• Bei der Weltklimakonferenz in Scharm el-Scheich fordern Entwicklungsländer Entschädigungen für Klimakatastrophen.
  • Sie argumentieren mit dem "Verursacherprinzip", wonach die Hauptverantwortlichen für den Klimawandel auch dessen Kosten tragen sollten.
  • Die Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze verhandelt die deutsche Position bei der COP27.
Ein Interview

Frau Schulze, bei der Klimakonferenz steht diesmal auch die Klimagerechtigkeit auf der Tagesordnung. Bei den letzten Gipfeln wurden die Entwicklungsländer immer enttäuscht, wenn es darum ging, sie finanziell für Klimaschäden zu entschädigen. Warum sollte das diesmal anders aussehen?

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Svenja Schulze: Deutschland tut alles dafür, dass es diesmal anders ist. Wir sehen, welche Klimaschäden es in den Ländern gibt, die am wenigsten zu den Klimaveränderungen beigetragen haben. Diese Länder setzen auf unsere Solidarität und Unterstützung – und das mit Recht. Wir müssen dort helfen. Deshalb haben wir gemeinsam mit den V20, der Gruppe von 58 Staaten, die besonders vom Klimawandel bedroht sind wie etwa Ghana oder Bangladesch, einen globalen Schutzschirm entwickelt. Das ist ein konkretes Instrument, das bei Klimaschäden, die jetzt schon eintreten, schnell hilft.

Wie funktioniert dieser Schutzschirm?

Man muss sich das wie ein soziales Sicherungssystem vorstellen. Wir sind es in Deutschland gewohnt, dass wir Absicherungen haben – entweder privat durch eine Versicherung oder durch das soziale Sicherungssystem in Deutschland. Für 80 Prozent der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent ist das nicht der Fall. Der Schutzschirm soll schnelle Hilfe bieten. Zum Beispiel wenn eine Bäuerin durch die Dürre ihre Ernte verliert, dann springt diese Absicherung ein und sie bekommt schnell finanzielle Hilfe, um neues Saatgut zu kaufen, und muss die Arbeit in der Landwirtschaft nicht aufgeben.

Das heißt, die Bäuerin muss das Geld auch nicht zurückzahlen, sondern bekommt einen einmaligen Zuschuss aus der Versicherung ausgezahlt?

Zum Beispiel. Die genaue Ausgestaltung wird sich allerdings von Land zu Land unterscheiden. Der Schutzschirm soll verhindern, dass Menschen und Regierungen sich verschulden oder lange auf humanitäre Hilfe warten müssen. Es ist eine schnelle Hilfe, die dafür sorgt, dass zum Beispiel die Bäuerinnen nicht ihre Lebensgrundlagen verlieren. Das ist am Ende viel günstiger, als wenn man durch langes Nichtstun riskiert, dass die Menschen in Armut fallen. Wir wollen, dass die Industrieländer, die die Schäden mit verursacht haben, auch ihren finanziellen Beitrag leisten und Deutschland geht dabei voran.

Steht schon fest, mit welchem Betrag sich Deutschland an dem Schutzschirm beteiligt?

Wir werden uns mit Neuzusagen in Höhe von 170 Millionen Euro an neuen Lösungen gegen Klimaschäden beteiligen, davon rund die Hälfte als Startkapital für den Schutzschirm. Damit gehören wir zusammen mit Dänemark zu den ersten Unterstützern des neuen Schutzschirms und arbeiten daran, dass weitere Geber dazukommen.

"Auch die reichen Golfstaaten und China sind in der Verantwortung"

Machen wir es mal praktisch: Die wirtschaftlichen Folgekosten der Flutkatastrophe in Pakistan werden auf etwa 30 Milliarden US-Dollar geschätzt. Welchen Anteil daran wird Deutschland ungefähr übernehmen?

Wir haben unsere Hilfen für Pakistan nach der Flut erhöht. Aber mit dem Schutzschirm geht es ja gerade darum, Strukturen so aufzubauen, dass die Schäden gar nicht erst so groß werden. Das geht mit kluger, systematischer Vorsorge und Frühwarnsystemen. Und wenn dann im Schadensfall das soziale Sicherheitsnetz schon gespannt ist, sodass das Geld schnell fließen kann, reduziert das die Folgekosten weiter. Ich sehe übrigens auch die großen Schwellenländer oder die reichen Golfstaaten in der Verantwortung, hier beizutragen. Fast ein Drittel der globalen Emissionen kommt beispielsweise im Moment schon von China.

Können Sie schon zusagen, dass im Schutzschirm genug Geld enthalten sein wird, um die empfindlichsten Staaten gegen alle Klimakatastrophen zu versichern?

Das ist erstmal ein Vorschlag von uns, den wir mit den verwundbarsten Staaten zusammen machen. Es ist ein Versuch, Bewegung in die Diskussion um die Finanzierung von Klimaschäden zu bringen. Das funktioniert dann Schritt für Schritt. Die Entwicklungsländer haben selbst ausgewählt, in welchen besonders betroffenen Pionierländern wir mit dem Schutzschirm beginnen.

Entwicklungsländer und Beobachter sind skeptisch. Absprachen wurden seitens der Industrieländer zuletzt nicht eingehalten, zum Beispiel bei der internationalen Klimafinanzierung.

Natürlich ist Vertrauen verloren gegangen über die letzten Jahre. Die Industrieländer hatten eine Summe von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zugesagt, um diesen Ländern im Kampf gegen den Klimawandel zu helfen. Zuletzt waren es aber nur 83 Milliarden. Das kann so nicht bleiben und deswegen wollen wir Brücken bauen, indem wir ganz konkrete Vorschläge machen, wie jetzt geholfen werden kann.

Bereits jetzt entstehen enorme Kosten durch Klimaschäden und der Klimawandel wird weiter voranschreiten. Werden die Zahlungen für Klimagerechtigkeit dann ein Fass ohne Boden?

Wenn wir nichts tun, um den Klimawandel zurückzudrängen, dann wird alles noch deutlich dramatischer werden. Deshalb hat es oberste Priorität, dass Treibhausgase reduziert werden. Im zweiten Schritt kommt es darauf an, durch kluge Anpassung Klimaschäden zu minimieren. Nur wenn das gelingt, werden die Klimaschäden einigermaßen bezahlbar bleiben.

"Wir können nicht alles wiedergutmachen, was jahrelang der Welt angetan wurde"

Trotzdem werden die Kosten steigen. Viele Landstriche werden unbewohnbar. Ist das wiedergutzumachen?

Wir können nicht alles wiedergutmachen, was jahrelang der Welt angetan wurde. Das können wir überhaupt nicht leisten. Es geht darum, dass man auf dieser Klimakonferenz jetzt Lösungen findet, die konkret helfen, angefangen mit den ärmsten, verwundbarsten Ländern. Unser Vorschlag dafür ist der Klimarisiko-Schutzschirm. Er ist noch nicht die Gesamtlösung. Aber wirklich ein guter Beitrag.

Ein Weg, um Entwicklungsländern den Kampf gegen den Klimawandel zu erleichtern, wären Schuldenschnitte. Ist das auch denkbar?

Das Thema Verschuldung müssen wir unbedingt verstärkt angehen. Die Länder sind zunehmend auch bei privaten Banken verschuldet. Deren Beteiligung ist schwierig und muss verbessert werden. Aber auch China muss mitmachen. China gibt sehr viele Kredite, aber schafft bisher kaum Transparenz darüber. Das ist nicht hilfreich. Gut, dass der Bundeskanzler auch dieses Thema auf seiner Reise angesprochen hat.

Aber Sie wären bereit, Schuldenschnitte zu ermöglichen?

Deutschland bringt sich immer konstruktiv in die Verhandlungen um Schuldenrestrukturierungen ein. Wir sind aber nicht bereit, die Schulden von anderen, beispielsweise China, zu übernehmen. Gleichzeitig helfen wir verschuldeten Ländern, zum Beispiel durch Schuldenumwandlungen zugunsten von Programmen, die der Entwicklung des Landes dienen. Das hilft den Ländern, wieder mehr Handlungsspielraum zu haben.

Zur Person: Svenja Schulze wurde in Düsseldorf geboren und hat Germanistik und Politikwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum studiert. 2010 bis 2017 war die SPD-Politikerin Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. 2018 bis 2021 führte sie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. In der aktuellen Ampel-Koalition übernahm die Münsteranerin das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
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