• Die Lage im Norden des Kosovo spitzt sich weiter zu. Ein Militärkonvoi soll aus Serbien auf die Grenze zurollen.
  • Die jüngsten Spannungen waren an einem Streit um Nummernschilder entbrannt. Nun mischt sich auch Russland ein.
  • Droht eine Eskalation? Osteuropa-Expertin Sabina Ferhadbegović ordnet die Lage ein.

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Die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo haben eine neue Stufe erreicht: Wie mehrere Medienhäuser übereinstimmend berichten, will Serbiens Präsident Aleksandar Vučić Truppen in den Kosovo entsenden. Videoaufnahmen zeigen, wie ein serbischer Militärkonvoi auf den Kosovo zurollt. Weitere Truppenbewegungen soll Belgrad an der Grenze im Süden seines Landes am Berg Kopaonik vornehmen.

Damit reagiert die serbische Regierung auf die jüngsten Spannungen mit seinem Nachbarland, dessen unabhängigen Status Serbien nicht anerkennt. Es kam zu Straßenblockaden und Schusswechseln im Norden des Kosovo. Bei den jüngsten Zwischenfällen geht es unter anderem um einen Streit um Autokennzeichen: Der Kosovo hatte angekündigt, rund 160.000 Angehörige der serbischen Minderheit zu verpflichten, statt mit serbischen Nummernschildern nur noch mit denen des Kosovo zu fahren.

Kosovo: Festnahme eines Polizisten

Im Sommer hatte bereits eine umstrittene Maßnahme zu geplanten Grenzkontrollen im Norden des Kosovos an der Grenze zu Serbien für Spannungen gesorgt. Im überwiegend serbisch bevölkerten Norden des Landes hatten militante Serben Barrikaden errichtet und Schüsse abgefeuert. Sie erkennen die Autorität der Regierung in Priština nicht an.

In Reaktion auf die jüngsten Zwischenfälle hatten serbischstämmige kosovarische Polizisten kollektiv ihr Amt niedergelegt. Daraufhin schickte Priština Polizeibeamte der albanischen Bevölkerungsmehrheit in das Gebiet im Norden des Landes. Manche von ihnen gerieten am 9. Dezember unter Beschuss.

Dabei wurde ein Polizist "leicht verletzt [...] und am Polizeiauto entstand ein erheblicher Sachschaden", teilte die kosovarische Polizei mit. Zur Eskalation trug zudem die Festnahme eines serbischstämmigen kosovarischen Polizisten bei, der für Angriffe auf geplante Wahllokale verantwortlich gemacht wird sowie eine Zollaktion auf einem Weingut, das einer serbischen Familie gehört.

Wie reagiert die Nato?

Nachdem der Kosovo seine Polizeipräsenz verstärkt hatte, drohte Serbien immer wieder mit der Entsendung von Truppen. Die mögliche Rückkehr von bis zu 1.000 serbischen Kräften ruft auch die Nato auf den Plan. Sie unterhält in der Region seit Ende des Kosovokriegs 1999 die Sicherungstruppe KFOR. Serbien ist der Auffassung, dass die KFOR die Rückkehr der Truppen akzeptieren muss.

Dabei beruft sich Vučić auf eine UN-Resolution aus dem Jahr 1999. In ihr ist vereinbart, dass "eine kleine vereinbarte Anzahl" serbischer Militär- und Polizeikräfte in den Kosovo zurückkehren darf, um beispielsweise serbische kulturellen Stätten oder bedeutenden Grenzübergängen zu schützen. Ob die Resolution in dieser Form aber nach der Unabhängigkeit des Kosovos im Jahr 2008 noch Gültigkeit hat, ist umstritten. Dass Serbien gegen Truppen der Nato vorgehen würde, gilt als äußerst unwahrscheinlich.

Expertin warnt davor, die Lage zu unterschätzen

"Die Lage ist insgesamt aber sehr angespannt und die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen dem Kosovo und Serbien sehe ich durchaus", sagt die Osteuropa-Expertin Sabina Ferhadbegović von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Grad der Bewaffnung sei immer noch sehr hoch, weil kriegerische Auseinandersetzungen noch nicht sehr lange zurückliegen.

"Nicht alle wurden entwaffnet und über die nationalistische Rhetorik sind die Menschen schnell zu mobilisieren", sagt sie und warnt davor, die Ankündigungen als Säbelrasseln oder Machtspiel zu unterschätzen. Dennoch sei es schwer einzuschätzen, ob Serbien wirklich Truppen über die Grenze schicken werde. "Die Militärpräsenz wird jedenfalls schon seit Wochen verstärkt. Gleichzeitig sind die Menschen im Norden des Kosovo bereit, mit Gewalt zu reagieren", sagt sie.

Existenz des Kosovo langfristig gefährdet?

Ob die Existenz des Kosovo langfristig gefährdet sei, hänge maßgeblich davon ab, wer in Serbien an der Macht ist. "Die Serben im Nordkosovo werden stark für politische Ziele aus Belgrad manipuliert", beobachtet sie. Es sei Kalkül von Belgrad, sich auf die UN-Resolution aus dem Jahr 1999 zu berufen.

"Mit dem Verweis auf das internationale Recht und bereits getroffene Vereinbarungen versucht Serbien, die Legalität seiner Ansprüche auf den Kosovo zu untermauern. Die Frage ist aber, ob die Resolution überhaupt noch relevant ist, wenn wir einen inzwischen international anerkannten Staat haben", sagt Ferhadbegović . Auch Deutschland erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo an.

Gleichzeitig muss man aus Sicht der Expertin die Lage vor Ort zur Kenntnis nehmen: "Dabei geht es um Fragen der Staatlichkeit und die Frage, wer die Macht vor Ort hat. Was ist der Kosovo für ein Staat, wenn er zwar anerkannt ist, aber die Staatsgewalt auf seinem Territorium nicht durchsetzen kann?", fragt sie.

Parallelstrukturen im Kosovo

Die serbische Regierung demonstriere mit dem Konflikt, dass sie viel Einfluss auf diesem Territorium hat. "Viele in der Bevölkerung heißen diese Politik der Konfrontation und Machtdemonstration gut", sagt Ferhadbegović . Auf gewisse Art und Weise gebe der Kosovo das Territorium im Norden des Landes auf, wenn er dort kaum Zugriff habe, nicht konsequent gegen Kriminalität vorgehen könne und sich Parallelstrukturen aufbauen würden.

"Jeder legitime und legale Versuch seitens der kosovarischen Behörden, einzuschreiten, wird von Belgrad als ethnisch motivierte Gewaltanwendung gedeutet und lässt sich instrumentalisieren", analysiert die Expertin.

Russland schaltet sich ein

Es sei von außen schwierig zu durchschauen, wer welche Interessen und Ziele verfolge. Auch Russland hat sich wieder in den Konflikt eingeschaltet und Serbien seine Unterstützung zugesichert.

"Es ist möglich, dass Serbien der EU damit auch signalisieren möchte, dass es andere Fürsprecher hat", sagt Ferhadbegović. "Die Inszenierung persönlicher Beziehungen zu Putin dient Vučić auch, um seine Position innen-, aber auch außenpolitisch aufzuwerten." Serbien ist offiziell EU-Beitrittskandidat, hat aber beispielsweise in der Russlandpolitik seine Außenpolitik nicht an die der EU angeglichen.

EU muss reagieren

"Es sollten deshalb nun seitens der EU eindeutige Zeichen gesetzt werden, dass sie Serbien tatsächlich auf dem europäischen Weg sieht und einen Beitritt anstrebt", meint die Expertin. Gleichzeitig müsse die EU aber auch kommunizieren, dass die Anerkennung des Kosovo eine Bedingung dafür ist und es sich nicht mehr um serbisches Staatsterritorium handelt.

"Die EU ist handlungsfähig und kann auch Druck aufbauen", erinnert Ferhadbegović. Stichworte seien hier beispielsweise die Visa-Freiheit für serbische Bürger. Eins gelte in jedem Fall, sagt die Expertin: "Krieg und kriegerische Gewalt darf keine Option sein."

Über die Expertin:
Dr. Sabina Ferhadbegović arbeitet am historischen Institut der Universität Jena. Sie studierte osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften sowie slawische Sprache und Literatur in Freiburg.
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