Wie spricht man über Politik, ohne zu streiten? Wie geht man mit konträren Ansichten in Freundschaften, in der Partnerschaft oder der Familie um? Das haben wir den Argumentationstrainer Malte Engel gefragt.

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Herr Engel, folgendes Szenario: Durch einen Facebook-Post erfahre ich, dass meine Freundin bei einer AfD-Veranstaltung war. Ich verabscheue die Politik dieser Partei. Soll ich meine Freundin darauf ansprechen oder besser einen großen Bogen um das Thema machen?

Malte Engel: Ansprechen, unbedingt. Demokratie lebt vom Austausch über politische Themen.

Aber macht eine Diskussion wirklich Sinn, wenn ich den Streit schon kommen sehe?

Zugegeben: Manchmal ist Schweigen die bessere Alternative. Nämlich dann, wenn klar ist, dass es bei dem Gespräch ganz schnell nicht mehr um das eigentliche Thema gehen wird.

In Familien gibt es das häufig, dass man weiß: Dieses Thema führt nur zu persönlichen Kränkungen und dazu, dass alte Wunden aufreißen. Ist das nicht der Fall, würde ich eine Diskussion immer begrüßen.

Dann spreche ich meine Freundin also darauf an.

Klar, aber bitte nicht, solange Sie selbst noch auf 180 sind! Emotionalität ist für eine sachliche Diskussion äußerst hinderlich.

Nun gut. Ich rege mich erst ab und rufe sie dann an. Aber ich finde es nun einmal nicht gut, dass sie sich mit der AfD abgibt.

Das ist ja Ihr gutes Recht. Deshalb sollten Sie aber keinen Streit vom Zaun brechen. Finden Sie heraus, was Ihre Freundin antreibt, anstatt ihr Vorwürfe zu machen.

Dazu eignen sich möglichst neutral formulierte Fragen: "Wie waren denn die Leute da drauf? Findest du nicht schlimm, was die AfD über Flüchtlinge sagt?" Bloß nicht: "Wie konntest du da nur hingehen?"

Sie erzählt also - und ich?

Sie hören zu, fragen nach, wenn Sie etwas nicht verstehen und gehen auf das Gesagte ein. Das klingt banal - aber genau das passiert oft nicht.

Gerade in politischen Talkshows erlebe ich das leider ständig: Anstatt auf das zu reagieren, was das Gegenüber gerade gesagt hat, rattern die Gäste ihre Position herunter, immer und immer wieder.

Haben Sie einen Tipp, wie ich das vermeide?

Ich empfehle Folgendes: Zum Auftakt Ihrer Entgegnung wiederholen Sie das, was der Andere gesagt hat, und stellen es als positiv dar.

Zum Beispiel: "Wenn ich dich richtig verstanden habe, ..." Und weiter: "Das ist ein interessanter Punkt, aber ..." So diszipliniert man sich selbst und vermeidet Missverständnisse.

Wir diskutieren also. Ich argumentiere mit Zahlen, die ich kürzlich in der Zeitung gelesen habe. Sie glaubt mir nicht. Was dann?

Grundsätzlich finde ich es völlig in Ordnung, sich in einer Sachfrage Rückhalt zu holen. Etwa, indem man danach googelt.

Ich suche den Bericht heraus. Sie aber zweifelt die Seriosität der Quelle an.

In diesem Fall würde ich mir überlegen, ob es auf die genaue Zahl wirklich ankommt. Es geht ja nicht darum, zu gewinnen, sondern darum, sich auszutauschen.

Im Sinne einer guten Diskussion kann es also sinnvoll sein, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, anstatt auf einem Punkt herumzureiten und den Gesprächspartner mit Beweisen in die Enge zu treiben.

Meine Freundin nennt mich einen Gutmenschen. Kann ich mich gegen ein solches Totschlagargument überhaupt wehren?

Den Begriff Totschlagargument kennt die Wissenschaft nicht. Man unterscheidet zwischen sachlichen und unsachlichen Argumenten. Auch unsachlichen Argumenten kann man sinnvoll begegnen, vorausgesetzt, man identifiziert sie als solche.

Und wie geht das?

Es gibt Muster. Oft baut der Gesprächspartner einen logischen Fehler in die Schlussfolgerung ein. Oder er verwendet die Strohmann-Taktik, gibt also Ihre Position überspitzt wieder und widerspricht dann dieser verfälschten Aussage.

Erinnern Sie sich an die Diskussion um den Veggie-Day? Vor der Bundestagswahl 2013 haben die Grünen vorgeschlagen, öffentliche Kantinen sollten vermehrt vegetarische Gerichte anbieten und einen fleischlosen Tag zum Standard machen. Politische Gegner und die "Bild"-Zeitung behaupteten daraufhin, die Grünen wollten den Deutschen das Fleisch wegnehmen. Es gab einen riesengroßen Aufschrei. Dabei war von einem Verbot bei den Grünen nie die Rede.

Noch so eine Taktik ist die Brunnenvergiftung: Man verbindet die Position des anderen mit einer negativen Eigenschaft, sagt zum Beispiel: "Das zu fordern, ist total faschistisch." Dann traut sich keiner mehr, diese Position zu vertreten, weil keiner als Faschist dastehen möchte.

Und welche Taktik steckt hinter dem Begriff Gutmensch?

Darauf habe ich leider auch keine Antwort. Ich würde einfach zurückfragen, was an einem guten Menschen schlecht sein soll.

Und wenn meine Freundin und ich partout nicht weiterkommen - sollte ich das Gespräch dann abbrechen?

Bevor ein Gespräch im Streit endet, darf man es auch abbrechen, natürlich. Allein die Tatsache, dass man sich nicht einig wird, bedeutet aber nicht, dass das Gespräch gescheitert ist. Das muss man sich wirklich immer vor Augen halten.

Eine Diskussion ist dann fruchtbar, wenn ich erkenne, worauf die gegensätzliche Haltung zurückzuführen ist - auch und gerade dann, wenn ich am Ende meine eigene Meinung ändere. Es geht nicht ums Gewinnen oder Verlieren.

Dr. Malte Engel hat Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft studiert. Seit 2012 gibt er Seminare zum konkreten Argumentieren. Er ist durch den BZTB zertifizierter Trainer und leitet das von ihm gegründete Institut für Argumentationskompetenz.
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