Lange spielte sie in der Öffentlichkeit keine Rolle, vor etwa zwei Jahren betrat sie erstmals die Weltbühne: Seitdem ist die Karriere von Kim Yo Jong, der Schwester des nordkoreanischen Machthabers, Kim Jong Un, steil verlaufen. Wie mächtig ist die 33-Jährige? Uwe Schmelter, Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft, gibt Antworten.

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Es ist eine neue Eskalation in den Spannungen zwischen Nordkorea und Südkorea, die in den vergangenen Tagen wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt sind: Der Rücktritt des südkoreanischen Vereinigungsministers Kim Yeon-chul. Damit reagiert das Land unter Präsident Moon Jae-in auf die Sprengung eines Verbindungsbüros nahe Kaesong, die Pjöngjang am Dienstagnachmittag angeordnet hatte.

In den Medien oft als "Drahtzieherin" oder "Anheizerin" bezeichnet soll Kim Yo Jong – die Schwester des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un – maßgeblich an der Entscheidung zur Eskalation beteiligt gewesen sein. Noch kurz zuvor hatte die 33-Jährige provozierende Worte in die Richtung ihres südkoreanischen Nachbarn auf der Halbinsel gerichtet.

Kim Yo Jong: Steile Karriere der Diktatoren-Schwester

Als sie das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit im Jahr 2018 das erste Mal betrat, war der Welt ihre Rolle noch nicht vollständig bekannt. Damals vertrat Kim Yo Jong ihren älteren Bruder bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang.

Seitdem haben Kim Yo Jong und ihre Rolle Profil angenommen: "Sie ist seit Längerem ein sehr hochrangiges Mitglied der Regierungsnomenklatura mit großem politischem Einfluss", sagt Korea-Experte Uwe Schmelter. Der "Kultur- und Polit-Diplomat" lebte selbst lange in Seoul und war unter anderem Regionalleiter der Goethe-Institute in Ostastien.

Schmelter sagt: "Kim Yo Jongs Karriere verlief steil: 2015 wurde sie zur Direktorin des Ministeriums für Propaganda und Agitation ernannt, 2016 wurde sie erste stellvertretende Abteilungsleiterin im Zentralkomitee der Arbeiterpartei Koreas (PdAK), seit 2019 ist sie auch Mitglied des Parlaments. Offiziell steht sie im Rang einer Vize-Ministerin."

Festigung der Kim-Dynastie

Als Schwester des Führers habe sie zusätzliches politisches Gewicht auf diesem hohen Posten. "Kim Yo Jong steht in der direkten Nachfolge des Staatsgründers Kim Il-sung und erhält somit neben ihrem Bruder die Blutlinie der Kim-Dynastie innerhalb der Staatsführung", so der Korea-Experte.

Damit ist auch der Nutzen ihres Machtzuwachses erklärt: "Die Präsenz der Kim-Dynastie wird durch sie zusätzlich verankert. Jetzt zählt sie zwei Personen im obersten Führungszirkel."

Wie aber sieht ihr Rückhalt außerhalb des Kim-Clans aus? "Diese Frage ist sehr durch unsere Optik gestellt", warnt Schmelter. Sie sei in Bezug auf geschlossene Regime, wie es in Nordkorea der Fall ist, nur schwer zu beantworten.

"Wer das Sagen hat, hat die Unterstützung", sagt der Experte. Was der Nomenklatura zumindest gefallen dürfte: Kim Yo Jong lässt ihren Worten und Drohungen Taten folgen – das hat sie jüngst bewiesen.

"Sie spricht nun seit einiger Zeit auch öffentlich und schriftlich für die Regierung", erläutert Schmelter. So erfolgte die Antwort auf die Rede des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, welche dieser anlässlich des 20. Jahrestages des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens gehalten hatte, durch Kim Yo Jong.

"Cleverer Profi, die ihren Job macht"

"Sie hat in aller Schärfe deutlich gemacht, dass Nordkorea verärgert ist, weil Moon Jae-in seine Rede nicht genutzt hat, um sich für die Ballonkampagne von Ende Mai zu entschuldigen", erklärt Schmelter. Gemeint ist eine Flugblatt-Aktion, bei der Aktivisten und nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea kritische Flugblätter nahe der Grenze Richtung Norden geschickt hatten – im Rahmen des Annäherungsprozesses hatte man sich bereits 2018 auf die Unterlassung solcher Aktionen geeinigt.

Als eine "Drahtzieherin" will Schmelter Kim Yo Jong trotzdem nicht bezeichnen, Entscheidungen treffe auch in Nordkorea niemand alleine. Aber: "Die Frau ist ein Profi und macht ihren Job so, wie es in Nordkorea erwartet wird."

Sie sei unter anderem dafür zuständig darauf zu achten, in welcher Form der Führer dargestellt werde und ob ihm genügend Respekt, Rückhalt und Verehrung zuteilwerden. "Entsprechend ist die Sprache, die sie verwendet", sagt der Experte. Kim Yo Jong sei tough, clever, weltgewandt und als studierte Informatikerin bestens ausgebildet. Gemeinsam mit ihrem Bruder besuchte die Nordkoreanerin eine Privatschule im schweizerischen Bern.

Kandidatin für die Nachfolge?

Kein Wunder also, dass die 33-Jährige angesichts ihres Erfolges als potenzielle Nachfolgerin von Kim Jong Un im Gespräch ist. Schmelter aber meint: "Im Augenblick braucht man sich keine Gedanken über die Nachfolge von Kim Jong Un zu machen, auch wenn es immer wieder Spekulationen über seinen Gesundheitszustand gab."

Durch den Amtsantritt des vermutlich 35-Jährigen sei eine extreme Verjüngung im Machtapparat erfolgt, die durch die Beförderung seiner Schwester weiter unterstrichen werde. "Für den Ernstfall ist aber sicherlich vorstellbar, dass sie Kim Jong Un im Amt nachfolgt", sagt Schmelter.

Dass mit ihr dann eine Frau an der Spitze im konservativen Nordkorea stehen würde, hält Schmelter für kein Ausschlusskriterium. "Die ostasiatischen Länder sind seit hunderten von Jahren gesellschaftliche Matriarchate, auch wenn Frauen nicht immer so sehr in der Öffentlichkeit stehen", erklärt Schmelter. Die Arbeitsebene sei maßgeblich von Frauen geprägt. "Viel wichtiger ist, dass die Blutlinie der Dynastie nicht unterbrochen wird", ergänzt er.

Fokus wieder auf Annäherung legen

Worauf sollten Beobachter also in der nahen Zukunft blicken? "Wir sollten uns in Europa weniger stark auf Kim Yo Jong als Person konzentrieren, sondern vielmehr wieder den Annäherungsprozess zwischen Nord- und Südkorea in den Blick nehmen", rät Experte Schmelter.

Dieser hätte in der westlichen Welt zunächst viel verbale Unterstützung gefunden, zuletzt sei aber an konkreter Hilfe zu wenig passiert. "Gleichzeitig haben sich Deutschland und die EU völlig der amerikanischen Linie verschrieben", analysiert Schmelter.

Genau darauf basiert aber Nordkoreas Enttäuschung und Verärgerung: "Es herrscht großer Frust auf Seiten Nordkoreas, denn die Gespräche zwischen beiden koreanischen Staaten und vor allem den USA kommen nicht voran", erklärt Schmelter. Nordkoreas Machthaber hatte sich dabei wirtschaftlichen Profit erhofft, auch die Bürger hegten große Hoffnungen.

"Wir müssen uns also fragen, was wir tun können, um von Eskalation wieder zu Annäherung zu kommen", empfiehlt Schmelter. An einem nachhaltigen "Status Quo" der friedlichen Koexistenz auf der koreanischen Halbinsel sei schließlich die ganze Welt interessiert.

Über den Experten: Dr. Uwe Schmelter ist Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft und lebte als Kulturmanager unter anderem sechs Jahre in Seoul (Südkorea). Seit über 20 Jahren ist er als kulturpolitischer Mittler und Brückenbauer in, mit und zwischen beiden koreanischen Staaten aktiv.
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