Eigentlich zielte die Reform der Verkehrsregeln vor allem auf mehr Schutz für Fahrradfahrer. Hinzu kamen aber auch schärfere Sanktionen für Raser - die könnten jetzt schon bald zurückgenommen werden. Laut ADAC ist die Novelle der Straßenverkehrsordnung wegen eines Formfehlers nicht gültig.

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Am 28. April 2020 trat eine Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) in Kraft und sorgte für großen Unmut unter vielen Autofahrern. Im Kern ging es dabei eigentlich um mehr Schutz und attraktivere Bedingungen für Fahrradfahrer.

Der Ärger dreht sich aber um eine Regelung, die der Bundesrat in die Verordnung hineingebracht hatte: Es droht nun ein Monat Führerscheinentzug, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt oder außerorts 26 km/h zu schnell.

Formfehler im Gesetzestext: Fahrverbote ungültig?

Laut ADAC müssen Temposünder, die gegen die Regeln der neuen verschärften StVO verstoßen haben, aber nicht mit Fahrverboten rechnen. Die Rechtsexperten des Autofahrerclubs haben nämlich einen Formfehler im Gesetzestext entdeckt, der die neuen Regelungen unwirksam machen könnte.

Offensichtlich sei in der StVO-Novelle das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes verletzt worden. Verkehrsrechtlerin Daniela Mielchen, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins, erläutert: Bei Erlass einer Verordnung müsse angegeben werden, auf welcher Rechtsgrundlage der Verordnungsgeber gehandelt hat. Dies sei aber unzureichend geschehen: "Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit scheint es geboten, die gesamte Verordnung als nichtig anzusehen."

Nach ADAC-Auffassung führt das unvollständige Zitieren der Ermächtigungsgrundlage dazu, dass zumindest die neuen Fahrverbote nicht wirksam sind. "In dem Dilemma liegt die Chance, zu einem ausgewogenen Verhältnis von Delikt und Sanktionen zu kommen und ein stärker abgestuftes System zu entwickeln", sagte Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand der dpa. "Diese Chance sollten Bund und Länder gemeinsam nutzen."

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Gespräche zwischen Bundesverkehrsministerium und den Ländern

Wie unsere Redaktion auf Anfrage erfuhr, will das Bundesverkehrsministerium an diesem Donnerstag mit den Ländern über die Folgen beraten. Geplant ist eine Videokonferenz auf Abteilungsleiter-Ebene.

Die Folge könnte sein, dass die neuen Regeln von den Ländern außer Vollzug gesetzt werden. Das bedeutet, dass Autofahrer, die ihren Führerschein wegen der neuen Regeln verloren haben, ihn bald zurückbekommen könnten.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte schon Mitte Mai signalisiert, die "unverhältnismäßige" Regelung zu den Fahrverboten wieder kippen zu wollen. Damals aber war von formalen Gründen nicht die Rede. Grund waren auch Proteste vieler Autofahrer.

In einem Schreiben an seine Länderkollegen vom Montag hatte Scheuer von rechtlichen Risiken gesprochen. Um Änderungen umzusetzen, kündigte er darin auch eine weitere Verordnung an. Und dafür erwarte er Unterstützung der Länder, betonte Scheuer in einem Schreiben, über das zuerst der "Spiegel" und der Bayerische Rundfunk berichtet hatten. "Ich bitte Sie inständig, an der Wiederherstellung eines systemkonformen Zustandes mitzuwirken", heißt es in dem Brief, der auch der dpa vorliegt.

Die Änderungen des Bundesrats hätten zu "erheblichen Ungereimtheiten im Sanktionsgefüge" des Bußgeldkatalogs geführt, argumentiert der Minister. Sollte dies nicht zeitnah korrigiert werden, drohten Verfahren gegen Bußgeldbescheide und möglicherweise eine erhebliche Zahl nicht vollstreckbarer Bescheide. "Dies kann keinesfalls hingenommen werden." Erste Rückmeldungen aus den Ländern zu einer Reform der Reform waren im Frühjahr eher reserviert ausgefallen.

Grüne: "Scheuers Pläne sind eine PR-Aktion"

Für den FDP-Politiker Oliver Luksic ist bezeichnend, dass bei der Reform handwerkliche Fehler gemacht worden seien. Gerade sofortige Fahrverbote nach erstmaligen Vergehen seien zudem unverhältnismäßig, es drohe eine "Führerscheinfalle" für Hunderttausende.

Dagegen sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer: "Wenn es dem Minister ernst mit den rechtlichen Bedenken wäre, dann hätte er die Änderungen des Bundesrates gleich im Frühjahr gestoppt. Das hätte er ohne Probleme machen können, das wäre sogar seine Pflicht gewesen." So habe er den Eindruck, dass rechtliche Argumente vorgeschoben seien und der Vorstoß zur Entschärfung "am Ende nur eine PR-Aktion ist".

Polizei-Gewerkschaft: "Tempoüberschreitung als Unfallrisiko Nummer eins"

Auf Kritik stoßen Scheuers Pläne auch bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die von einer "Verkehrtwende" des Ministers bei der Bestrafung von Temposündern sprach: "Unverhältnismäßig hohe Geschwindigkeiten sind weiterhin das Unfallrisiko Nummer 1. Den eingeschlagenen Weg zu härteren Strafen für Temposünder zu verlassen, torpediert das politische Bekenntnis für mehr Verkehrssicherheit", sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens.

Und eine Sprecherin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats sagte, für die Verkehrssicherheit wäre die Rücknahme der Sanktionen ein fatales Signal. "Unerlaubt zu schnell fahren würde massiv verharmlost." (hub/dpa)  © dpa

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