Die NSA späht deutsche Unternehmen aus - zum Nutzen der US-Industrie: Das sagte Whistleblower Edward Snowden im ARD-Interview an. Der Cyberwar-Experte Dr. Sandro Gaycken erklärt im Interview, welche Folgen der Datenklau für Technologie-Firmen haben könnte - und warum Deutschland von Snowdens Enthüllungen profitiert.

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Die NSA überwacht nicht nur Millionen Menschen, sondern stiehlt deutschen Unternehmen auch technologisches Wissen. Das behauptet zumindest Edward Snowden. "Wenn es etwa bei Siemens Informationen gibt, die dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nutzen – aber nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben –, dann nehmen sie sich diese Informationen trotzdem", sagte der Ex-Geheimdienst-Mitarbeiter im ARD-Interview. Snowden verweist dabei auf die Daten, die er selbst gesammelt und verschiedenen Journalisten zur Auswertung übergeben hat.

Für Dr. Sandro Gaycken ist das von Snowden beschriebene Szenario gut vorstellbar. Der Cyberwar-Experte von der Freien Universität Berlin hält es durchaus für möglich, dass die NSA an Wirtschaftsspionage beteiligt ist.

Der dabei entstehende Schaden für die deutsche Industrie sei nicht einzuschätzen. Allein bei einem einzigen geplatzten Großprojekt können hunderte Millionen oder Milliarden Euro verloren gehen. "Das ist auch wesentlich teurer als der digitale Identitätsdiebstahl, der die letzten Wochen die Runde gemacht hat", sagt Gaycken. Die deutschen Unternehmen könnten aber gar nicht viel ausrichten, um sich vor den Angriffen zu schützen. Zum Teil liege das an der fehlenden Technologie, aber auch an dem Vorgehen der gut ausgerüsteten Gegner. Im Gespräch mit unserem Portal nennt er die Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Herr Dr. Gaycken, laut Edward Snowden werden deutsche Firmen von der NSA ausgespäht. Geraten wir in der Wirtschaft in einen Cyberwar?

Dr. Sandro Gaycken: Es ist zwar kein Krieg, es kann aber kriegsähnliche Konsequenzen haben. Die Wirtschaftsspionage aus China geht ein bisschen in die Richtung. Die Chinesen benutzen diese Wirtschaftsspionage ganz gezielt für den strategischen Aufbau des Landes. Sie wollen in den Hochtechnologie-Segmenten Export-Weltmarktführer werden und uns mit dem gestohlenen Wissen verdrängen. Bei der Firma "Cisco" aus den USA zum Beispiel haben sie das schon gemacht. Das bedingt dann natürlich auch eine entsprechende wirtschaftliche Erosion bei uns. Es kann dann auch dazu führen, dass wir auf dem Maschinenbau-Exportmarkt in den nächsten zehn Jahren massiv zurückgedrängt werden.

Welche Industriezweige betrifft das vor allem?

Alles mit Technologie. Deutsche Maschinenbauer, Autobauer, aber auch Subunternehmer und die mittelständischen Unternehmen.

Könnten deutsche Geheimdienste auch Wirtschaftsspionage betreiben?

Nein. Die dürfen es nicht. Das ist ein großer Vorteil in Deutschland, dass wir das so streng reglementiert haben. Um auch mal die USA in Schutz zu nehmen: Das machen ja fast alle. Auch die Briten und Franzosen betreiben mit ihren staatlichen Spionen Wirtschaftsspionage, um sich dann selber zu unterstützen. Deutschland ist eine der wenigen Nationen, die aufgrund ihrer schwierigen Vergangenheit mit Nachrichtendiensten - im Dritten Reich und in der DDR - damit sehr vorsichtig und zurückhaltend sind. Deutschland macht gezielte Aktivitäten, keine Breitbandspionage. Und weil wir das nicht wollen, sind wir dazu auch nicht in der Lage. Wir haben schon Fähigkeiten, aber die sind bei Weitem nicht so ausgebaut und auch so ausgerichtet wie die der NSA.

Aber ist Deutschland nicht im Nachteil, wenn es alle anderen machen, nur wir nicht?

Überhaupt nicht. Das hat nämlich auch so seine Nebenwirkungen. Bei der NSA hat die massive, komponentenweite Entwicklung von Angriffen für US-amerikanische IT-Produkte den üblen Nachteil, dass die Nachfrage nach diesen Produkten ganz massiv in den Keller geht. Das wird ein paar Jahre, wenn nicht für immer, so bleiben. Man traut jetzt amerikanischen Komponenten nicht mehr, weil man weiß, dass die da überall mit drin sind. Wir sind gut beraten gewesen, das nicht so zu tun. Deutsche Maschinen sind jetzt wesentlich vertrauenswürdiger. Bei der NSA hat der massive Einbau von Hintertüren in US-amerikanische IT-Produkte den üblen Nachteil, dass die Nachfrage nach diesen Produkten ganz massiv in den Keller geht. Das wird ein paar Jahre, wenn nicht für immer, so bleiben. Man traut jetzt amerikanischen Komponenten nicht mehr, weil man weiß, dass die da überall mit drin sind. Wir sind gut beraten gewesen, das in dem Ausmaß nicht zu tun. Deutsche Maschinen sind jetzt wesentlich vertrauenswürdiger.

Deutschland profitiert also von Snowdens Enthüllungen?

Ja, ganz klar. Die Enthüllungen von Snowden haben allgemein die Großmächte als Technologie- und IT-Exporteure unglaubwürdig gemacht. Wir sehen jetzt, dass im ersten Schritt alle Unternehmen mit sicherheitskritischen Strukturen im Ausland den Amerikanern nicht mehr so gerne was abkaufen, weil sie nicht wissen, wo da was drin ist und ob sie noch die Kontrolle darüber haben. Der nächste Schritt ist natürlich, dass die Russen und die Chinesen das auch so machen. Da sind wir eine der wenigen Nationen, bei denen man sich überhaupt überlegt, IT-Produkte einzukaufen.

Dr. Sandro Gaycken ist Experte für Cyberwarfare und Hochsicherheits-Infrastrukturen an der FU Berlin sowie Autor des Buches "Cyberwar – Das Wettrüsten hat längst begonnen". Er berät die Bundeswehr und das Bundesverteidigungsministerium zum Thema Cybersicherheit.
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