• Die zehnjährige Tochter von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un wurde unlängst der Öffentlichkeit präsentiert.
  • Internationale Experten sehen darin ein Indiz, dass der Machthaber sie in Stellung bringen will.
  • Auch Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong soll Machtansprüche haben.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wenig ist bekannt über das Innenleben einer der letzten verbliebenen kommunistischen Diktaturen der Welt. Nordkorea gilt als das politisch restriktivste System der Gegenwart, mit einer Regierung, die so autoritär herrscht wie keine andere. Es ist ein Land, das kaum hinter seine Kulissen blicken lässt. Wenn überhaupt Bilder und Informationen herausdringen, dann sind sie meistens von der nordkoreanischen Propaganda überprüft oder gesteuert.

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Wie es in Kim Jong-uns Machtapparat wirklich aussieht, weiß im Westen daher kaum jemand. Das undurchsichtige Geflecht aus Generälen und Teilen der Kim-Familie herrscht seit 1948 und wird von Machthaber Kim Jong-un kontrolliert. Die Kim-Dynastie wird kultisch verehrt, findet sich in Schulbüchern, Statuen und als zentraler Punkt der Propaganda wieder.

Öffentliche Auftritte von Kim Jong-uns Tochter

Mit viel internationalem Interesse wurden daher die öffentlichen Auftritte von Kim Jong-uns 10-jähriger Tochter Kim Ju-ae beobachtet. Ju-ae war zunächst im November bei einem Raketen-Test präsentiert worden und zuletzt auch bei einem Fußball-Spiel zu Ehren von Kim Jong-uns verstorbenem Vater Kim Jong-il.

Laut Informationen der "Bild"-Zeitung soll Nordkoreas Diktator sogar verordnet haben, dass alle Mädchen, die denselben Vornamen tragen wie seine Tochter, umbenannt werden sollen. Auch auf Briefmarken soll sie zu sehen sein, was internationale Experten als Zeichen werten, dass Ju-ae als mögliche Nachfolgerin für Kim Jong-un in Stellung gebracht werden soll.

Inszenierung für die Propaganda

Nordkorea-Expertin Elisabeth I-Mi Suh von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist skeptisch und hält die Auftritte für "Propaganda-Stunts". Gegenüber unserer Redaktion erklärte sie: "Kim Jong-un zeigt sich als fürsorglicher Vater und moderner Führer - beides ist wichtig in Nordkoreas Propaganda, um der Bevölkerung auch Fürsorge und Modernität zu vermitteln."

So wie Kim Ju-ae dargestellt würde, sei allerdings nicht klar, ob sie wirklich als Nachfolgerin vorbereitet wird. Dass manche im Ausland darüber spekulieren, sei für das Regime jedoch möglicherweise praktisch, da es das Weiterbestehen des Regimes durch die Kim-Familie implizieren würde.

Welche Rolle spielt Kim Jong-uns Schwester?

Neben Kim Ju-ae existiert noch eine weitere Frau in der Kim-Familie, die Machtansprüche anmelden könnte: Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong, Mitglied des Politbüros und stellvertretende Direktorin für Propaganda. Auch sie wird seit 2018 vermehrt der Öffentlichkeit präsentiert, war unter anderem als "schönes Gesicht Nordkoreas" zu den Olympischen Winterspielen nach Südkorea gereist.

Im Juni 2020 zeigte Yo-jong dann aber auch ein anderes Gesicht, als sie das Verbindungsbüro, ein Symbol der Zusammenarbeit der beiden Staaten Nord- und Südkorea, in die Luft jagen ließ. Bereits im Juli 2016 hatten die Vereinigten Staaten Yo-jong für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Sie soll Folter sowie Vergewaltigungen in Gefängnissen gebilligt haben. In Sachen Grausamkeit scheint die 33-Jährige ihrem Bruder in nichts nachzustehen.

Nordkorea-Expertin Elisabeth I-Mi Suh: "Man weiß, dass Kim Yo-jong und Kim Jong-un sehr eng sind - sie ist seine jüngere Schwester, beide haben in Bern im Internat gelebt beziehungsweise sind dort zur Schule gegangen."

Abstammung der Kim-Familie

Laut nordkoreanischer Propaganda entspringt die Kim-Familie einer heiligen Blutlinie und hat einen heiligen Familien-Berg, den Paektusan an der Grenze zu China. "Nordkorea ist eine Partei- und Militärdiktatur, die seit Gründung 1948 um die Kim-Familie gestrickt ist. Die Propaganda ist nach wie vor voll mit Entstehungsmythen, die schlichtweg argumentieren, dass Nordkorea nur dank der Kim-Familie existiert, sich über die Jahrzehnte verteidigen konnte und jetzt zu Rang und Namen kommt", sagt die Expertin. Ein künftiger Machthaber kann in dieser Logik daher nur der Kim-Dynastie entstammen.

In der Vergangenheit kam es innerhalb der Familie immer wieder zu Konflikten, die auch blutig ausgetragen wurden. 2013 ließ Machthaber Kim Jong-un seinen Onkel Jang Song-thaek ermorden, aus Angst, dieser könnte ihm gefährlich werden.

2017 wurde sein Halbbruder Kim Jong-nam in Malaysia ermordet. Dieser war bereits früher bei seiner Familie in Ungnade gefallen, lebte im Ausland und war laut Informationen des "Wall Street Journal" ein Informant der CIA. Auch hier wird der Diktator als Auftraggeber des Anschlags vermutet.

Kim Jong-uns Paranoia

Der Diktator von Nordkorea gilt als extrem machtbewusst, brutal und möglicherweise auch etwas paranoid. Direkt zu Beginn seiner Regentschaft ließ er den Generalstab säubern, um seinen Machtanspruch zu untermauern und mögliche Rivalen loszuwerden. Die BBC verglich das Vorgehen damals mit den stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion in den 1930er-Jahren.

Nordkorea-Expertin Elisabeth I-Mi Suh: "Im nordkoreanischen Regime herrscht konstante Paranoia um Regimesicherheit, von internen Bedrohungen - Regime Insidern, die einen Politikwechsel oder einen Coup versuchen könnten - bis zu externen Bedrohungen, etwa ein Angriff der USA oder Südkoreas."

Nordkoreas Raketenprogramm

In jedem Fall ist es unwahrscheinlich, dass ein Wechsel an der Spitze Nordkoreas auch in ferner Zukunft für einen Wechsel der Politik stehen könnte. Bereits nach dem Tod von Kim Jong-il 2011 war gehofft worden, dass sein Sohn Kim Jong-un für einen neuen, freundlicheren Regierungsstil und eine Öffnung des Landes stehen könnte.

Bereits nach kurzer Zeit war allerdings klar, dass auch Kim Jong-un die autoritäre Machtpolitik und das Atomwaffenprogramm fortsetzen und für dieselbe Politik wie sein Vater stehen würde. Und das soll wohl auch so bleiben: Die Anwesenheit von Kim Jong-uns Tochter Kim Ju-ae bei einem Raketentest im vergangenen November ist laut Experten ein Signal, dass das Atomprogramm auch in Zukunft existenzieller Bestandteil der Herrschaft der Kim-Familie sein wird.

Über die Expertin:
Elisabeth I-Mi Suh ist Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Sie forscht unter anderem zu Nordkoreas Nuklearwaffenprogramm und Verhandlungsstrategie sowie zu innerkoreanischen Beziehungen zu militärischer Vertrauensbildung.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Elisabeth I-Mi Suh
  • Jung h. Pak: Kim Jong-un. Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik. Köln, 2020.
  • politik.watson.de: CIA-Analystin über Kim Jong-un: "Er ist gefangen"
  • spiegel.de: Großer Auftritt fürs "geliebte Kind"
  • focus.de: Bericht aus Nordkorea: Diktator Kim verfütterte Onkel bei lebendigem Leib an 120 Hunde
  • bild.de: Nordkorea-Kim lässt Frauen und Mädchen umbenennen
  • bbc.com: North Korea 'executes' army chief of staff Ri Yong-gil
  • wsj.com: North Korean Leader’s Slain Half Brother Was a CIA Source
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