Die Sacklers gehören zu den reichsten Familien in den USA. Ihr Vermögen baut auf einem Medikament auf, das zu den Auslösern der amerikanischen Opioid-Krise gehört. Bislang konnte sich die Familie ihrer Verantwortung entziehen. Doch wie lange noch?

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Wer regelmäßig Museen in den großen Metropolen dieser Welt besucht, stieß bis vor wenigen Jahren unweigerlich auf einen Namen: "Sackler" prangte an den Eingängen so vieler Kunsthäuser, dass er ähnlich allgegenwärtig schien wie das Notausgangsschild.

Vom gläsernen Anbau für den Tempel von Dendur im New Yorker Metropolitan Museum of Art bis hin zum Sackler-Flügel im Louvre in Paris und dem Weiterbildungszentrum im Guggenheim Museum an der Fifth Avenue in New York – die Familie, die es 2015 mit einem geschätzten Vermögen von 13 Milliarden Dollar auf die "Forbes"-Liste der 20 wohlhabendsten Amerikaner schaffte, genoss lange Zeit einen Ruf in der Kunstszene, der fast an die Medicis in der Renaissance heranreichte.

Finanziert wurden diese großzügigen Zuwendungen durch die Milliarden, die die Familie um den 2017 verstorbenen Patriarchen Raymond Sackler mit ihrem Unternehmen Purdue Pharma verdiente. Gleichzeitig ist Purdue der Grund, warum in den vergangenen Jahren nahezu alle Museen, die lange dankbar für die Unterstützung waren, den Namen Sackler von ihren Fördererlisten strichen.

Sponsorenverträge wurden gekündigt, Gelder zurücküberwiesen – eine Reaktion darauf, dass die einst gefeierten Philanthropen heute das Gesicht der wohl größten humanitären Krise in den USA sind: die Opioid-Krise, die durch Purdue Pharma maßgeblich befeuert wurde und Hunderttausende Amerikaner das Leben gekostet hat.

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Ursprung des Medikamentenimperiums liegt bei Arthur Sackler

Um das Ausmaß dieser Katastrophe zu begreifen, lohnt sich ein Blick auf die Statistik. An erster Stelle der vermeidbaren Todesfälle in den USA stehen nicht etwa Autounfälle oder Schießereien, sondern Drogenüberdosen – eine traurige Realität, die besonders für Amerikaner unter 50 Jahren gilt. Zwischen April 2020 und April 2021 allein verloren 100.000 Menschen ihr Leben durch Drogen – mehr als 270 pro Tag.

Drei Viertel dieser tödlichen Überdosen sind auf Opioide zurückzuführen, insbesondere auf das Schmerzmittel Oxycontin, das 1996 von Purdue Pharma auf den amerikanischen Markt gebracht wurde. Die Tatsache, dass das Medikament eine starke Abhängigkeit auslöst und viele Konsumenten in die Heroinabhängigkeit trieb, wurde von den Sacklers lange Zeit systematisch verharmlost.

Der Ursprung des Imperiums liegt bei Arthur Sackler und seinen Brüdern Raymond und Mortimer. Die Söhne von Einwanderern aus Polen studierten Medizin und legten den Grundstein für ihren späteren Erfolg, indem sie sich mit den biologischen Ursachen von seelischen Erkrankungen beschäftigten. Besonders Arthur zeichnete sich nicht nur durch wissenschaftliche Exzellenz aus, sondern auch durch sein Talent für Marketing.

In den 1960ern akquirierte Arthur Sackler für seine kleine Werbeagentur einen Auftrag des Schweizer Medikamentenkonzerns Roche: Er sollte das Beruhigungsmittel Valium populär machen – und machte es prompt zur rentabelsten Arznei jener Zeit.

Dazu bediente sich Sackler eines Tricks: Statt die Werbemaßnahmen auf die Patienten zu fokussieren, richtete sich seine Kampagne an renommierte Ärzte, die das Produkt empfehlen sollten. Diese Maßnahme flankierte er mit selbst bezahlten Studien, mit deren positiven Ergebnissen er wiederum Werbung machte.

Schnell wurde das Beruhigungsmittel, das vor allem Frauen verschrieben wurde, zu einem Blockbuster: Es war das erste Arzneimittel, das die Marke von einer Milliarde Dollar Umsatz knackte.

Opioid Oxycontin basiert auf Oxycodon

Den Grundstein für ihren Reichtum legten die Sacklers aber erst, nachdem sie in den 1950er Jahren die kleine Pharmafirma Purdue übernahmen, deren Hauptprodukt ein unscheinbares Abführmittel war. Unter der Führung der Sacklers begann Purdue in den 1980er Jahren ein starkes Schmerzmittel für chronisch Kranke zu entwickeln.

Dieser Zweig der Medikamentenforschung entwickelte sich damals zu einem Milliardenmarkt. Einflussreiche Lobbyverbände forderten, nicht nur Krebspatienten, sondern auch Menschen mit chronischen Schmerzen zu helfen. Im Jahr 1996 brachte Purdue schließlich das Medikament Oxycontin auf den Markt.

Das Opioid enthält den Wirkstoff Oxycodon, ein synthetisiertes Heroin, das bereits 1917 in Deutschland eingeführt wurde und schon Adolf Hitler verschrieben bekommen haben soll. Doppelt so wirkungsstark wie Morphium, ist Oxycodon berüchtigt für seine stark abhängig machenden Eigenschaften.

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Die Sacklers erkannten das Potenzial des Medikaments, nicht nur chronisch Kranken ihre Schmerzen zu nehmen. Sie wollten es an den Durchschnitts-Amerikaner verkaufen, der unter Rückenschmerzen oder Arthritis litt.

Lobbysten haben zwei Merkmale verschwiegen

Richard Sackler, Sohn von Raymond und seit 1991 Präsident des Unternehmens, griff dabei auf jene Methode zurück, mit der sein Onkel Arthur Jahrzehnte zuvor das medizinische Marketing revolutioniert hatte. Er orchestrierte eine gezielte Werbekampagne, die sich an praktizierende Ärzte richtete - und nicht die Konsumenten.

Mitte der 1990er Jahre entsandten die Sacklers eine ganze Armee von Lobbyisten, um Mediziner von den Vorzügen von Oxycontin zu überzeugen - vor allem jene, die entweder unerfahren waren oder als besonders verschreibungsfreudig galten. Ärzte, insbesondere jene mit hohem Verschreibungsvolumen, wurden mit Geschenken, bezahlten Mittagessen und Reisen beschenkt.

Der Erfolg des Medikaments beruhte aber auch darauf, dass Purdue behauptete, die Suchtgefahr von Oxycontin sei aufgrund einer speziellen Ummantelung geringer als bei anderen Mitteln. Diese sollte dazu führen, dass der Wirkstoff nach und nach freigesetzt wird und so die abhängig machende Spitzenkonzentration im Blutkreislauf verringert würde. Die Behauptung überzeugte sogar die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA, die das Medikament ohne umfangreiche Studien bereits nach weniger als einem Jahr zuließ.

Was die Lobbyisten jedoch verschwiegen, waren zwei entscheidende Merkmale. Zum einen konnte der Mechanismus, der die langsame Freisetzung des Wirkstoffs gewährleisten sollte, einfach außer Kraft gesetzt werden: Man musste die Tabletten nur zermahlen, um die Aufnahme in die Blutbahn zu beschleunigen, oder sie bei der Einnahme zerkauen. Die entsprechende Anleitung lieferte Purdue im Beipackzettel gleich mit.

Noch perfider war jedoch, dass der Konzern eine Wirkungsdauer von zwölf Stunden angab, obwohl diese nur bei acht Stunden lag. Dieser Zeitunterschied erzeugte bei vielen Konsumenten erst den künstlichen Bedarf, der sie abhängig machte.

Oxycontin wurde zum Bestseller

Für die Sacklers lohnte sich die Strategie. Mit einem Umsatz von insgesamt rund 35 Milliarden US-Dollar wurde Oxycontin zum Bestseller.

Diese Dollars tauschten die Sacklers wiederum gegen Anerkennung. Bei Entscheidungen in der Kulturszene wurden die Sacklers gerne konsultiert, Familienmitglieder erhielten Ehrenplätze an den Tischen wichtiger Persönlichkeiten.

Neben zahlreichen Museen, die von den großzügigen Spenden profitierten, zählten auch eine Reihe von akademischen Institutionen, darunter die Universitäten von Oxford und Cambridge, zu den Nutznießern. Im Gegenzug wurden in den Universitäten Räume mit dem Namensschild der Sacklers versehen.

Für die amerikanische Gesellschaft waren die Folgen jedoch verheerend. Allein zwischen 1995 und 2019 versechsfachte sich die Zahl der jährlichen Drogentoten, über 70 Prozent der Opfer sterben an Opioiden wie Oxycodon. Jeder zweite Amerikaner kennt jemanden in seinem Umfeld, der von Schmerzmitteln abhängig ist.

Im Jahr 2000 tauchten erste Berichte über den Missbrauch von Oxycontin auf, aber erst Jahre später begann die Entwicklung auch den Ruf der Sacklers zu überschatten. Opferanwälte und mehrere Bundesstaaten klagten gegen Purdue und die Sacklers und ihre Firma. Der Vorwurf: Purdue habe Menschen mit Oxycontin wissentlich in die Abhängigkeit getrieben.

2007 mussten die Firma und drei Topmanager 635 Millionen Dollar Strafe für die aggressive Vermarktung von Oxycontin zahlen – doch Richard Sackler blieb unbehelligt. 2019 meldete Purdue Insolvenz an, nachdem sich die Sacklers Dividenden in zweistelliger Milliardenhöhe ausgezahlt hatten.

US Supreme Court entscheidet 2024 über die Zukunft der Sacklers

Obwohl die Familie selbst bisher finanziell weitgehend unversehrt blieb, war der Ansehensverlust in jenen Kreisen, in denen die Sacklers einst gefeiert wurden, enorm. Dieser Verlust wurde nicht nur durch die öffentliche Diskussion über Purdues Praktiken beschleunigt, sondern auch durch die zweifelhafte Reaktion der Familie auf die Vorwürfe und fehlgeleitete PR-Kampagnen.

Sinnbildlich für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit steht etwa Richard Sacklers interne Reaktion auf die frühe Nachricht, dass in einem einzigen Bundesstaat 59 Menschen an Oxycontin gestorben waren: "Das ist nicht so schlimm. Es hätte viel schlimmer sein können."

Heute ist in der amerikanischen Öffentlichkeit, deren Licht die Sacklers lange Zeit gerne suchten, nur noch wenig von den verschiedenen Familienmitgliedern zu sehen. Das könnte sich jedoch bald ändern. Im kommenden Jahr wird der amerikanische Supreme Court darüber entscheiden, ob sich die Sacklers für insgesamt sechs Milliarden Dollar von rund 2.000 anhängigen Klagen freikaufen und im Rahmen des Vergleichs Immunität erhalten können. Eine lächerliche Summe angesichts eines Klagevolumens von insgesamt 40 Billionen Dollar. Gleichzeitig wäre es wohl die einzige Möglichkeit, dass zeitnah Geld an die Opfer fließt.

Die Sacklers müssten sich dann auch in Zukunft nicht öffentlich mit dem Medikament auseinandersetzen, das sie reich und die USA krank gemacht hat.

Verwendete Quellen

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