• Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich zum vermutlich letzten Mal bei der traditionellen Sommer-Pressekonferenz den Fragen der Journalisten.
  • Dabei räumt sie Versäumnisse beim Kampf gegen den Klimawandel ein.
  • Außerdem spricht sie über Hochwasser, die aktuelle Corona-Entwicklung in Deutschland und ihre Anfänge in der Politik.

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Kurz vor Ende ihrer Amtszeit hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Versäumnisse und Enttäuschungen in der Klimaschutz-Politik eingeräumt. Gemessen an dem Ziel, den weltweiten Klimaanstieg bis auf zwei Grad zu begrenzen, sei während ihrer Kanzlerschaft "nicht ausreichend viel passiert", sagte Merkel am Donnerstag bei ihrer Sommer-Pressekonferenz in Berlin. "Deshalb muss das Tempo angezogen werden."

Merkel betonte zugleich ihren persönlichen Einsatz für den Kampf gegen die Erderwärmung. "Ich bin der Meinung, dass ich sehr viel Kraft für den Klimaschutz aufgewandt habe", sagte sie. "Und trotzdem bin ich ja mit wissenschaftlichem Verstand ausreichend ausgerüstet, um zu sehen, dass die objektiven Gegebenheiten erfordern, dass man in dem Tempo nicht weiter machen kann, sondern schneller werden muss."

Merkel über die Politik: "Das habe ich mir alles leichter vorgestellt"

Die Kanzlerin wies zugleich darauf hin, dass es weltweit großen Widerstand gegen einen effizienten Klimaschutz gibt - etwa bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolls von 1997. "Ich habe viele Enttäuschungen erlebt damals", sagte Merkel.

Sie habe "sehr, sehr viel Kraft in meinem politischen Leben dafür eingesetzt, Mehrheiten dafür zu finden, dass wir wenigstens diesen Weg gehen konnten". Dies habe "eigentlich meine gesamte politische Arbeit geprägt".

Rückblickend sagte Merkel über ihre Anfänge auf der politischen Bühne mit einem Lachen: "Das habe ich mir 1990, als ich in die Politik ging, alles leichter vorgestellt" - bezog sich dabei aber vor allem auf die Gleichberechtigung von Frauen in der Wirtschaft.

"Besorgniserregenden Dynamik": Merkel wirbt für Impfungen

Die Kanzlerin nutzte den traditionellen Auftritt aber auch, um auf aktuelle Entwicklungen einzugehen. Deutschland habe es "mit einer deutlichen, und wie ich finde auch besorgniserregenden Dynamik" zu tun, sagte sie. Angesichts steigender Corona-Zahlen warb Merkel eindringlich für mehr Impfungen. "Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein", sagte Merkel. Nur gemeinsam könne die Pandemie überwunden werden. Deswegen sollten Menschen auch im privaten Umfeld und in der Arbeitswelt aktiv für Impfungen werben.

Merkel bezeichnete die derzeit etwa binnen zwölf Tagen registrierte Verdoppelung der Inzidenzzahlen als dramatisch. Sie mahnte, Schutzmaßnahmen stärker zu beachten: Masken, Abstand, Lüften und auch regelmäßiges Testen. Höhere Impfquoten machten es inzwischen möglich, auch mit höheren Infektionszahlen umzugehen. "Die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, bleibt Richtschnur unseres Handelns", sagte Merkel.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte die Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstagmorgen mit 12,2 angegeben. Am Vortag betrug der Wert 11,4, beim jüngsten Tiefststand am 6. Juli noch 4,9.

Langer Atem bei Behebung der Hochwasser-Schäden

Die Kanzlerin schwor das Land zugleich auf eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Bewältigung der Unwetterkatastrophe im Westen Deutschlands ein. "Wir werden zur Behebung all dieser Schäden einen langen Atem brauchen", sagte Merkel. Es gebe schreckliche Verwüstungen durch das Hochwasser, Deutschland trauere um 170 Tote.

Ziel sei eine gemeinsame Finanzierung der Flutschäden, sagte Merkel. Die Bundesregierung habe einen Betrag von 200 Millionen Euro für Soforthilfe zur Verfügung gestellt. In den nächsten Tagen und Wochen werde mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer darüber gesprochen, wie ein gemeinsamer Aufbaufonds organisiert werden könne. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass die Pandemie bei diesem Treffen erneut Thema sein wird, sagte die Kanzlerin.

Krisen pflasterten Merkels Weg

In ihrer 16-jährigen Amtszeit habe sie aus eigener Sicht nur Krisen zu bewältigen gehabt, die ihre Ursachen nicht in Deutschland hatten. Die CDU-Politikerin zählt dazu die Finanzkrise von 2007, die Euro-Rettung, die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015, den Klimawandel und die Corona-Pandemie.

"Was meine Amtszeit immer durchzogen hat, ist, dass wir halt nicht alleine mit nationaler Politik unsere Herausforderungen bewältigen können, sondern dass wir Teil einer Weltgesamtheit sind, und das ist ja auch das Thema, das wir beim Klima sehen", sagte Merkel.

"Wir alleine werden das Weltklima nicht verändern können. Wir alleine werden die Pandemie nicht bekämpfen können", sagte Merkel. Sie fügte hinzu: "Aber die Art und Weise, wie wir es machen, kann Beispiel sein für andere, dem zu folgen."

Kompromiss ist für Merkel konstitutiv für die Demokratie

Einblick gab die gebürtige Hamburgerin auch in ihr allgemeines Verständnis von Politik - mit dem Stilmittel des Kompromisses als zentralem Element: "Die politische Aussage, dass der Kompromiss etwas Konstitutives jeder Demokratie sein muss und nicht der Kompromiss als solcher schon etwas Schlechtes ist, mit einer schlechten Konnotation behaftet ist, das, finde ich, ist ein ganz, ganz wichtiger Kampf. Und den werde ich immer führen - dass der politische Kompromiss das Machbare ist und das Notwendige ist, um Gesellschaften zusammenzuhalten."

Von ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin erwartet Merkel Respekt für die besondere Lebensgeschichte von Menschen in der ehemaligen DDR. Sie wünsche sich, "wenn jetzt jemand aus der alten Bundesrepublik Bundeskanzler wird, dass einfach ein großes Interesse für Biografien aus der ehemaligen DDR da ist".

Bald ist Schluss - und dann? "Werd' ich mit meiner Zeit schon was anfangen können"

Sie verwies auf "die Verletzungen, die Gefühle", das Bedürfnis nach Anerkennung in Ostdeutschland - dies sei etwas, "um das man sich auch nach wie vor kümmern sollte, um ganz Deutschland zu verstehen". Mit Blick auf ihre eigene ostdeutsche Herkunft sagte die Kanzlerin: "Was ich einbringen konnte, ist ein ziemlich gutes gesamtdeutsches Wissen."

Für sie selbst sei es aber nicht ausschlaggebend, ob ein Kanzler oder eine Kanzlerin aus Ost- oder aus Westdeutschland komme, sagte Merkel. Sie habe keinen ihrer Wahlkämpfe "unter der Maßgabe irgendwie geführt: Wenn es jetzt jemand aus den alten Bundesländern würde, dann wäre das für die gesamte deutsche Einheit nicht möglich".

Und was macht Angela Merkel, wenn ihre Amtszeit als Bundeskanzlerin tatsächlich beendet ist? "Ich werd' dann schon mit der Zeit was anfangen können", erklärte Merkel in ihr gewohnt trockenen Art. (hub/dpa/afp)

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