In unserer Serie "Zukunft Deutschland" beleuchtet unsere Redaktion große Herausforderungen, vor denen das Land steht – und die Chancen, die sich daraus ergeben. Heute geht es um die erneuerbaren Energien: Deutschland hat beim Ausbau viel erreicht. Doch um die Klimaziele nicht zu verfehlen, muss er noch viel schneller vorangehen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Björn Lohmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Stromerzeugung aus Windkraft an Land muss sich bis 2030 verdoppeln, der Strom aus Photovoltaik sich verdreifachen und die Leistung der Offshore-Windanlagen hat einen noch weiteren Weg zu gehen: Der nötige Ausbau der erneuerbaren Energien, um Deutschlands Klimaziele zu halten, ist anspruchsvoll. Selbst die Photovoltaik, die aktuell die größte Dynamik aufweist, müsste ihr Ausbautempo verdoppeln, um ihr Ziel zu erreichen, zeigt der Ampel-Monitor Energiewende des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.

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52 Prozent aus erneuerbaren Energien: "Durchaus bemerkenswert"

"Die Energiewende im Stromsektor ist in Deutschland in den vergangenen 20 bis 30 Jahren durchaus vorangekommen", sagt Sascha Samadi, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut. So lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im Jahr 2000 noch bei knapp sieben Prozent. 2022 betrug er 46 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 ist er auf 52 Prozent gestiegen. Das haben vorläufige Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft ergeben.

"Dieser Anteil ist für ein stark industrialisiertes und relativ dicht besiedeltes Land mit begrenzter Verfügbarkeit von Biomasse und Wasserkraft durchaus bemerkenswert im Vergleich zu vielen anderen Ländern", findet Samadi. Insbesondere Frankreich schneidet mit einem Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von rund 25 Prozent deutlich schlechter ab, was sicherlich auch an der dort sehr intensiven Nutzung der Atomkraft liegt.

Einige europäische Länder mit sehr guten natürlichen Bedingungen für Windenergie, Solarenergie oder Wasserkraft – zum Beispiel Portugal, Norwegen, Dänemark und Österreich – haben allerdings noch höhere Anteile erneuerbarer Energien in ihrer Stromversorgung als Deutschland.

Das Ziel: 80 Prozent Erneuerbare bis 2030

Dennoch erfordern die Klimaschutzziele der Bundesregierung – wie das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 – einen deutlich schnelleren Zuwachs: 2030 soll der Stromverbrauch in Deutschland zu mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. "Hierfür ist in den nächsten Jahren etwa eine Verdreifachung bis Vervierfachung des jährlichen Zubaus von Solar- und Windenergieanlagen im Vergleich zum durchschnittlichen jährlichen Zubau der letzten paar Jahre notwendig", erläutert Samadi. Der Ausbau der Solarenergie gewinnt seit zwei bis drei Jahren auch deutlich an Tempo, während die Windenergie noch schneller wachsen muss.

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Gleichzeitig steigt der Strombedarf rasant, auch schon bis 2030. Zum einen, da immer größere Teile des Verkehrs und Teile der Wärmeversorgung auf Strom umgestellt werden sollen. Zum anderen, weil ein Teil des zukünftigen Wasserstoffbedarfs innerhalb Deutschlands mithilfe von Ökostrom erzeugt werden soll.

"In den konkreten Ausbauzielen der Bundesregierung für die Solar- und Windenergie ist dieser erwartete Anstieg des Stromverbrauchs bereits berücksichtigt. Das heißt, das Ziel eines Erneuerbaren-Anteils von 80 Prozent im Jahr 2030 würde voraussichtlich erreicht werden, wenn der Zubau von Wind- und Solarenergie wie von der Regierung angestrebt in den nächsten Jahren beschleunigt werden kann", ordnet Samadi ein.

Hohe rechtliche Sicherheit

Wegbereiter für die bisherigen Ausbauerfolge war vor allem das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Dieses mehrfach novellierte Gesetz sorgt seit dem Jahr 2000 dafür, dass Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig ins Netz eingespeist wird und die Anlagenbetreiber für jede eingespeiste Kilowattstunde über viele Jahre eine bestimmte Vergütung erhalten.

"Durch diese hohe rechtliche Sicherheit konnten viele verschiedene Akteurinnen und Akteure in den letzten gut 20 Jahren mit unterschiedlichen Technologien in erneuerbare Energien investieren", sagt Samadi. Dies habe insbesondere bei der Photovoltaik und der Windenergie dabei geholfen, durch den kontinuierlichen Ausbau die Kosten für neue Anlagen stetig zu reduzieren, unter anderem durch ausgelöste Lerneffekte bei den Herstellern der Anlagen.

Ebenfalls dürfte das relativ hohe Umweltbewusstsein der deutschen Bevölkerung einen Beitrag geleistet haben. Nicht zuletzt meint Samadi: "Meiner Einschätzung nach hat auch der frühzeitig – ursprünglich bereits Anfang der 2000er Jahre – angekündigte Ausstieg aus der Atomenergie in Verbindung mit klaren Zielsetzungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien dazu beigetragen, ein positives Investitionsumfeld für erneuerbare Energien in Deutschland zu schaffen."

Und das, obwohl sich die konventionelle Energiewirtschaft lange gegen einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien ausgesprochen und gegen entsprechende gesetzliche Regelungen und Ziele lobbyiert hat. "Viele Jahre lang haben auch Bundesregierungen durch bremsende Regelungen den Zubau der erneuerbaren Energien nicht in der Dynamik vorangebracht, wie es möglich gewesen wäre", sagt Samadi mit Blick auf die Politik.

Gegnerinnen und Gegner eines schnellen Ausbaus nutzten die zeitweise stark steigenden Förderkosten, um für einen deutlich verlangsamten Zubau zu werben. Nicht zuletzt hat der Windenergieausbau darunter gelitten, dass nicht genug Flächen für den Ausbau der Anlagen zur Verfügung gestellt wurden.

"Sparsamer Umgang mit Energie ist wichtig"

Wichtig ist daher, dass dieses und andere Hindernisse – etwa zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren – beseitigt werden. "Daran arbeitet die neue Bundesregierung und speziell das zuständige Bundeswirtschaftsministerium seit dem Regierungswechsel sehr intensiv", sagt Samadi. Insbesondere für die Solarenergie wurden bereits Verbesserungen der Rahmenbedingungen erreicht und weitere Verbesserungen sollen in den nächsten Monaten umgesetzt werden.

Auch für die Windenergie hat die Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Teil bereits verbessert. Um mehr Flächen für Windräder bereitzustellen, ist die Bundesregierung allerdings auf die Bundesländer angewiesen. "Zudem sollte nicht vergessen werden, dass auch ein effizienter und sparsamer Umgang mit Energie einen vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien erleichtern und beschleunigen kann", betont der Wissenschaftler. Folglich sollten Politik und Gesellschaft Maßnahmen verfolgen, um mehr Strom einzusparen.

Deutschland war eines der ersten Länder der Welt, das in großem Maße in Wind- und Photovoltaik-Anlagen investiert hat. "In den vergangenen rund zehn Jahren war Deutschland bei der Ausbaudynamik von Wind- und Solarenergie häufig nicht mehr ganz vorne dabei", kritisiert Samadi. Die aktuelle Bundesregierung wolle nun aber in den nächsten Jahren auch Deutschland wieder zu einem der größten Märkte weltweit machen.

Zur Person: Dr. Sascha Samadi hat Volkswirtschaftslehre in Trier und Oldenburg studiert und im Fach auch promoviert. Am Wuppertal Institut ist er Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien und beschäftigt sich unter anderem mit Klimaschutzszenarien und klimapolitischen Strategien in Deutschland, Europa und der Welt.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Sascha Samadi, Wuppertal-Institut
  • bdew.de: Aktuelle Berechnungen von ZSW und BDEW: Erneuerbare Energien haben im ersten Halbjahr mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs gedeckt
  • diw.de: Ampel-Monitor Energiewende

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