Political Correctness: Zensur oder Fortschritt? Der Münchner Soziologe Armin Nassehi spricht sich klar für eine politisch korrekte Sprache aus, warnt aber davor es nicht zu übertreiben.

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Im Bundestagswahljahr scheint der Kampf um politisch korrekte Sprache einen Höhepunkt zu erreichen. Ein Interview mit dem Experten und Soziologen Armin Nassehi.

Herr Prof. Nassehi, haben Sie vor lauter Political Correctness in unserer Gesellschaft, wie manche behaupten, Angst, sich zu äußern?

Professor Doktor Armin Nassehi: Nein. Zumeist sind ja diejenigen, die solche Angst behaupten, zugleich die Leute, die viel Gelegenheit haben, sich öffentlich zu äußern. Das ist ein Widerspruch.

Diagnosen, wir hätten es mit einem Verbotsfuror zu tun und man dürfe kaum noch was sagen, sind unsinnige Übertreibungen.

Letztlich werden die meisten Menschen mit der Political-Correctness-Frage im Alltag kaum konfrontiert oder gehen sehr gelassen damit um.

Eine Kampfzone ist das alles nur für bestimmte Milieus, auch für bestimmte publizistische Milieus, die das Problem für eigene Zwecke aufbauschen.

Sie lehnen respektvolle Political Correctness nicht ab, hadern aber ein bisschen damit. Was genau stört Sie?

Um es sehr deutlich zu sagen: Es ist eine kulturelle Errungenschaft, dass sprachliche Sensibilität gegenüber Gruppen und Minderheiten entsteht.

Wer darüber spottet, hat keine Ahnung von alltäglichen Vorurteilen marginalisierten Gruppen gegenüber, auch keine Ahnung davon, wie fragil etwa Hinweise auf Homosexualität vor kurzem noch waren - und wie lebensgefährlich sie in manchen Regionen der Welt noch sind.

Wer gegen solche Sensibilitäten etwas hat, ist schlicht nicht auf der Höhe der Zeit. In einigen, sehr kleinen akademischen Milieus wird manchmal jede Benennung zum Problem.

Es kann dann eine Art Hyperempfindlichkeit entstehen, die Sagbarkeiten geradezu unmöglich machen. Aber das sind Extremfälle.

Sie sagen, sowohl rechts als auch links werde Sprechpolitik betrieben - welche strukturellen Parallelen gibt es?

Was man derzeit beobachten kann, ist das, was ich eine identitäre Logik nennen würde. Es etablieren sich Sprachformen, die sich Menschen stets nur als Angehörige relativ stabiler Identitäten vorstellen können.

Von der rechten Seite kennen wir das. Das ist gewissermaßen die Grundidee des Rechten, Menschen nur als Angehörige von Herkunftsgruppen zu sehen - national, ethnisch, konfessionell und so weiter.

In kulturlinken Kreisen gibt es etwas Strukturähnliches. Auch hier geht es im Sprachkampf um Identitäten, um die Emanzipation durch sprachliche Bezeichnung.

Diese strukturellen Parallelen weisen darauf hin, dass Identitätspolitik Konjunktur hat.

Was ist gegen Identitätspolitik einzuwenden?

Gegen die Einteilung von Menschen in Kategorien ist nichts einzuwenden. Wir müssen im Alltag typisieren und tun das ständig.

Wir sehen nicht einfach Menschen, sondern Männer und Frauen, Alte und Junge, Inländer und Ausländer, Weiße und Schwarze, Vertraute und Fremde. Es gibt beliebige Kategorien, ohne die wir einen modernen Alltag gar nicht bewältigen könnten.

Kritikwürdig finde ich es, wenn man sich die Gesellschaft ausschließlich in Humankategorien vorstellen kann und nichts weiter sieht - keine Probleme des Verhältnisses, ökonomischer, politischer, wissenschaftlicher und medialer Logiken, keine Verteilungsprobleme und so weiter.

Identitätspolitik ist oftmals der Ersatz für Politik, die sich mit diesen Fragen befasst und die mehr sieht als nur Gruppen von Menschen mit mehr oder weniger eindeutigen Merkmalen. Meine Diagnose ist keine moralische oder politische Bewertung, sondern eine strukturelle.

Was bedeutet diese Ausgangslage für den Bundestagswahlkampf?

Der wohl extremste identitätspolitische Spieler im Bundestagswahlkampf ist die AfD. Es ist gewissermaßen das Markenzeichen dieser rechten Partei: zwischen uns und den anderen zu unterscheiden.

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat das mit seinen Äußerungen über Staatsministerin Aydan Özoguz vorgeführt - es wird gar nicht über die Sache diskutiert, sondern darüber, dass die Sätze der Ministerin vor allem durch ihre Herkunft kontaminiert seien.

Deutlicher kann man es nicht demonstrieren. Was die eher üblichen Fragen der Political Correctness angeht, so spielt das im Wahlkampf kaum eine Rolle.

Sicher findet man in der SPD und bei den Grünen mehr Hinweise aufs politisch korrekte Sprechen, aber auch in der Union hat sich der Sprachgebrauch erheblich verändert.

Dass geschlechterinklusiv geredet wird, dass diskriminierende Begriffe eher selten vorkommen und ein Konsens darüber herrscht, dass Sprache verletzen kann, ist ein Hinweis auf einen kulturellen Wandel in breiten gesellschaftlichen Milieus.

Dieser Wandel ist so stabil, dass er gar nicht mehr als Political Correctness registriert wird.

Zur Person: Armin Nassehi (57) ist Professor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der gebürtige Tübinger befasst sich mit gesellschaftlichen Strukturen und arbeitet auf den Gebieten der Kultursoziologie und der politischen Soziologie. Seit 2012 ist Nassehi auch Herausgeber der Zeitschrift "Kursbuch".

(dpa/thp)

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