Der Osten und Süden der Ukraine kommen nicht zur Ruhe. Am Donnerstag hatte die Übergangsregierung in Kiew eingestehen müssen, dass sie die Kontrolle über eine ganze Reihe von Städten im Lande verloren hat. Vor allem in Odessa und Slawjansk kommt es zu Schießereien mit Verletzten und Toten. Von einem Bürgerkrieg wollen viele Beobachter dennoch nicht sprechen.

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Schon allein wegen der großen Einflussnahme externer Faktoren müsse mit dem Begriff "Bürgerkrieg" vorsichtig umgegangen werden, sagt Anna Veronika Wendland vom Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg. Zwar erwecke die Berichterstattung oft den Eindruck, es stünden Bürger gegen Bürger. Das sei aber ein Trugschluss: "Hier stehen keineswegs 'russische' Bürger gegen 'ukrainische' Bürger, sondern lokale mafiöse Strukturen gegen Bürger und gegen Kiew. Oder auch externe Söldner gegen die ukrainische Staatsgewalt - teilweise verquickt bis zur Ununterscheidbarkeit."

Im Zentrum stehe nach wie vor Russland, das den Umgang mit Söldnern bereits in Tschetschenien zur Perfektion gebracht habe: Paramilitärische Truppen würden für die "Drecksarbeit" eingesetzt. In solchen Strukturen seien meist keine direkten Befehlslinien nachweisbar, bei Bedarf könne man sich zudem leicht öffentlich distanzieren. Aktuell würden solche Kämpfer sogar als "Widerstand der Bevölkerung" gegen nichtexistierende ukrainische Extremisten ausgegeben. Von einem Bürgerkrieg nach den üblichen Definitionen könne also kaum die Rede sein. Währenddessen nimmt die Gewalt fast überall im Osten und Süden des Landes zu.

Zahlreiche Tote und Verletzte bei Straßenschlachten in Odessa

In der Hafenstadt Odessa am schwarzen Meer haben sich die bisher schwersten Auseinandersetzungen ereignet. Am Freitag waren über 40 Menschen bei Straßenschlachten zwischen prorussischen und proukrainischen Demonstranten ums Leben gekommen. Die meisten davon starben bei dem vermutlich absichtlich gelegten Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa. Offizielle Stellen gehen zudem von über 200 Verletzten aus.

Die Hoffnung, dass sich die Lage in der Millionenstadt schnell wieder beruhigen wird, scheint damit gescheitert. Am Sonntag wiederholte der amtierende ukrainische Regierungschef Arsenij Jazenjuk bei einem Besuch in der Metropole seine Vorwürfe, Russland sorge mit verdeckt agierenden Spezialeinheiten für eine Verschärfung des Konflikts.

Zugleich verzeichneten die Separatisten einen weiteren Erfolg: Bei einem Angriff auf die Polizeizentrale in der Stadt erstürmten sie am Sonntag das Gebäude und forderten die Freilassung von inhaftierten prorussischen Aktivisten. Angeblich sollen fast 70 Aktivisten frei gekommen sein. Die örtliche Polizei blieb nach Angaben von Augenzeugen weitgehend untätig. Die Regierung in Kiew hat derweil weitere Soldaten in die Region entsandt.

Slawjansk von Regierungstruppen eingekesselt

Bereits am Freitag hatte die ukrainische Regierung einen Angriff auf die prorussischen Milizen in Slawjansk und Kramatorsk im Osten des Landes begonnen. Kurz nach Beginn bestätigte der amtierende Innenminister Arsen Awakow die Offensive. Es kam zu Schusswechseln, im Verlauf der Kämpfe schossen Separatisten mindestens zwei Hubschrauber der Angreifer ab. Nachrichtenagenturen und Augenzeugen sprachen von zahlreichen Toten. Bis zum Montag riegelten die ukrainischen Einheiten die Stadt weitgehend von der Außenwelt ab.

In der Stadt waren zudem auch die von den Separatisten festgenommenen OSZE-Beobachter gefangen gehalten worden. Die Geiseln waren jedoch nach intensiven Verhandlungen am Samstag freigelassen worden.

Auch im Rest der Ostukraine halten prorussische Einheiten nach wie vor Regierungsgebäude besetzt. Vor allem in Donezk sind die Separatisten stark. Bereits vor fast zwei Wochen hatten sie die "Volksrepublik Donezk" ausgerufen und fordern seitdem ein Referendum über die Zukunft der Regionalmetropole. Angesichts der zahlreichen Besetzungen von Gebäuden im Süden und Osten der Ukraine und der zunehmenden Gewaltbereitschaft der unterschiedlichen Parteien erscheint eine baldige Einigung immer unwahrscheinlicher.

Unter anderem hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag gefordert, eine erneute internationale Konferenz anzusetzen, um die Krise beizulegen.

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