Über den Umgang mit den hier ankommenden Flüchtlingen ist man sich in der Großen Koalition uneinig. Sogenannte Transitzonen an Deutschlands Grenzen sollen den Andrang besser regulieren - und vielleicht sogar mindern. Doch ist das zulässig und überhaupt umsetzbar?

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Vera Hanewinkel vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Migration und Bildung, insbesondere von Hochqualifizierten und Einwanderern aus der Türkei sowie der allgemeinen Migration in und nach Europa. Hanewinkel gibt Anworten auf die zentralen Fragen zum Thema Transitzonen.

Die derzeit diskutierten Transitzonen, aus denen Asylbewerber ohne Erfolgsaussichten oder ohne Papiere noch vor der offiziellen Einreise innerhalb kurzer Zeit zurückgeschickt werden können, sehen nach einem Alleingang Deutschlands aus. Geht das überhaupt?

Vera Hanewinkel: Deutschland kann die Zuwanderung, die uns aktuell erreicht, nicht alleine steuern, weil es zu sehr eingebunden ist in die Europäische Union. Zu beachten sind immerhin internationale Verträge: das Schengen-Abkommen, aber auch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention. Eine gesamteuropäische Lösung halte ich für sinnvoller als einen nationalen Alleingang.

Wenn man es auf einen Versuch ankommen lässt: Wie könnten solche Zonen konkret aussehen?

Weder Größe noch Aussehen dieser neuen Transitzonen sind mir bekannt und auch nicht, wie diese Zonen territorial umsetzbar sind. Sich an bestehenden Transitzonen in Flughäfen zu orientieren, ist nicht unbedingt sinnvoll. Immerhin handelt es sich dort um geschlossene Räume, in die Asylsuchende geleitet werden können. An den Landgrenzen existiert ein solches System nicht.

Ohne permanente Grenzkontrollen, die im Schengen-Raum an Binnengrenzen nicht vorgesehen sind, können Transitzonen nicht umgesetzt werden. Und es bleibt das Problem bestehen, dass Asylsuchende untergebracht und ihr Asylantrag bearbeitet werden muss. Ohne eine entsprechende Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird das auch in Transitzonen nicht gehen.

Wären diese Zonen aber denn überhaupt ein probates Mittel, um tatsächlich den Zustrom regulieren oder sogar drosseln zu können?

Ich glaube nicht, dass das geht. Vor allem nicht national. Es braucht einen gesamteuropäischen, vielleicht sogar globalen Ansatz, um die Migration nach Deutschland zumindest in Ansätzen steuern zu können. Da Migrationen immer auch eine Eigendynamik entfalten und man die Wirkung von Netzwerken nicht außer Acht lassen darf, sind sie allgemein nur eingeschränkt lenkbar. Dies gilt insbesondere für Asylzuwanderung.

Zu bedenken ist außerdem: Kern unseres Asylrechts sind Einzelfallprüfungen. Ein Einzelfallentscheider, der einem Flüchtling auf Grundlage eines gedolmetschten, individuellen Interviews Asyl gewährt oder nicht. Dafür brauchen wir Personal. Gut ausgebildetes Personal, denn unser Asylrecht ist kompliziert. Inzwischen gibt es Schnellkurse, wo innerhalb von drei Monaten Beamte entsprechend geschult werden. Aber natürlich macht es einen Unterschied für die Lagebewertung, ob ich neu in diesem Berufsfeld bin oder schon etliche Verfahren durchgeführt habe. Das BAMF muss die Qualität der Verfahren gewährleisten.

Warum werden die angestrebten Schnellverfahren von einigen als menschenverachtend bezeichnet?

Dazu hilft ein Blick auf die Transitverfahren, wie es sie seit dem Asylkompromiss 1992/93 an Flughäfen gibt: Diese laufen nicht immer so ab, wie sie in der Theorie verlaufen sollen. Die sieht vor, dass die Menschen bis zu 19 Tage im Transitbereich bleiben und spätestens dann eine Entscheidung erhalten, ob sie in Deutschland Asyl erhalten oder nicht. Oft verlassen die Flüchtlinge die Flughäfen aber und werden in Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht und behandelt wie Flüchtlinge, die auf dem Landweg gekommen sind. Zumindest, wenn die Mitarbeiterkapazitäten auf den Flughäfen nicht ausreichen.

Insgesamt ist die Zahl der Asylverfahren auf den Flughäfen aber eher gering. In Transitzonen an den Landgrenzen müssten viel mehr Anträge bearbeitet werden. Bislang gibt es beim BAMF nicht die notwendigen Kapazitäten. Verfahren ziehen sich monatelang hin, der Stapel unbearbeiteter Anträge wächst. Das Problem lösen auch Transitzonen nicht. Teilweise sind im Moment nicht einmal Kapazitäten vorhanden, um alle Ankommenden so zu registrieren, dass man ihnen überhaupt ordentliche Verfahren ermöglichen kann. Aber genau das muss gewährleistet werden in einem demokratischen Rechtsstaat. Ansonsten entwickeln sich rechtsfreie Zonen.

Wie könnte denn die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten aussehen, etwa an der Grenze zu Österreich?

Das müssen in erster Linie Juristen klären. Noch vor der Erarbeitung eines Konzepts für die praktische Umsetzung stellt sich die Frage, ob solche Transitzonen überhaupt mit bestehendem Recht vereinbar sind. Deshalb glaube ich, dass das letzte Wort so schnell noch nicht gesprochen ist.

Welche anderen, möglicherweise geeigneteren Instrumente gäbe es, um sicherzustellen, dass jene herausgefiltert werden, die hier Asylrecht genießen?

Es braucht eine Entlastung des Asylsystems, das keine Flüchtlingsobergrenze kennt. Um den Flüchtlingen gerecht zu werden, denen nach unserem Recht und damit der Genfer Konvention entsprechend, hier Schutz zusteht, weil sie als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden. Denjenigen, die nicht verfolgt werden und trotzdem hierher kommen, müssen wir andere legale Zuwanderungswege und Aufenthalte ermöglichen. Es könnte zum Beispiel ein Visum geben, das etwa Menschen aus Serbien erlaubt, sich hier bis zu zwölf Monate lang aufzuhalten und eine Arbeit zu suchen.

Seit 2008/09 dürfen sie drei Monate hier bleiben, aber in dieser Zeit nicht arbeiten, weil sie nur Touristenstatus haben. Wenn es nicht gerade um Hochqualifizierte oder gesuchte Fachkräfte geht, sind die Bestimmungen im Bereich Arbeitsmigration in Europa sehr restriktiv. So bleibt nur der Antrag auf Asyl. Das führt dazu, dass die Beamten sich um viel mehr Menschen kümmern müssen und sich dabei schlechter um diejenigen kümmern können, die wirklich Hilfe brauchen. Das System führt aber auch dazu, dass sich viele Leute umsonst auf den teilweise beschwerlichen Weg hierher machen: Die Ablehnungsquoten für Migranten ohne Recht auf Asyl liegen bei fast Hundert Prozent.

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