Eine Jury in Manhattan hat dafür gestimmt, den früheren US-Präsidenten Donald Trump anzuklagen. Trump polterte über "politische Verfolgung", zahlreiche Republikaner sprangen ihm bei. Eint die Anklage jetzt sogar die Partei und schadet am Ende den Demokraten? Experten zeichnen ein recht eindeutiges Bild.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika: Eine Grand Jury in Manhattan hat dafür gestimmt, Ex-US-Präsident Donald Trump anzuklagen. Das gab die Bezirksstaatsanwaltschaft in Manhattan am 30. März bekannt. Nie zuvor war ein Ex-Präsident in den USA Angeklagter in einem strafrechtlichen Prozess dieser Art.

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Die Anklageverlesung soll übereinstimmenden Medienberichten zufolge am Dienstag in New York stattfinden. Der Termin ist nach Angaben der Sender Fox News und NY1 für 14.15 Uhr (Ortszeit/ 20.15 Uhr MEZ) im Gerichtsgebäude in Manhattan angesetzt. Für den Vorgang muss Trump nach New York reisen und würde kurzzeitig in Gewahrsam genommen, damit Fingerabdrücke und Polizeifotos von ihm gemacht werden können. Oft werden Angeklagten dann auch Handschellen angelegt - ob dies im Falle Trumps passiert, ist fraglich. Es gilt als sicher, dass Trump nach diesem Prozedere wieder nach Hause kann.

Trumps Reaktion folgte prompt

Die Ermittlungen drehen sich unter anderem um eine Schweigegeldzahlung in Höhe von umgerechnet rund 120.000 Euro an die Pornodarstellerin Stormy Daniels vor der Präsidentschaftswahl 2016. Sie behauptet, eine Sex-Affäre mit Trump gehabt zu haben. Der frühere Präsident könnte wegen illegaler Wahlkampffinanzierung oder Fälschung von Geschäftsdokumenten angeklagt werden.

Die Reaktionen auf die Ankündigung der Anklage folgten prompt. Trump, der bei der Wahl 2024 erneut für das Präsidentenamt kandidieren will, sprach von "politischer Verfolgung und Wahlbeeinflussung auf dem höchsten Niveau der Geschichte". Die Demokraten würden versuchen, ihm politisch zu schaden.

Rückendeckung aus den eigenen Reihen

Trump bekam Rückendeckung aus zahlreichen Lagern der Republikaner. "Ich finde, das ist ein Skandal", äußerte sich der frühere US-Vizepräsident Mike Pence im Gespräch mit dem Sender "CNN". Das Land werde dadurch weiter gespalten. Selbst Ron DeSantis, größter parteiinterner Konkurrent von Trump und möglicher Präsidentschaftskandidat 2024, sprang Trump beiseite. "Wenn das Rechtssystem als Waffe eingesetzt wird, um eine politische Agenda voranzutreiben, wird die Rechtsstaatlichkeit auf den Kopf gestellt", schrieb er auf Twitter.

Die geschlossenen wirkenden Reihen bei den Republikanern führen zu der Frage: Eint die Anklage gegen Trump möglicherweise die Republikaner? Experten sehen die Anklage nur als kurzfristig politisch hilfreich. Langfristig, so sind sich die Beobachter einig, werde die Anklage Trump und den Republikanern schaden.

Experte sieht Basis geeint

Politikwissenschaftler Tobias Fella sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Die Anklage findet in einem ohnehin parteipolitisch gespaltenen Land statt." Insofern könne sie dazu beitragen, dass Perspektiven bestätigt und Fronten verhärtet werden. Umfragen zufolge hält eine Mehrheit der republikanischen und unabhängigen Wählerinnen und Wähler das Verfahren für politisch motiviert. "Die Anklage eint die Republikaner insofern, als sie nach ihrer eigenen Logik gezwungen sind, sich hinter Trump zu scharen, um nicht als Nestbeschmutzer vor allem bei den parteiinternen Vorwahlen zu gelten", analysiert Fella.

Trump könne durch seine Anklage seine Basis konsolidieren. "Zudem gelingt es ihm scheinbar, dass sich führende Republikaner hinter ihm vereinen; sei es aus Überzeugung oder um die republikanische Basis nicht zu verärgern und dadurch eigene Wahlchancen zu verringern", sagt er. Dadurch behalte er die Oberhoheit über die Republikanische Partei. "Trump lebt von der Polarisierung, von Inszenierung und klaren Freund-Feind-Verhältnissen. Er braucht Projektionsflächen für das, was er für schlecht oder unamerikanisch hält", analysiert Fella.

Trump hat die Partei noch immer im Griff

"Für Trump wird es wichtig sein, sollte er die parteiinternen Vorwahlen gewinnen, dass er dennoch nicht den Zugang zu Wechselwählern und den unabhängigen Wählerinnen und Wählern verliert. Denn letztlich braucht er diese für einen Wahlsieg, bestenfalls gepaart mit einer Demobilisierung der Biden-Anhängerschaft", sagt Fella. Trump hat aus seiner Sicht die Republikaner noch immer weitgehend im Griff.

"Zudem ist ein unpopulärer Biden für Trump ein geeigneter Gegenkandidat, eine Person, die gewissermaßen ihren Zenit überschritten hat. Es müsste sich zeigen, inwieweit Biden in der Lage ist, einen Wahlkampf abseits von Corona-Bedingungen zu führen", analysiert der Experte.

Es werde auch spannend sein, wie das Weiße Haus und die Demokratische Partei im Zuge des Verfahrens auftreten werde. "Ich könnte mir vorstellen, dass man sich ruhig verhält, um den Vorwürfen einer Politisierung entgegenzutreten", sagt er. Vieles werde sich aber erst in Zukunft zeigen.

Experte: "nicht abschätzbare Tragweite"

Das sieht auch Mischa Honeck, Professor für Geschichte an der Universität Kassel, so: "Die Anklage von Trump, so viel lässt sich schon jetzt sagen, ist nicht nur ein juristischer, sondern ein politischer und historischer Präzedenzfall von nicht abschätzbarer Tragweite", sagt er unserer Redaktion.

In der Geschichte der USA sei noch kein ehemaliger Präsident einem Richter in Handschellen vorgeführt worden. "Auch wenn damit zu rechnen ist, dass Trump sofort wieder auf freien Fuß kommt und es nicht zu einem Schuldspruch kommen muss, steht die US-Demokratie vor einer neuen Bewährungsprobe", ist er sich sicher.

Zur Disposition stehe nicht weniger als das eherne rechtsstaatliche Prinzip, dass keine Person, auch nicht die mächtigste, über dem Gesetz steht. "Verschwörungserzählungen haben dieses Fundament ins Wanken gebracht", erinnert er. Es könne auf lange Sicht nur durch überzeugende Gegenerzählungen, die von Verteidigern der Gewaltenteilung kommen müssen, ausreichend gestützt werden.

Politisch heikler Präzedenzfall

US-Experte Josef Braml spricht von einem "politisch heiklen Präzedenzfall in der über 200-jährigen US-amerikanischen Geschichte" mit möglicherweise dramatischen politischen Konsequenzen. Braml erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Bei einer politisch heiklen Strafverfolgung eines ehemaligen Präsidenten, der für eine weitere Amtszeit kandidiert, sind höhere Maßstäbe anzusetzen – sonst läuft die US-Demokratie Gefahr, massiven Schaden zu nehmen. Angesichts der ohnehin polarisierten US-Gesellschaft wäre der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Alvin Bragg, gut beraten, neue, auch die US-Bevölkerung überzeugende Beweise für eine schwere Straftat vorzulegen, wenn er einen sieben Jahre alten Fall wiederbelebt, auf den die Bundesstaatsanwälte nicht reagieren wollten."

Donald Trump werde einmal mehr versuchen, das Vorgehen des den Demokraten nahe stehenden Staatsanwalts als politische Hexenjagd zu instrumentalisieren. "Die Demokraten hätten ‚das Undenkbare getan', behauptete Trump postwendend, indem sie 'das Justizsystem als Waffe missbrauchen‘, um ihn, ‚den mit Abstand führenden republikanischen Präsidentschaftskandidaten‘, als politischen Gegner auszuschalten", erinnert Braml.

Ein gemeinsamer äußerer Feind könnte Trump aus Sicht von Braml einmal mehr helfen, Wahlkampfgelder zu sammeln und im eigenen politischen Lager die Reihen zu schließen – und damit seinen Konkurrenten bei den Vorwahlen den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Trump hat bereits angekündigt, dass er unabhängig von strafrechtlichen Vorwürfen im Präsidentschaftsrennen bleiben würde", sagt Braml.

Anklage nur kurzfristig hilfreich

US-Experte Simon Wendt hält die Anklage hingegen nur kurzfristig für hilfreich, um die Wählerbasis zu mobilisieren. Langfristig werde die Anklage ein Nachteil sein. "Sie wird unter sogenannten Swing Voters in den Vororten amerikanischer Städte die ohnehin schon negative Sichtweise auf Trump verstärken", sagt Wendt unserer Redaktion. Sollte Trump die Vorwahlen gewinnen, habe er es in der Präsidentschaftswahl mit dieser Wählergruppe schwer. "Jedoch weiß man bei Trump nie; vielleicht überrascht er uns ein weiteres Mal."

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Wendt geht davon aus, dass viele Republikaner Trump weiterhin verteidigen werden. "Gleichzeitig wollen Mike Pence und Ron DeSantis selbst die Vorwahlen gewinnen und werden deshalb wahrscheinlich recht vorsichtig agieren", schränkt er ein. Er erklärt: "Sie dürfen Trumps Wählerbasis nicht verprellen und dürfen ihn deshalb nicht allzu sehr kritisieren. Gleichzeitig müssen sie zeigen, dass sie die besseren Kandidaten sind."

Über die Experten:
Prof. Dr. Simon Wendt lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und ist Executive Director der German Association for American Studies.
Prof. Dr. Mischa Honeck ist Professor für Geschichte Großbritanniens und Nordamerikas an der Universität Kassel.
Tobias Fella ist Berliner Politikwissenschaftler und forscht zu den USA.
Dr. Josef Braml ist Politikwissenschaftler und Autor mehrerer Bücher über die Vereinigten Staaten.

Verwendete Quellen:

  • Twitter-Profil (Stand: 31. März 2023) von Ronald DeSantis
  • edition.cnn.com: "An outrage": Pence reacts to Trump indictment
  • Quinnipiac University: Mixed Signals On Trump: Majority Says Criminal Charges Should Disqualify '24 Run, Popularity Is Unchanged, Leads DeSantis By Double Digits, Quinnipiac University National Poll Finds
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