Der Krieg im Nahen Osten wirkt sich längst auch auf Deutschland aus. Die Hetze gegen Israel und Juden nimmt zu. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist besorgt. Er bringt Israelis und Palästinenser, Juden und Muslime an einen Tisch - mit eindringlichen Botschaften.

Mehr aktuelle News

Vor dem 85. Jahrestag der NS-Pogromnacht von 1938 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Jüdinnen und Juden in Deutschland den Schutz durch Staat und Gesellschaft zugesagt. "Ich will Ihnen versichern, dass dieses Land nicht ruhen wird, solange Sie um Ihre Sicherheit und Sicherheit Ihrer Kinder fürchten müssen", sagte er am Mittwoch in Berlin.

Die palästinensische Gemeinschaft in Deutschland solle Raum haben, um ihren Schmerz und ihre Verzweiflung über die zivilen Opfer in Gaza zu zeigen und mit anderen zu teilen, sagte Steinmeier im Berliner Schloss Bellevue vor jüdischen und muslimischen Gästen. "Das Recht, das öffentlich und friedlich zu tun, ist von unserer Verfassung garantiert - und dieses Recht steht nicht infrage", betonte er. "Aber Terrorismus, Volksverhetzung und der Aufruf zur Vernichtung des Staates Israel sind nicht Teil dieser Garantie, und ich erwarte, dass wir gemeinsam dagegenhalten."

Der Bundespräsident forderte zu einer klaren Distanzierung von Antisemitismus und der radikalislamischen Hamas auf. Er sprach einen direkten Appell aus: "Ich bitte Sie, die Menschen mit palästinensischen und arabischen Wurzeln in Deutschland: Lassen Sie sich von den Helfershelfern der Hamas nicht instrumentalisieren! Sprechen Sie für sich selbst! Erteilen Sie dem Terror eine klare Absage!"

Deutschland sei inzwischen ein "Land mit Migrationshintergrund", und in einem solchen Land habe "gesellschaftlicher Friede Voraussetzungen". Diese Voraussetzungen müssten deutlicher formuliert werden als bisher, sagte Steinmeier.

Weitere News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Jetzt abonnieren!

Steinmeier besorgt, wie sich der Konflikt in Nahost auf Deutschland auswirkt

Steinmeier zeigte sich besorgt darüber, wie sehr die Gewalt im Nahen Osten auch den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland gefährdet. Er sei entsetzt über die Billigung des Terrors und die antisemitische Hetze auf deutschen Straßen. "Wir werden Antisemitismus in unserem Land nicht dulden - keinen alten und keinen neuen, keinen christlichen und keinen muslimischen, keinen linken und keinen von rechts", betonte der Bundespräsident.

"Wer in diesem Land lebt und leben will, der muss die Regeln für ein friedliches Zusammenleben respektieren, der muss wissen um unsere Geschichte", sagte er. "Jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, ist Staatsaufgabe und Bürgerpflicht."

Dies gelte für alle, die hier leben, betonte Steinmeier. "Ich bin überzeugt, wir müssen diesen Anspruch deutlicher formulieren als bisher. Bloße Lippenbekenntnisse reichen nicht in dieser Zeit des Terrors, des Hasses."

Sehr ähnlich äußerte sich auch die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Der Kampf gegen jede Form von Judenfeindlichkeit - von rechts, von links und islamistisch motiviert - ist unsere staatliche und bürgerschaftliche Pflicht", hieß es in einer von ihrem Büro verbreiteten Erklärung. "Juden müssen sich in Deutschland sicher fühlen können."

Steinmeier: Frieden in Deutschland ist keine Selbstverständlichkeit

Steinmeier mahnte, der innere Frieden in Deutschland sei keine Selbstverständlichkeit. "Wir müssen ihn verteidigen, wo immer wir ihn verletzt und gefährdet sehen. Und jeder und jede muss jetzt diesen inneren Frieden zu seiner persönlichen Sache machen."

Friedliche Proteste, Solidarität, Mitgefühl - all das sei "legitim und Ausdruck verfassungsrechtlich geschützter Freiheit", sagte Steinmeier. "Aber die Freiheit hat dort ihre Grenzen, wo sie in Gewalt und Hass umschlägt: Antisemitische Volksverhetzung, Angriffe auf Synagogen, das Verbrennen israelischer Flaggen sind keine Wahrnehmung von Freiheit." Sie müssten "strikt verfolgt und bestraft werden".

Unter der Überschrift "Krieg in Nahost: Für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland" hatte Steinmeier Juden und Muslime, Israelis und Palästinenser zu einem Runden Tisch ins Schloss Bellevue eingeladen - Menschen, die "Zusammenhalt leben", wie er sagte.

"Lasst euch nicht von anderen anstecken."

Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende

Unter ihnen: die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. Auf Steinmeiers Frage, welche Botschaft sie für die herausfordernden kommenden Wochen und Monate habe, antwortete die 102-Jährige mit stockender Stimme und der Weisheit ihres langen Lebens: "Seid Menschen!". Und: "Lasst euch nicht von anderen anstecken." Was geschehen sei, lasse sich nicht ändern. "Aber wenn Menschen Menschen sind, werden sie so etwas nicht machen."

Lesen Sie auch: Holocaust-Überlebende: Hamas-Terror und NS-Taten "nicht dasselbe"

Bundespräsident bringt Palästinenser und Israeli gemeinsam an einem Tisch

Eingeladen waren zum Beispiel auch der Palästinenser Jalil Dabit und der Israeli Oz Ben David, die zusammen seit Jahren in Berlin ein Restaurant betreiben. Oder der Rabbiner Elias Dray und der Imam Ender Cetin, die in Schulklassen für ein friedliches Zusammenleben der Religionen werben.

Auch der Deutsch-Israeli Shai Hoffmann und die palästinensisch-stämmige Jouanna Hassoun treten zusammen in Schulen für Verständigung ein. "Wir können den Nahost-Konflikt sowieso nicht lösen", sagte Hassoun. "Aber was wir machen können, ist: Hier in Deutschland und auch in unserer Berliner Heimat dafür zu sorgen, dass sich jüdische Menschen und palästinensische Menschen auf Augenhöhe begegnen. Das zeigen wir. Das leben wir auch vor."

Steinmeier reagierte mit dem Runden Tisch auf die Hetze gegen Israel sowie Jüdinnen und Juden beispielsweise bei Demonstrationen. Diese hat seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Gegenschlag der israelischen Armee stark zugenommen. Der Krieg hat laut Hamas-kontrolliertem Gesundheitsministerium deutlich mehr als 10 000 Palästinenser im Gaza-Streifen das Leben gekostet.

Lesen Sie auch: Islamfeindlichkeit: Wieso es vor allem an den US-Unis brodelt

Innenministerin: "Nahost-Konflikt darf nicht auf deutschen Straßen ausgetragen werden"

Die gestiegene Bedrohung für jüdische Menschen und Einrichtungen war am Mittwoch auch Thema im Innenausschuss des Bundestags, wo Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine Einschätzung zur aktuellen Lage abgab. Die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen seien nach dem Hamas-Überfall auf Israel "sofort hochgefahren worden", sagte Faeser.

Es müsse klar sein, "der Nahost-Konflikt darf nicht auf deutschen Straßen ausgetragen werden", sagte sie weiter. "Wir tolerieren nicht, dass ein islamischer Gottesstaat auf unseren Straßen propagiert wird." Der Staat werde hier notfalls mit Versammlungsverboten und "hartem polizeilichen Einschreiten" dagegenhalten. Seit dem 7.Oktober hätten die Sicherheitsbehörden bundesweit 450 pro-palästinensische und 413 pro-israelische Kundgebungen registriert. (dpa/AFP/ank)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.