Die SPD-Parteimitglieder haben entschieden: Das Team aus Olaf Scholz und Klara Geywitz geht in die Stichwahl gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Am Dienstagabend trafen die Kandidaten für den Parteivorsitz im Willy-Brandt-Haus aufeinander. Womit sie überzeugen konnten und womit nicht.

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Das Aufeinandertreffen der Teams, die es in die Stichwahl um den SPD-Parteivorsitz geschafft haben, beginnt mit einer bezeichnenden Panne: Der Livestream auf der SPD-Website funktioniert nicht, Zuschauer werden mit dem Satz: "SPD-Wartungsarbeiten -Wir sind gleich wieder für Sie da" vertröstet.

"Wartungsarbeiten" – so könnte man auch den Prozess für die Suche nach einem neuen Parteivorstand nennen. Am vergangenen Dienstagabend trafen die letzten beiden Teams im Rennen aufeinander, nachdem es bei der ersten Abstimmung für kein Kandidaten-Duo eine absolute Mehrheit gegeben hatte.

Im Willy-Brandt-Haus begann somit die Stichwahlphase: Finanzminister Olaf Scholz traf an der Seite der Brandenburger Landespolitikerin Klara Geywitz auf das Konkurrenz-Team, bestehend aus Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (NoWaBo) und der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Saskia Esken. Die beiden Teams hatten in der Mitgliederbefragung, an der rund 53 Prozent der Parteimitglieder teilnahmen, 22,7 Prozent beziehungsweise 21 Prozent der Stimmen erhalten.

Wie schnitten die Teams beim 75-minütigen Duell ab?

Kriterium: Auftritt als Team

Beim Team Scholz und Geywitz wurde schnell deutlich, wer den Ton angibt: Der Hamburger Olaf Scholz zählte am Ende deutlich mehr Redeanteil als seine Mitstreiterin Klara Geywitz. Auffällig auch: Scholz stellte sich an vielen Stellen in den Vordergrund - betonte, welche Projekte er auf den Weg gebracht hat und welche Ideen von ihm persönlich stammten. Ebenso war Scholz zuständig für die Angriffe: Es gelang ihm mehrfach das Team aus Esken und Walter-Borjans in die Defensive zu drängen, während er gleichzeitig deren Angriffe parieren konnte.

Auch bei Esken und Walter-Borjans war eine Rollenaufteilung spürbar, hier war die ehemalige Paketbotin und spätere Softwareentwicklerin Esken deutlich angriffslustiger. Mehrfach zog sie den Konkurrenten mit Fragen wie: "Wann fangen wir mit der neuen Politik denn an, Olaf?" zur Rechenschaft. Alles in allem aber: Eine ausgewogenere Rollenverteilung beim Team Esken und NoWaBo.

Kriterium: Inhaltliche Profilierung

Den Parteimitgliedern deutlich machen, wo die Unterschiede zwischen den Kandidaten liegen – das war Hauptziel des Duells im Willy-Brandt-Haus. Zwar fiel bei den vier Parteigenossen erwartungsgemäß häufig der Satz "Ich stimme völlig zu", dennoch wurden inhaltliche Unterschiede und persönliche Prioritäten deutlich. Während Scholz beispielsweise die Grundrente als "Riesenerfolg" feierte, übte Walter-Borjans Kritik: Sie sei ein Beispiel dafür, was schieflaufe, durch eine Blockade der Union habe man sich daran hindern lassen, die Grundrente "würdig für alle" zu machen.

Streitthemen: Klimapolitik und Investitionen

Uneinigkeit auch in Sachen Klimapolitik: Esken und Walter-Borjans gehen die Maßnahmen im Klimapaket nicht weit genug, sie sprechen von "Klimapaketchen" und fordern eine höhere Co2-Besteuerung sowie Pro-Kopf-Rückzahlungen an alle Bürger.

Geywitz und Scholz aber meinen: "Das Klimapaket wurde in der SPD-Bundestagsfraktion fast einstimmig angenommen, dann kann es so schlecht nicht sein." Eine Pro-Kopf-Erstattung halten sie mit den aktuellen Datenschutzrichtlinien für nicht vereinbar. An den von Esken geforderten Preis von 40 Euro pro Tonne CO2 wollen sie die Bürger langsam heranführen und ihnen Zeit geben, um sich umzustellen.

Unterschiede zwischen beiden Teams tun sich auch in Sachen Sozialpolitik und Investitionen auf. Während Scholz und Geywitz auf soziale Rechte wie das "Recht auf einen beruflichen Neustart" pochen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie Wachstum in Einklang mit nachhaltiger Wirtschaft in den Blick nehmen, fokussieren NoWaBo und Esken die Themen Vermögenssteuer, Abschied von der schwarzen Null und soziale Sicherung. Alles in allem: Inhaltliche Profilierung auf beiden Seiten, ebenso aber auch leere Worthülsen und Phrasendrescherei á la: "Wir wollen die SPD stärken."

Kriterium: Schlagfertigkeit und Angriffslust

Olaf Scholz brauste erstmals auf, als NoWaBo am Verhandlungserfolg der Grundrente Kritik übte. "Die SPD darf das, was sie für die Bürgerinnen und Bürger durchsetzt nicht kleinreden", forderte Scholz. Stolz auf sich selbst zu sein, sei der Unterschied, den die SPD in Zukunft brauche. NoWaBos warnte: Man dürfe trotzdem nicht so tun "als hätte man das Gelbe vom Ei schon gefunden". Dann fragten sich die Wähler, warum sie der SPD noch ihre Stimme geben sollten.

Angriffsfläche bot das, womit Scholz eigentlich punkten wollte: Seine langjährige Erfahrung durch politische Ämter auf Bundes- und Landesebene. Esken warf ihm immer wieder vor, all das nicht umgesetzt zu haben, was er ankündige. NoWaBo bezweifelte indes, ob die Bürger Scholz das Versprechen zu einem Neustart abkauften. Ob er ihm seine Glaubwürdigkeit absprechen wollte, fragte Scholz giftig zurück und verwies auf seine guten Umfragewerte. Kritische Nachfragen von Esken bezüglich der Fördermaßnahmen im Heizungsbau konnte er jedoch gut parieren.

Alles in allem: Scholz gab sich überraschend schlagfertig und konnte auf Angriffe gut kontern. Geywitz kam allerdings zu kurz weg; sie wirkt bei den Angriffen außen vor.

Kriterium: Mut zu neuen Ideen

Eigentlich lieferte Moderatorin Nana Brink den Kandidaten gute Vorlagen: "Wie arbeiten wir in einem Sozialstaat der Zukunft ?" oder "Was und wo müssen wir modernisieren?" wollte sie von den Teams wissen.

Überzeugende Entwürfe für die Zukunft ließen diese jedoch vermissen. Zwar betonten beide Seiten immer wieder ihren Mut und ihre Furchtlosigkeit, inhaltlich kam aber wenig. Stattdessen beantworteten Geywitz und Scholz die Frage nach dem Arbeitsmarkt der Zukunft mit den alten Modellen von Sozialstaat, Arbeitsrecht, Mitbestimmung und Betriebsverfassung. Digitalisierung und Arbeitswandel wollen sie mit Tarifverträgen begegnen. Esken forderte immerhin eine mit der Strom- und Wasserversorgung vergleichbare Versorgung mit dem Internet seitens des Staates. Alles in allem: Phantasie und innovatives Denken fehlte auf beiden Seiten.

Kriterium: Klare Positionierung zur GroKo

Esken punktete mit Selbstkritik: "Die Leute sagen zurecht: Ihr schreibt tolle Dinge auf, aber an der Politik können wir nicht sehen, wo sich etwas ändert", bemängelte sie. Die logische Konsequenz liegt für die 58-Jährige im Ende der GroKo oder der Nachverhandlung des Koalitionsvertrages. Eine Fortsetzung hält sie nur unter bestimmten Bedingungen für möglich, im Detail sind das ein Mindestlohn von 12 Euro, das Ende der schwarzen Null, die Überarbeitung des Klimapaketes und ein Wegfall des Arbeitgebervetos bei der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen.

Scholz und Geywitz traten vermehrt als Verteidiger der Großen Koalition auf, lobten bisherige Leistungen und lenkten den Blick auf noch ausstehende Projekte. Geywitz zeigte sich gegenüber einer Nachverhandlung des Koalitionsvertrages skeptisch. "Wir haben noch tolle Projekte im Koalitionsvertrag", unterstrich sie. Bei einer Nachverhandlung sei zu befürchten, dass auch der Union noch ein "paar Dinge" einfallen würden.

Alles in allem: Esken und Walter-Borjans stehen der Großen Koalition zwar skeptischer gegenüber als Scholz und Geywitz, dass die Stichwahl nur eine Abstimmung über die Fortsetzung der GroKo werden wird, lässt sich aber nicht sagen. Dafür wurden genügend weitere inhaltliche Unterschiede deutlich. Einen klaren Sieger gab es am Dienstagabend im Willy-Brandt-Haus nicht. Bislang unentschlossene Parteimitglieder dürften sich von bestehenden Sympathien sowie der Zugehörigkeit zum moderaten beziehungsweise linken Parteiflügel leiten lassen.

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