• 270 SPD-Mitglieder des SPD Ortsvereins Kiel haben sich Mitte Februar im Stadion von Holstein Kiel getroffen.
  • Nicht zum Fußballgucken, sondern zur Nominierung eines Kandidaten für die Bundestagswahl.
  • Auch wenn die Politiker damit keine Sonderrechte hatten – auf Unmut stößt die Mitgliederversammlung trotzdem. Ein SPD-Mitglied, welches vor Ort war, klärt auf.

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Die Überschrift war reißerisch: "Warum dürfen Politiker ins Stadion – Fans aber nicht?" titelte die "Bild"-Zeitung am Dienstag (23.02.2021). Das passende Bild dazu – dutzende Menschen auf der Tribüne mit Blick auf das Spielfeld – erweckte den Eindruck: Politiker dürfen, was Fans aktuell verwehrt bleibt: Fußballspielen live im Stadion beiwohnen.

Dem ist aber nicht so. Denn der Grund für die Zusammenkunft der Kieler SPDler auf der Osttribüne des Stadions von Holstein Kiel war ein völlig anderer: Sie versammelten sich, um den SPD-Bundestagskandidaten Mathias Stein zu nominieren. Auch der Anlass für die SPD-Wahlkreisversammlung nahe Eckernförde im Eiderstadion mit knapp 100 SPD-Mitgliedern lag abseits des Spielfeldes: Sie nominierten ihren Bundestagsabgeordneten Sönke Rix.

Digitale Kandidatenvorstellung möglich

Auch, wenn es nicht um Sonderrechte für Politiker geht, Unmut weckt die Veranstaltung der SPD bei einigen trotzdem. Zwar schreiben die Bundes- und Landeswahlgesetze in der Regel Präsenzveranstaltungen für die Nominierung von Kandidaten vor – im Oktober 2020 hat eine Änderung des Bundeswahlgesetzes aber den Weg für die Kandidatenkür ohne Vollversammlung in Präsenz freigemacht.

Die Vorstellung der Kandidierenden kann online erfolgen – Bewerber und Bewerberinnen müssen sich in einer Rede vorstellen, eine Aussprache muss sich anschließen, und es muss bis zur Eröffnung des Wahlganges noch möglich sein, sich zu bewerben. Für alle wahlberechtigten Mitglieder müssen diese Grundsätze eingehalten werden.

SPD hatte Vorhaben unterstützt

Voraussetzung für das neue Verfahren ist eine "Lage höherer Gewalt", die Versammlungen zur Kandidatenaufstellung aus Sicht des Bundestages ganz oder teilweise unmöglich macht. Neben der aktuellen Pandemie wäre das auch etwa bei anderen Naturkatastrophen gegeben. Stimmt der Bundestag einer anschließenden Verordnung des Innenministeriums zu, ist die Berufung von Wahlkandidaten ohne Präsenzversammlungen erlaubt. Eine Online-Kandidatenvorstellung mit anschließender Brief- oder Urnenwahl wäre dann möglich.

Dass ausgerechnet SPD-Ortsvereine diese Chance nun nicht genutzt haben, mutet komisch an: Denn die SPD hatte auf Bundesebene als Koalitionspartner das Vorhaben mit vorangetrieben, die Opposition wiederum hatte die Änderungen des Bundeswahlgesetzes abgelehnt.

So hatte beispielsweise die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann kritisiert, dass das Gesetz nicht nur für die Corona-Pandemie gelte, sondern auch für nicht näher bestimmte "ähnliche Ereignisse".

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Dadurch werde ein "viel zu breites Fenster geöffnet", sagte Haßelmann und folgerte: "Diese Verordnungsermächtigung ist völlig unbestimmt" und daher "völlig falsch".

Veranstaltung mehrfach verschoben

Warum also tagten die SPD-Ortsvereine trotzdem in Präsenz? Christina Schubert, SPD-Mitglied und im Kieler Rat, war bei der Mitgliederversammlung Mitte Februar dabei, organisierte sie als stellvertretende Vorsitzende maßgeblich mit. "Ursprünglich war die Nominierung der Direktkandidaten in unserem Wahlkreis schon im Herbst letzten Jahres geplant. Sie sollte in einem großen Saal mit ausreichend Abstand stattfinden", sagt sie. Weil die Corona-Zahlen dann aber in die Höhe schnellten, hätte die Veranstaltung abgesagt. Selbiges habe sich kurzfristig im Dezember wiederholt.

"Wir haben dann entschieden, uns unter freiem Himmel zu treffen, mit Frischluft und unter Wahrung von ausreichend Abstand", so Schubert. Im Stadion von Holstein Kiel hätte im vergangenen Jahr bereits eine Konfirmation stattgefunden. "Deshalb war der Veranstaltungsort erprobt", so die Kommunalpolitikerin.

270 Teilnehmer

Die Mitglieder, 270 Personen, hätten allesamt FFP-2 Masken getragen, außerdem sei nur in jeder zweiten Reihe jeder 3. Platz besetzt gewesen. "Wir haben die Mitglieder darum gebeten, sich im Vorfeld definitiv anzumelden, damit wir einen Überblick über die Personenzahl haben", sagt Schubert.

Anders als bei Delegiertenversammlungen, wo Ortsvereine einzelne Mitglieder im Auftrag zur Abstimmung entsenden, sei bei einer Mitgliederversammlung im Vorfeld nicht absehbar, wie viele letztlich kämen.

Digitale Veranstaltung "keine Option"

Die Aussage der "Bild"-Zeitung, Teilnehmer hätten "versichern" müssen, keine Corona-Symptome zu haben, ist in Schuberts Augen falsch. "Tests wurden tatsächlich nicht verlangt, aber eine Art Versicherung musste niemand abgeben. Beim Anmeldeverfahren wurde nur wie üblich darauf hingewiesen, bei Krankheitsgefühl zu Hause zu bleiben", so die Genossin.

Sie gibt zu: "Wir waren uns natürlich dessen bewusst, dass es etwas komisch wirken könnte." Eine digitale Veranstaltung sei aber keine Option gewesen. "In unseren Reihen haben wir auch ältere Menschen, die nicht so digital-affin sind. Wir wollen aber alle mitnehmen", so die Kielerin.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Christina Schubert, SPD Kiel
  • Bild Zeitung: "Warum dürfen Politiker ins Stadion – Fans aber nicht?", 23.02.2021
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