Karen ist in den USA nicht nur ein Vorname, sondern auch ein abwertender Begriff für einen bestimmten Typ Frau. Besonders in der aktuellen Rassismus-Debatte sorgen "Karens" für Diskussionsstoff.

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James Juanillo ist gerade dabei, "Black Lives Matter" an seine Hausmauer zu schreiben, als ein weißes Paar vorbeikommt. Die Frau erklärt mit einem aufgesetzten Lächeln: "Auf diese Weise macht man das nicht."

Sie ist der Meinung, dass es sich nicht um das Grundstück des Mannes, einem Filipino, handeln könne, er also fremdes Eigentum beschädige. Es entwickelt sich ein Streitgespräch, das damit endet, dass die Frau die Polizei ruft. James Juanillo verbreitet ein Video des Vorfalls später über Twitter. Dazu schreibt er: "'Karen' lügt und behauptet sie wisse, dass ich nicht in meinem eigenen Haus wohne, da sie die Person kenne, die hier wohne."

Die Frau auf der Straße heißt zwar Lisa – aber für viele Amerikaner ist sie eine typische "Karen".

"Karen" wird zu festen Begriff für einen bestimmten Typ

Karen ist in den USA nicht nur ein häufiger Vorname, sondern auch zu einem festen Begriff für einen bestimmten Typ Frau geworden. Sie ist in der Regel privilegiert, weiß, zwischen 40 und 50 Jahre alt. Vor allem zeichnet sie sich durch ihren überheblichen Charakter aus.

"Als 'Karen' bezeichnet zu werden, war noch nie ein Kompliment", sagt der Heidelberger USA-Experte Tobias Endler im Gespräch mit unserer Redaktion. "Damit sind Menschen gemeint, die eine bestimmte Anspruchshaltung und Selbstgerechtigkeit in die Welt tragen. Sie wollen, dass die Welt nach ihren Standards funktioniert und zeigen sich dabei durchaus intolerant bis rücksichtslos."

Solche Frauen kennen viele Amerikanerinnen und Amerikaner aus dem eigenen Alltag und Umfeld. Der meistens abwertend gemeinte Begriff Karen hat daher in den USA eine weite Verbreitung gefunden. "Sei keine Karen", kann es zum Beispiel heißen, wenn Menschen sich herablassend gegenüber Angestellten in Restaurants oder Geschäften verhalten.

Vorfall in New York befeuert Debatte

Amerika-Experte Endler kennt den Begriff seit vielen Jahren. Doch er hat beobachtet, dass er in den vergangenen Monaten besonders häufig zu hören war – einerseits wegen der Corona-Pandemie. "Es geht dann meistens um Frauen der weißen Mittelschicht, die Social Distancing oder das Tragen von Masken nicht ernst nehmen und stattdessen sagen: Ich mache einfach mein Ding."

Der Begriff spielt aber auch in der aktuellen Rassismus-Debatte eine Rolle. Ein Beispiel ist eine "Karen", die in Wirklichkeit Amy heißt und es gerade zu zweifelhafter Berühmtheit gebracht hat: Chris Cooper, Afroamerikaner und Vogelbeobachter, hatte die Frau im New Yorker Central Park gebeten, ihren Hund wie vorgeschrieben anzuleinen.

Amy drohte ihm daraufhin: Sie werde die Polizei rufen und sagen, dass sie von einem Schwarzen bedroht werde. Auch diesen Vorfall hielt Chris Cooper auf einem Video fest, das in den USA die Rassismus-Debatte befeuerte.

"Karen" vergleichbar mit "alter weißer Mann"

Karen ist ein typisches USA-Phänomen. Ein Gegenstück aus dem deutschen Sprachgebrauch zu finden, ist gar nicht so leicht. Endler vergleicht die amerikanische "Karen" am ehesten mit Menschen, die hierzulande anderen erklären, wie sie zu parken haben oder wo sie Fahrrad fahren dürfen.

Die Autorin Annika Brockschmidt schreibt bei "zeit.de" (kostenpflichtiger Artikel), "Karen" sei am ehesten mit "alter weißer Mann", Alman oder Kartoffel zu vergleichen: Begriffe, mit denen sich Migranten, die selbst Diskriminierung erfahren, inzwischen über die Mehrheitsgesellschaft lustig machen.

Woher die Karen-Bezeichnung ursprünglich stammt? Darüber kursieren in den USA unterschiedliche Theorien. Sie wird jedenfalls gerade in der Schwarzen-Community gerne verwendet.

"Ein Zeichen von Emanzipation"

In den sozialen Medien wird auch über Kritik an der Bezeichnung diskutiert: Ist sie nicht sexistisch? Handelt es sich sogar um eine Form von Rassismus, wenn sich Schwarze über weiße Frauen auf diese Art lustig machen?

Endler sieht das nicht so. Aus seiner Sicht spricht das Phänomen aber für gestiegenes Selbstbewusstsein von Minderheiten in den USA: "Es ist ein Zeichen von Emanzipation, sich nicht mehr ständig erklären und rechtfertigen zu müssen vor den 'Karens'."

Wenn Weiße sich gegenüber Schwarzen oder Latinos überheblich und herablassend verhalten, habe das auch damit zu tun, dass sie um ihre Stellung fürchten: "Minderheiten erschließen sich in den USA Privilegien, die lange den Weißen vorbehalten waren", erklärt Endler.

"Sie führen zunehmend ein wohlhabendes Leben. Sie äußern nicht nur ihre Meinung, sondern stellen explizite Forderungen wie die nach Reparationszahlungen, haben eine steigende Anzahl politischer Ämter inne." Manche Weißen würden darauf mit der sogenannten "white anxiety" reagieren: "Mit der oft rassistisch eingefärbten Angst vor dem relativen Aufstieg der Minderheiten und dem eigenen Bedeutungsverlust."

Stärkere soziale Kontrolle

Die aktuellen Vorfälle zeigen zudem, welche Rolle die sozialen Medien spielen: Wer sich wie eine "Karen" aufführt, kann vor allem in konservativen Kreisen möglicherweise auf Zustimmung hoffen. In anderen Teilen des politischen Spektrums ist ein "Shitstorm" dagegen vorhersehbar, wenn ein Video viral geht.

"Mittlerweile ist alles dokumentierbar, die soziale Kontrolle ist stärker geworden", sagt Endler. "Auch das ist eine Form, sich zu emanzipieren." Schwarze würden auf diese Weise zudem auch in der jüngeren weißen Bevölkerung viel Solidarität erfahren.

Die Welt ist dadurch jedenfalls nicht einfacher geworden für die "Karens". Das zeigen auch die Fälle von Lisa und Amy: Die Frau, die einem Mann verbieten wollte, "Black Lives Matter" an eine Hausmauer zu schreiben, entschuldigte sich inständig für ihre falsche Verdächtigung.

Genau wie Amy, die Hundehalterin aus dem Central Park. Für sie könnte ihr Verhalten noch Folgen haben: Sie muss sich wegen einer falschen Anzeige vor Gericht verantworten. Würde sie verurteilt, könnte ihr bis zu einem Jahr Gefängnis drohen.

Über den Experten: Dr. Tobias Endler ist Amerikanist und Politologe und arbeitet an der Heidelberg School of Education. Er hat zuvor an der Yale University und dem "Heidelberg Center for American Studies" geforscht und gelehrt. Im Oktober 2020 erscheint sein Buch "Game Over – Warum es den Westen nicht mehr gibt" über die Beziehungen zwischen den USA und Europa.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Tobias Endler, Heidelberg School of Education
  • Twitter-Account von Jaimetoons
  • Zeit.de: Internet-Memes – Karen ist nicht irgendein Johannes
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