte bei den Fahrerinnen nicht anders sein. Es ist gut für sie, es ist gut für die Sache, dass wieder jemand in Richtung Formel 1 strebt.

Sie spricht weiterhin von ihrem Ziel Formel 1. Ist das realistisch?

Sie muss sich genau dasselbe Ziel setzen wie ihre männlichen Kollegen. Und das ist nun einmal die Formel 1. In der Formel 3 hat sie gezeigt, dass sie mit männlichen Kollegen mithalten kann. Sie muss sich jetzt Schritt für Schritt weiterentwickeln, dann wird man sehen, wie sie sich in der nächsthöheren Kategorie schlägt. Für die Sache ist es jedenfalls wichtig und richtig, dass sich eine Frau mit den besten Nachwuchsfahrern misst.

Welche Frau hat Ihrer Meinung nach aktuell das Zeug dazu, in der Formel 1 zu fahren?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich auch sehr mit den Ergebnissen, mit den Daten auseinandersetzen, weil Platzierungen nicht immer das richtige Bild wiedergeben. Denn es gehört viel mehr zu einem Fahrer oder einer Fahrerin, als nur eine schnelle Runde zu fahren. Schnelligkeit ist sehr wichtig, aber er oder eben sie muss auch noch andere Fähigkeiten mitbringen. Man muss die Situation immer richtig beurteilen können, wissen, wann man was zu machen hat, was man zu liefern hat, wie man mit Reifen oder anderen Ressourcen umgehen muss innerhalb eines Rennens, dazu geht es um taktische Dinge.

Um den Bogen zu spannen zu Ihnen: Werden die Frauen, die es mal schaffen sollten, immer noch mehr leisten müssen als die Männer, um akzeptiert zu werden?

Auf jeden Fall. Bis man den Punkt mal erreicht hat, wo es nicht mehr so sein wird, müssen erst einmal genug da sein, die dafür kämpfen.

Wird sich die Formel 1 dann sehr verändern? Oder wird es im Fall der Fälle schnell zur Normalität?

Das wird zur Normalität. Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Warum müssen sich gewisse Dinge ändern? Man muss nicht alles ändern. Ich glaube auch nicht, dass die Formel 1 gerade das Bild vermittelt, sie sei nur etwas für harte Männer. Die Formel 1 wird für mich, und das sage ich jetzt natürlich, weil ich eine Frau bin, nur besser werden, wenn mehr Frauen dabei sind.

Zur Person:

  • Monisha Kaltenborn ist eine österreichische Juristin und arbeitete von 2001 an in der Geschäftsführung des Formel-1-Rennstalls Sauber. 2012 wurde sie Teamchefin, das Amt übte die heute 52-Jährige bis zum Sommer 2017 aus. Anschließend hat sie sich im Sim Racing engagiert.
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