Noch nie verfügten die Freiheitlichen über so viel Macht in der Regierung. Die Rechtspopulisten kontrollieren Polizei, Heer und Geheimdienste. Doch am Ende müssen sie sich gegenüber Bundespräsident Alexander Van der Bellen rechtfertigen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Auch wenn Tausende Menschen in der Wiener Innenstadt ihren Unmut über die neue Regierung kund taten: Die Proteste gegen die neue Mitte-Rechts-Regierung von ÖVP und FPÖ sind nichts verglichen mit jenen bei der Bildung der ersten schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000.

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Die anderen EU-Regierungschefs quittieren die Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten achselzuckend. Keine Rede mehr von Sanktionen.

Und auch wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen wie sein Vorvorgänger Thomas Klestil mit dem Bündnis alles andere als glücklich sein dürfte: Anders als Klestil ließ er sich davon bei der Angelobung nichts anmerken.

Sebastian Kurz zeigte sich großzügig

Und das, obwohl die im europäischen Vergleich weit rechts stehende FPÖ in dieser Konstellation mächtig ist wie noch nie. ÖVP-Chef Sebastian Kurz war bei den Verhandlungen viel großzügiger als einst Wolfgang Schüssel: Die Freiheitlichen stellen die Minister für Inneres, Verteidigung, Verkehr und Soziales sowie mit der parteinahen Publizistin Karin Kneissl die Außenministerin.

Damit besetzt die Partei fünf Schlüsselressorts: Davon hätten frühere FPÖ-Chefs nicht zu träumen gewagt. Hat sich Kurz verkalkuliert?

Zum einen war der junge Kanzler bei den Regierungsverhandlungen in einer deutlich schwächeren Position als einst Schüssel. Mit seiner frühen Absage an andere Koalitionsvarianten hatte er sich den Freiheitlichen – die im Gegensatz zur ÖVP keine Angst vor der Opposition haben – förmlich ausgeliefert.

Umgekehrt hat die FPÖ aus früheren Regierungen gelernt: Die Partei wollte sich nicht ein weiteres Mal von den Konservativen über den Tisch ziehen lassen.

Kräfteverhältnisse haben sich geändert

Doch die neue Machtfülle des Juniorpartners in der Regierung ist nicht nur das Ergebnis geänderter Kräfteverhältnisse. Davon ist zumindest Politikberater Heimo Lepuschitz – zwischen 2002 und 2006 Pressesprecher mehrerer FPÖ-Minister - überzeugt. Heute bezeichnet er sich als unabhängigen Liberalen mit guten Kontakten zur FPÖ.

Lepuschitz hält es aus Sicht beider Parteien für "hochvernünftig", einander großzügige Spielwiesen einzuräumen – in denen man sich nicht in die Quere komme: "Die FPÖ deckt den ganzen Cluster Sicherheit ab, dafür hat die ÖVP Europa, Bildung und Justiz."

Es gibt keine Spiegelressorts wie in früheren Regierungen - in denen sich jeweils zwei Minister beider Parteien gegenseitig kontrollierten.

"Jeder hat seinen Bereich, man gönnt einander den Erfolg." Damit sei das Risiko künftiger Reibungspunkte minimiert, glaubt der Politikinsider. Das sei ein Fortschritt gegenüber den rot-schwarzen Koalitionen, bei denen sich die zwei Parteien immer wieder blockierten.

FPÖ kontrolliert Bundesheer und Polizei

Was aus Sicht der Regierungskoalition vernünftig ist, jagt Kritikern schon jetzt die Schweißperlen auf die Stirn. Besonders umstritten ist, dass die FPÖ mit Verteidigungs- und Innenministerium sowohl das Bundesheer als auch die Polizei kontrolliert. Derlei galt bisher in Österreich als undenkbar – aus historischen Gründen.

Vor allem Sozialdemokraten erinnern immer noch an den Bürgerkrieg im Jahre 1934, als Armee und Polizei im Auftrag der austrofaschistischen Regierung die Arbeiterbewegung niederknüppelten.

Um ein solches Szenario auszuschließen, hat vor allem die SPÖ immer darauf gedrängt, die beiden Ministerien unterschiedlichen Parteien zu überantworten.

Das galt freilich nur in Koalitionsregierungen: In der Zeit der SPÖ-Alleinregierung besetzen Rote beide Ministerien, ebenso zuvor, als die ÖVP die absolute Mehrheit hatte.

Doch wie berechtigt sind die Ängste? "Ich würde das nicht überbewerten", sagt Lepuschitz. "Es wäre viel problematischer, wenn Justiz und Innenministerium wie unter Rot-Schwarz in der Hand einer Partei sind."

Kritik des Bundespräsidenten - hinter vorgehaltener Hand

Nicht alle sehen das so locker. Auch Bundespräsident Van der Bellen hat sich dem Vernehmen nach hinter den Kulissen höchst irritiert über die Machtfülle der Freiheitlichen im Sicherheitsbereich gezeigt. Nicht zuletzt deshalb, weil die zwei Ministerien alle drei Geheimdienste kontrollieren.

Dass es in Österreich drei Geheimdienste - Heeresnachrichtenamt, Abwehramt und Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung - gibt, liegt auch daran, dass sie sich gegenseitig kontrollieren und einen möglichen Machmissbrauch unterbinden sollten. Diese Sicherheit dürfte in Zukunft wegfallen.

Und auch wenn die FPÖ eine demokratische Partei ist: Die Freiheitlichen sind in der Vergangenheit immer wieder an an extremistischen Organisationen wie den Identitären angestreift - die von Experten Verfassungsschutz als potenziell staatsgefährdend eingestuft werden. Die FPÖ wird in Zukunft am Umgang der von ihr geführten Ressorts mit rechten Staatsfeinden zu messen sein.

Van der Bellen hat sich in diesem Punkt hinter den Kulissen massiv eingebracht. Es geht auf sein Drängen zurück, dass die Staatsanwältin Karoline Edtstadler als Staatssekretärin im Innenministerium installiert wurde – gewissermaßen als Aufpasserin.

Der Präsident hat auch durchgesetzt, dass die Geheimdienste künftig nicht nur den Ministern, sondern auch dem Kanzleramt gegenüber berichtspflichtig sind.

Van der Bellen hat in seiner Angelobungsrede für einen Ex-Grünen unerwartet freundliche Worte für die neue rechtskonservative Regierung gefunden und seine Überparteilichkeit bewiesen. Sollte er aber Gefahr für die Demokratie sehen, kann er die Regierung entlassen und Neuwahlen ausrufen.

Die FPÖ mag in der Regierung eine umfassende Machtfülle haben. Aber es ist geliehene Macht, die ihr jederzeit entzogen werden kann.

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