• Gerald Fleischmann ist der neue Sprecher der Österreichischen Volkspartei.
  • Gegen den PR-Profi ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Korruption.
  • Selbst innerhalb der ÖVP schlägt die Bestellung hohe Wellen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Viel Marketing, wenig Inhalte: Das war das Fazit eines vor etwas mehr als fünf Jahren in diesem Medium erschienen Textes über einen Wahlkampfauftritt des damaligen ÖVP-Spitzenkandidaten und Außenministers Sebastian Kurz.

Bald nach Erscheinen des Artikels klingelte das Handy des Autors. Am anderen Ende der Leitung war kein ÖVP-Funktionär, sondern ein Regierungsbeamter. Gerald Fleischmann, der damalige Pressesprecher des Außenministers, rief von seinem Diensthandy aus an und kam gleich zur Sache: "Was haben Sie denn gegen den Chef?"

Der Text möge inhaltlich korrekt sein, einige Passagen würde er, Fleischmann, aber als "unfreundlich" empfinden. Einer guten Zusammenarbeit sei das nicht zuträglich. Das Telefonat endete mit einem höflichen Verweis des Autors auf die Pressefreiheit.

Ein paar Wochen später wurde die ÖVP bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft und Sebastian Kurz Kanzler. Gerald Fleischmann wurde fortan, unter verschiedenen Titeln, zum ruppigen Mastermind von dessen Öffentlichkeitsarbeit, zuletzt als Kanzlerbeauftragter für Medienarbeit.

"Message control" nannte man die Methode Kurz in Österreich: Eine engmaschige und mitunter fragwürdige PR-Arbeit mit dem Ziel, die Stoßrichtung der Berichterstattung in den Medien zu bestimmen. Alleine im Kanzleramt kümmerten sich in Spitzenzeiten fast 60 PR-Leute um die Öffentlichkeitsarbeit.

Fleischmann wird Schlüsselfunktion in ÖVP-Korruptionsaffäre nachgesagt

Seit Ende 2021 ist der einstige konservative Hoffnungsträger Kurz Geschichte. Ihm droht eine Anklage wegen Korruption und Amtsmissbrauch. Auch sein enger Vertrauter Fleischmann musste gehen, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft glaubt, dass er eine Schlüsselfunktion bei der Affäre um die Kurz vorgeworfene Inseratenkorruption spielte.

Trotzdem soll Fleischmann künftig wieder eine gewichtige Rolle für die ÖVP unter dem nunmehrigen Kanzler Karl Nehammer spielen. Seit Kurzem ist er der neue Sprecher der Partei.

Und das schlägt derzeit gewaltige Wellen – unter Journalistinnen und Journalisten gleichermaßen wie in politischen Kreisen. Denn die einst so mächtige ÖVP liegt in Umfragen seit Monaten hinter der SPÖ und der rechtspopulistischen FPÖ auf Platz drei, bei unter 20 Prozent. Ausschlaggebend dafür ist eine Reihe von Korruptionsaffären in der Ära Kurz. Und nun soll ausgerechnet sein "Mann fürs Grobe" – wie ihn der linksliberale "Standard" einst genannt hat, die Öffentlichkeitsarbeit der Partei bestimmen?

Stimme aus Kärnten: "Die Bundespartei wird schon wissen, was sie tut"

Die Grünen, als kleinerer Koalitionspartner, wollen die Personalentscheidung offiziell nicht kommentieren: Das sei eine Parteiangelegenheit, Fleischmanns Bestellung habe keinen Einfluss auf die Regierungsarbeit. Intern sprach der Juniorpartner freilich Klartext: "Das fragwürdige Bild, das dadurch nach außen entsteht, ist verheerend", lautete die Kernaussage einer Stellungnahme der Grünen, die dem Nachrichtensender Ö1 zugespielt wurde.

Auch die mächtigen Landesorganisationen der ÖVP gehen auf Distanz zur umstrittenen Personalentscheidung. "Die Bundespartei wird schon wissen, was sie tut", verlautete es etwa süffisant aus Kärnten. Ähnliche Aussagen kamen aus den anderen Ländern.

Die Ära Kurz ist in Österreich Geschichte, Nachfolger Nehammer kämpft mit einem schwierigen Erbe und versuchte in den letzten Monaten immer wieder klarzustellen, dass die ÖVP unter seiner Führung ihre Lektion gelernt hat. Und nun soll ein Vertreter des alten Systems die PR-Arbeit koordinieren?

Gerald Fleischmanns Einfluss auf Österreichs Medienlandschaft

Wer in der Ära Kurz unabhängig über österreichische Innenpolitik berichtete, machte meist früher oder später Bekanntschaft mit Fleischmann. Und nicht immer verliefen die Gespräche so entspannt wie das eingangs beschriebene. Journalistinnen und Journalisten erzählen von lautstarken Interventionen am Telefon. Mitunter sei Fleischmann auch direkt in der Chefredaktion vorstellig geworden, wenn ihm ein Artikel nicht passte.

Und dann ist da noch der Vorwurf der Medienkorruption: Als gesichert gilt mittlerweile, dass das Revolverblatt "Österreich" Regierungsinserate in zweistelliger Millionenhöhe zugeschanzt bekam und im Gegenzug Lobeshymnen auf Sebastian Kurz und seine ÖVP anstimmte. Welche Rolle Fleischmann dabei spielte, ist noch unklar. Tatsache ist: Die Staatsanwaltschaft führt ihn als Beschuldigten. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung.

Warum also diese umstrittene Bestellung? "Not trifft auf Elend", sagt Muamer Bećirović. Der junge Publizist beschäftigt sich intensiv mit dem bürgerlichen Lager in Österreich, dem er sich zugehörig fühlt. Auch er war einst in der ÖVP tätig, als Obmann der Jungen ÖVP im Wiener Gemeindebezirk Fünfhaus. Inzwischen hat er einen distanzierten Blick auf die Volkspartei. "Die ÖVP findet keinen anderen Kommunikationsprofi dieses Kalibers", sagt er. "Und Fleischmann bekommt als Beschuldigter keinen guten Job in der Privatwirtschaft."

Die umstrittene Personalentscheidung, davon ist Bećirović überzeugt, sei nicht zuletzt Ausdruck des schlechten Rufs der Politik in Österreich, insbesondere jenes der ÖVP. "Es ist für Parteien unheimlich schwer, gutes Personal zu finden. Ich kenne keine exzellenten Jungen mehr, die einen politischen Job machen würden." Das sei mittlerweile ein Nachteil im Lebenslauf: "Ich wurde bei Bewerbungsgesprächen immer wieder auf meine parteipolitische Funktion angesprochen."

Aus Sicht der ÖVP, glaubt Bećirović, überwiege bei Fleischmann der Nutzen. Dieser habe als PR-Profi schließlich im Hintergrund gewerkt, einer größeren Öffentlichkeit ist er bis heute nicht bekannt. Und auch die Aufregung über seine Bestellung werde rasch verpuffen. "Größer kann der Imageschaden für die ÖVP ohnehin nicht mehr werden."

Bećirović: "Es gibt keine Alternative zu Fleischmann"

Demgegenüber steht der Nutzen Fleischmanns für die strauchelnden Konservativen, die seit Monaten um eine klare Linie kämpfen. Immer wieder ist von Lagerkämpfen zu hören, Kanzler Nehammer kämpft darum, ein eigenes politisches Profil zu entwickeln. Der einstige Innenminister ist bei Weitem nicht so charismatisch wie sein Vorgänger Kurz. Spätestens 2024 stehen Nationalratswahlen an. Erstmals seit fast vier Jahrzehnten droht der ÖVP die Opposition.

"In dieser Situation braucht die Partei jemanden, der das Playbook der Politik kennt und weiß, wie man Kampagnen macht", sagt Bećirović. "Und da gibt es keine Alternative zu Fleischmann."

Der heute 49-Jährige war schon vor 15 Jahren für die Öffentlichkeitsarbeit der ÖVP zuständig – lange bevor Kurz in der Partei eine Rolle spielte. 2011 wurde dieser mit nur 25 Jahren Staatssekretär für Integration und Fleischmann sein Pressesprecher. Laut "Standard" hat er diesen Job damals nur widerwillig angenommen. Doch seine Zweifel verflogen rasch, Fleischmann wurde rasch zu einem der wichtigsten Vertrauten des Nachwuchstalents. Dessen Aufstieg ist eng mit dem Namen Fleischmann verbunden.

Nun soll es der PR-Profi für Nehammer richten und diesem in spätestens zwei Jahren einen Wahlsieg garantieren. Offen bleibt freilich die Frage, ob der ÖVP-Chef Fleischmann halten kann, sollte dieser in absehbarer Zukunft nicht bloß Beschuldigter sondern Angeklagter vor Gericht sein.

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