• Die Ukraine hatte in den vergangenen Wochen große Geländegewinne gegen die russische Armee verzeichnen können.
  • Dafür ist auch der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, verantwortlich.
  • Saluschnyj hat das ukrainische Militär nach Vorbild der Nato-Streitkräfte reformiert und bereits länger vor einem Krieg gewarnt.

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Der Aggressor hatte sich verkalkuliert. Überzeugt von seinen eigenen militärischen Fähigkeiten hatte er auf einen Angriffskrieg gedrängt und die Warnungen seiner Generäle in den Wind geschlagen. Auch als die Offensive ins Stocken geraten war, beendete der Diktator den Angriffskrieg nicht etwa, sondern verlagerte den Verstoß an eine andere Front, in der Hoffnung, Rohstoffe und strategisch wichtige Zugänge zu sichern.

Die Verteidiger hingegen waren gut organisiert, ergriffen nach anfänglichen Verlusten die Initiative und drängten die Eindringlinge Meter für Meter zurück. Am Ende war es auch die Entscheidung der politischen Führung, den Generälen freie Hand zu lassen, die die Verteidigung des Landes begünstigte.

Die geschilderte Situation trug sich so in den Jahren 1941 bis 1945 an der Ostfront zu. Adolf Hitler hatte – überzeugt von der Vorhersehung auserwählt zu sein und bestärkt durch militärische Erfolge im Westen – immer wieder die Ratschläge seines Generalstabs in den Wind geschlagen und auf weitere Offensiven an der Ostfront gedrängt, am Ende ohne Erfolg. Auf der anderen Seite war es Josef Stalins Entscheidung, seinen Generälen die militärische Führung zu überlassen und in deren Fähigkeiten zu vertrauen, die ihm den Sieg brachte.

Der warnende General

Nun sind historische Parallelen immer schwierig, aber in diesem Fall drängen sie sich geradezu auf. So ist der Handlungsort doch in großen Teilen der Gleiche und der Sachverhalt zumindest sehr ähnlich. Während der aktuelle Angriffskrieg gegen die Ukraine maßgeblich auf den persönlichen Bestrebungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zurückgeht, war die Verteidigung der Ukraine Sache des Militärs. Wie das "Time"-Magazin nach Gesprächen mit Verantwortlichen berichtet, trat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zwar nach außen hin als der Kopf des Widerstands gegen die russische Invasion auf, die Führung in strategischen Fragen überließ er aber vor allem dem Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte Walerij Saluschnyj und dessen Generalstab.

Und das offenbar zu Recht: Saluschnyj hatte bereits früh vor einer Offensive der russischen Armee gewarnt, zu einem Zeitpunkt, als die ukrainische Politik und große Teile der westlichen Regierungen noch nicht an einen Angriffskrieg glaubten. Der General hatte seine Erfahrungen beim Kampf gegen die Separatisten im Donbas gemacht und war überzeugt, dass ein Krieg in der Luft lag. Im Juli 2021 wurde Saluschnyj vom Präsidenten zum Oberkommandierenden ernannt. Für viele eine überraschende Entscheidung. Der 49-Jährige war deutlich jünger als die meisten anderen Kandidaten für den Posten. Im Gegensatz zu vielen ukrainischen Generälen, auch dem Chef der Landstreitkräfte Oleksandr Syrskyj, hatte er weder in der Sowjetarmee gedient, noch an einer russischen Militärakademie gelernt.

Reformierung der Streitkräfte

Diese mangelnde Erfahrung war sehr wahrscheinlich auch ein Grund für seine Ernennung. Selbst ein Quereinsteiger und relativ jung ins Amt gekommen, machte Präsident Selenskyj es sich zur Aufgabe, etablierte Strukturen aufzubrechen und den Newcomern eine Chance zu geben. Saluschnyj setzte in der ukrainischen Armee auf breiter Ebene das um, was er zuvor in seinen Einheiten gelehrt hatte und für die richtige Strategie im Kampf gegen die drohende russische Invasion hielt. Er schaffte die strikte Unterordnung unter die Befehlsgewalt der Generäle ab und führte ein Klima der Eigenverantwortung der unteren Offiziersränge ein. Sie sollten selbst entscheiden, ob, wie und wann sie russische Truppen angriffen und mit welchen Mitteln.

Als die Offensive schließlich im Februar startete, ging Saluschnyjs Plan auf. Mit einer Mischung aus Guerilla-Taktik und Desinformationskampagne verteidigte die ukrainische Armee die Hauptstadt. Das ukrainische Militär ließ dabei zu, dass russische Einheiten bis tief in ukrainisches Territorium vorstießen und griffen dann die Versorgungseinheiten und Panzerkolonnen an. Zentral dabei auch: Panzerabwehrraketen wie die amerikanischen "Javelin"-Modelle. Für die Ausbildung an diesen Waffensystemen hatte Saluschnyj persönlich gesorgt und implementierte sie in seine Strategie.

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Der eiserne Spaßvogel

Westliche Militär-Experten wie Politiker waren überrascht von den Fähigkeiten und Erfolgen der klar unterlegenen ukrainischen Armee. Als diese schließlich im Sommer öffentlich eine Offensive im Süden des Landes ankündigte, erklärten zahlreiche Beobachter, dass die bisherige Strategie für die Offensive unbrauchbar sei und stellten das Gelingen infrage. Der angekündigte Angriff im Süden stellte sich indes als Finte heraus, die Ukrainer attackierten im Nordosten und errangen einen spektakulären Sieg gegen die russischen Eindringlinge. Seither ist Saluschnyj ein Star in der Ukraine. Er wird als "eiserner General" verehrt.

Ob seine Ambitionen über das Militär hinausragen? Eine Gemeinsamkeit hat er mit dem amtierenden Präsidenten Selenskyj. Als kleiner Junge wollte Saluschnyj gerne Komiker werden, gilt in der Armee als Spaßvogel und Garant für gute Laune. Bis sich diese Frage ernsthaft stellen wird, ist aber noch ein weiter Weg. Denn er wird im Militär gebraucht. Wie der General zuletzt erklärte, geht er davon aus, dass der Krieg noch weit ins nächste Jahr andauern wird. Vielleicht sogar noch länger. "Unser Sieg wird nur eine Atempause vor dem nächsten Krieg gegen Russland sein", sagte er dem "Time"-Magazin.

Verwendete Quellen:

  • Time.com: Inside the Ukrainian Counterstrike That Turned the Tide of the War
  • Washingtonpost.com: Battle for Kyiv: Ukrainian valor, Russian blunders combined to save the capital
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