Islamwissenschaftler Ralph Ghadban warnt vor Clans in Deutschland. Im Interview erklärt er, was arabische Clans von anderen Großfamilien unterscheidet, weshalb SPD-regierte Bundesländer für Clans attraktiv sind und wie der Steuerzahler kriminelle Großfamilien mitfinanziert.

Ein Interview

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In immer mehr Städten kämpfen Behörden gegen kriminelle Großfamilien. Wie ist ein Clan definiert?

Ralph Ghadban: Ein Clan ist eine Großfamilie, die als Sippe organisiert ist. Er unterscheidet sich von der klassischen Großfamilie dadurch, dass er eine stärkere interne Solidarität aufweist und sich mit der Blutrache von der Außenwelt abgrenzt.

Welche sind die wichtigsten arabischen Clans in Deutschland?

Die ethnische Gruppe der Mhallamiya ist in Clans organisiert, die mehrere Hunderte bis Tausende von Mitgliedern umfassen. Andere arabische Gruppen wie Libanesen und Palästinenser bestehen nur aus Großfamilien, die mehr oder weniger solidarisch sind. Sie kennen keine Blutrache.

Was unterscheidet arabische Großfamilien von anderen Clans, etwa aus Albanien oder dem Kosovo?
In den islamischen Ländern des Nahen Ostens bildet die Großfamilie die Grundeinheit für die soziale Organisation. Aber die Migranten aus Albanien, dem Kosovo sowie aus Tschetschenien und den kurdischen Gebieten in der Türkei weisen ebenfalls Clanstrukturen auf. Nach der massiven Einwanderung aus diesen Gebieten ab 2015 und der Familienzusammenführung werden sich deshalb ähnliche Großfamilien und Clans herausbilden.

Wieso ist Deutschland für Clans überhaupt attraktiv?
Mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Libanon kamen ab 1975 die ersten Clans nach Deutschland. Die Verschärfung des Asylrechtes hat ihre Integration verhindert. Da sie nicht abgeschoben werden konnten, haben sie ihre Clanstrukturen erhalten und ausgebaut.

Auf welche Bereiche der Kriminalität konzentrieren sich die Clans?
Die Clans haben schnell gemerkt, dass ihnen ihre Gruppenauftritte in einer individualisierten Gesellschaft große Vorteile verschaffen. Der Einzelne ist ihnen praktisch ausgeliefert. Raubüberfälle, Drogenhandel, Schutzgelder, Prostitution: Überall, wo es etwas zu holen gibt, waren sie vertreten. In den letzten Jahren floriert für die Clans jedoch die Geldwäsche. Deshalb investieren sie in Restaurants, Shisha-Bars, Bäckereien und Immobilien.

Gibt es Parallelen zwischen den Clans und der Mafia?

Die Mafia gehört zur organisierten Kriminalität, die, anders als es bei Clans der Fall ist, auf Freiwilligkeit beruht. Personen kommen zwanglos zusammen, um eine Straftat zu planen und zu begehen. Bei der Clankriminalität gibt es diese Freiwilligkeit nicht. Das Clanmitglied wird in den Clan hineingeboren und ist angehalten, mit seinen Verwandten solidarisch zu sein und über die Straftaten zu schweigen. Mit der Mafia unterhalten die Clans aber geschäftliche Beziehungen, insbesondere im Drogenbereich, wo sie von den internationalen Versorgungsnetzwerken der Mafia profitieren.
Auffällig oft sind Clans in Bundesländern aktiv, die derzeit oder in der Vergangenheit von der SPD regiert wurden, etwa in Niedersachsen, Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Ist das Zufall?

Die genannten Länder haben in der Vergangenheit oft einen Abschiebestopp für Libanon-Flüchtlinge erlassen. So erhielten die abgelehnten Asylbewerber eine Duldung. Die Neuankömmlinge erhielten auf Antrag ebenfalls eine Duldung. Sie umgingen damit das reguläre Asylverfahren sowie das Verteilungssystem auf andere Bundesländer.

Das heißt, in den südlichen Bundesländern, die häufig von Christdemokraten regiert werden, gibt es keine Clans?

Doch, aber keine arabischen. In den südlichen Bundesländern kommen die Clans eher aus den Balkanstaaten.
Wieso ist der Staat gegenüber den Clans machtlos?
Am Anfang ahnte niemand, dass von Großfamilien eine Gefahr ausgehen könnte. Später, mit der Verbreitung von Multikulti in Deutschland, wollte man keine ethnischen Minderheiten stigmatisieren und diskriminieren. So durfte die Polizei beispielsweise keine ethnischen Daten in Verbindung mit der Kriminalität erheben. Damit war die Clankriminalität nicht mehr sichtbar und für die Ahndung ihrer Straftaten nicht mehr fassbar.

NRW-Innenminister Herbert Reul will die Clans mit kleinen, unangenehmen Maßnahmen bekämpfen. Beispielsweise will er rigoros Hygienemängel in clan-geführten Shisha-Bars verfolgen. Ist das eine kluge Strategie?

Diese Maßnahmen sollen bei den Bürgern ein Gefühl der Sicherheit erzeugen. Ihre Effektivität ist aber aus zwei Gründen eingeschränkt: Erstens, weil sich Verwaltung und Opposition nach wie vor einer ethnischen Erfassung der Kriminalität widersetzen und zweitens durch das mangelhafte Gesetz für die Vermögensabschöpfung, das keine nützliche Beweislastumkehr beinhaltet…

…also eine Situation, in der die Clans belegen müssten, dass sie fragwürdiges Eigentum legal erworben haben.

Deshalb mussten die Behörden in der Vergangenheit beschlagnahmte Autos zurückgegeben. In Berlin ist es noch schlimmer. Der Staat hat Immobilien beschlagnahmt, die Mieten fließen aber weiter zu dem Clan. Wenn dann die Heizung defekt ist oder andere Reparaturen anfallen, muss der Staat mit Steuergeldern einspringen.

Dr. Ralph Ghadban (69), geboren im Libanon, gehört zu den profiliertesten Migrationsforschern Deutschlands. Er war Mitglied der ersten Deutschen Islamkonferenz sowie Mitgründer des Muslimischen Forums Deutschlands. Ghadbahn forscht und publiziert seit Jahrzehnten zu Clans, zuletzt erschien sein Buch "Arabische Clans - Die unterschätzte Gefahr" (Econ, 18 Euro).
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