• "Vieles ist liegen geblieben", urteilt Karl Lauterbach über die Versäumnisse der Gesundheitspolitik.
  • In einer SAT.1-Talkrunde zum Start der neuen "Doc Caro"-Dokureihe spricht der Gesundheitsminister über die deutschen Krankenhäuser.
  • Wären die ein Patient, so schwebte er in Lebensgefahr.

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Die Talkrunde bei "SAT.1 Spezial - Krankenhäuser am Limit" wurde als Pilot-Sendung zur neuen Dokuserie "Doc Caro - Einsatz mit Herz" (ab 6. Oktober fünfmal donnerstags um 20.15 Uhr) geschaltet. Deren Protagonistin ist die Notfallmedizinerin Dr. Carola Holzner. Die ist nicht nur leidenschaftliche Ärztin, sondern auch zweifache Mutter, Autorin und eine während der Corona-Pandemie als "Doc Caro" bekannt gewordene "Medizin-Influencerin".

Im Studio bei SAT.1-Allzweckwaffe Matthias Killing nahm sie mit Intensivpfleger Ricardo Lange Gesundheitsminister Karl Lauterbach in die Mangel. Allerdings in die freundliche: Prinzipiell steht Lauterbach nämlich bei vielen Positionen auf der Seite der beiden anderen. "Ich verstehe, wir tun zu wenig. Ich kenne die Anliegen und ich finde sie richtig und wichtig." Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Es wird noch Zeit vergehen, bis sich die Situation nachhaltig verbessert.

Mühevolle Suche nach einem freien Intensivbett

"Die Situation": Es fehlt an Personal - und zwar in den Notaufnahmen (in 98 Prozent aller Krankenhäuser), bei Pflegekräften (bundesweit fehlen mindestens 290.000) wie auch bei den Ärzten. Die Intensivbetten sind knapp, es gibt 2.000 weniger als 2021. Das heißt konkret: Aufgrund fehlender Pflegekräfte können 2.000 Intensivbetten nicht mit schwerkranken Patienten gefüllt werden. Denn die Betten sind vorhanden. Die Pfleger aber nicht.

Das heißt im Alltag von "Doc Cora", dass sie zwar einen nach Kreislaufkollaps ohnmächtigen Mann notfallmedizinisch aufpäppelt, dann aber geschlagene 60 Minuten telefonieren muss, um ein Krankenhaus zu finden, das ein Intensivbett zur Verfügung stellen kann. Eine Stunde, in der man anderen Kranken helfen könnte.

Lauterbach: "Kein Versäumnis von mir oder Spahn, sondern Ländersache"

Es hakt an allen Ecken und Enden, denn nicht nur die Pflegekräfte arbeiten Oberkante Unterlippe. Auch die Ärzte sind im Stress, denn auch da gibt es zu wenige. Vor allem deutschsprachige. Da erwartet Minister Lauterbach "einen dramatischen Mangel". Weil die Länder sich weigern, mehr interessierte junge Menschen Medizin studieren zu lassen. "Sie wollen die Ausbildung nicht finanzieren." Das Problem ist weder unbekannt noch neu. Aber, so Lauterbach, "das ist kein Versäumnis von mir oder Spahn oder einem anderen Vorgänger, es ist einfach Ländersache".

Der Teufelskreis geht weiter: Der Ärztemangel führt dazu, dass den Menschen immer häufiger der Hausarzt als erster kompetenter Ansprechpartner fehle. Also wähle der von Schmerzen geplagte Mensch gleich die 112 oder gehe in die Notaufnahme - wo sich dann in 43 Prozent aller Fälle herausstelle, dass der Patient kein medizinischer Notfall sei. "Diese Überflutung der Notaufnahmen muss man stoppen", forderte Doc Caro.

Krankenkassen torpedieren Lauterbachs Beschlüsse

Das würde Lauterbach auch gerne tun. Da kämpft er aber gegen Windmühlen, die von finanziellen Interessen angetrieben werden. Krankenhäuser halten Notaufnahmepatienten nämlich gerne mal über mindestens eine Nacht unter stationärer Obhut, auch wenn eigentlich gar kein Notfall vorliegt - weil man da mehr abrechnen kann. Und auch der größere Schwund an Pflegekräften im Vergleich zu den Ärzten ist monetär erklärbar: Weniger Ärzte bedeutet weniger abrechenbare Fallpauschalen. Weniger Pflegepersonal bedeutet für das Krankenhaus Einsparung.

Lauterbach hat sogar schon Beschlüsse auf den Weg gebracht, die Abhilfe schaffen sollen. Kliniken, die Pfleger einstellen, sollen belohnt werden. Blöd nur, dass die Krankenkassen die Umsetzung so lange wie möglich hinauszögerten. Lauterbach ist nicht einmal fassungslos: "Das ist normal." Zwischenfazit: Wir sind auf dem richtigen Weg, aber der Weg wird nur langsam und noch sehr lange zu beschreiten sein.

Herzdruckmassage demnächst als Kurs in der Schule?

Doc Caros besonderes Steckenpferd ist es, für die Idee zu kämpfen, dass Erste-Hilfe- und Reanimationsmaßnahmen schon in der Schule gelehrt werden. Das hat in Dänemark einen durchschlagenden Erfolg gehabt, wo die erfolgreichen Lebensrettungen enorm anstiegen. Holzner, die gleich in der Pilotfolge einem 61-jährigen Mann auch deshalb das Leben retten kann, weil Ersthelfer einen tollen Job machten, findet in Lauterbach da einen absoluten Befürworter. Auch er rettete bereits einem Menschen durch eine Herzdruckmassage das Leben. "Ich muss nicht gewonnen werden, ich bin für die Idee."

Das Problem hier: "Bei der Schule endet meine Zuständigkeit", muss Lauterbach passen. "Das ist Ländersache. Und die Länder sind träge." Bisher machen Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und sporadisch das Saarland mit, aber keineswegs verpflichtend. Zu wenig angesichts der Problematik. Holzner: "Die Erkenntnis, dass es jeden treffen kann, ist noch zu wenig verbreitet." Sie forderte von Lauterbach mehr Unterstützung ("Ich brauche da mehr Rückendeckung.") und erntete ein Versprechen. "Ich gehe da noch mal ran." (tsch)

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