James Comey hat in einem Interview das Phlegma des liberalen Amerika sowie den Opportunismus zahlreicher US-Politiker beim Umgang mit Donald Trump kritisiert. Dabei formuliert der ehemalige FBI-Chef einen Vorwurf, den man in seiner Wortwahl in Deutschland aus der Aufarbeitung des Nationalsozialismus kennt.

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Donald Trump hat die Vereinigten Staaten von Amerika als Präsident mit seinem Credo "America First" auf dramatische Weise verändert.

Seine aggressive Rhetorik verstört, sein politischer Stil empört - und doch, so hat es bisweilen den Anschein, hat eine Art Gewöhnungseffekt eingesetzt.

Beispielsweise darin, dass ein amerikanischer Präsident Entscheidungen von weltpolitischer Tragweite via Twitter verkündet, sich in 140-Zeichen-Tiraden in die Innenpolitik fremder Staaten einmischt, Unwahrheiten verbreitet oder Beleidigungen ausstößt.

Man scheint dieses Vorgehen als Normalität irgendwie akzeptiert zu haben.

Comey warnt: Nicht abstumpfen!

Doch genau vor solch einem Gewöhnungseffekt warnt nun James Comey in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung".

Der ehemalige Chef der amerikanischen Bundespolizei FBI und - nicht erst nach seiner Entlassung durch Donald Trump - erklärte Gegner des US-Präsidenten nennt sich dabei selbst als Beispiel.

Trump hatte Comey unter anderem auf Twitter als "verlogenen Schleimball" bezeichnet. Zunächst, verrät Comey, habe er dem Reflex nachgegeben, derlei Beleidigungen einfach zu ignorieren. Doch dann habe er festgestellt, das dies der falsche Weg sei.

"Ich zwinge mich, das nicht zu ignorieren", erklärt Comey. "Eine Zeit lang habe ich es nicht beachtet, aber ich will nicht, dass ich - und damit auch andere - abstumpfen."

Comey zielt mit den "anderen" vor allem auf das konservative Amerika, auf Anhänger der Republikaner, deren Präsident Donald Trump zwar ist, dessen politische Zerstörungswut und Menschen entwürdigende Rhetorik sich aber nicht zwangsläufig mit konservativen Werten decken - erst recht nicht eine politische Strategie, die auf falschen Behauptungen und konstruierten Wahrheiten beruht.

Trump, diese Erfahrung habe er persönlich gemacht, seien Fakten völlig egal, erklärt Comey und betont: "Auf diese Gefahr will ich hinweisen. Ich will die Amerikaner aufrütteln, denn wir haben unsere Politiker stets daran gemessen, dass sie Fakten präsentieren und akzeptieren."

Comey: Trumps Lügen setzen neue Maßstäbe

Comey will auch den Vergleich zur Irak-Intervention unter Ex-Präsident Georg W. Bush nicht gelten lassen. "Bush junior glaubte wohl wirklich, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gab, und betont noch immer: 'Ich habe nicht gelogen.' Aber der jetzige Präsident lügt so oft, dass alle Maßstäbe zu verschwinden drohen."

Comey prangert den Opportunismus republikanischer Politiker an, die sich Trump nicht entschieden genug widersetzten, und wählt dazu eine Formulierung, die man in Deutschland aus der Auseinandersetzung mit den Schrecken des Dritten Reiches kennt: "Ich frage immer: 'Wie werdet Ihr einmal Euren Enkeln erklären, dass Ihr geschwiegen und all das toleriert habt?'"

Eine Rechtfertigung nach dem Motto "Ich hatte Angst vor den Trump-Fans und wollte meinen Sitz im Kongress behalten" werde niemals legitim sein, meint Comey.

"Zu viele geben ihre Integrität auf, nur um ihren Job zu behalten. Ich schäme mich für die Republikaner und sorge mich um die Zukunft der Partei, der ich nicht mehr angehöre", echauffiert sich der 57-Jährige.

Den Skandal um die Familientrennung an der mexikanisch-amerikanischen Grenze bewertet Comey in diesem Kontext als mögliche Zäsur, die in weiten Teilen der US-Bevölkerung eine moralische Selbstreflexion auslösen könnte und somit eine kritische Neubewertung der aktuellen US-Politik unter Donald Trump.

"Womöglich sind die Bilder ein Wendepunkt", erklärt Comey. "Vielleicht erleben wir gerade einen jener wiederkehrenden Momente, in denen der schlafende Riese aufwacht."

Comey formuliert die Erwartung und Hoffnung, "dass die große Masse der Amerikaner so schockiert ist und sich fragt: 'Was ist nur aus uns geworden?'"

Dieses Umdenken habe schon einmal nach einem einschneidenden Erlebnis eingesetzt: als 1963 weiße Polizisten scharfe Hunde auf schwarze Schulmädchen gehetzt hatten.

"Danach wuchs die Unterstützung für die Bürgerrechtsbewegung, und das Land hat sich zum Besseren verändert", erinnert Comey.

Selbst wenn diese Entwicklung nicht eintrete, sollte die Welt nicht in Panik verfallen, meint Comey. "Kein US-Präsident regiert lange genug, um unsere Institutionen zu zerstören und alle Kontrollmechanismen auszuhebeln."

Zur Beruhigung dient diese Einschätzung nur bedingt. Schließlich ist es ein Charakteristikum von Donald Trump, die Selbstverständlichkeiten von heute schon morgen mit einem Tweet für obsolet zu erklären.

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