Zum vierten Mal hintereinander ist der Umsatz der 100 größten Rüstungskonzerne der Welt gesunken. Für Deutschland und Russland aber laufen die Geschäfte gut - es sind bisweilen fragwürdige Geschäfte mit dem Tod.

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Wir sprechen darüber mit Michael Brzoska, Professor am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Herr Brzoska, russische Hersteller sollen 2014 entgegen dem Trend ein Umsatzwachstum von mehr als 48 Prozent verzeichnet haben, die deutschen mehr als neun Prozent. Woher kommt das?

Professor Michael Brzoska: Deutschland liegt Jahr für Jahr unter den Waffenexporteuren zwischen den Plätzen drei und fünf, ist also einer der Großen weltweit. Gerade was Schiffe angeht, läuft es im Moment sehr gut. Und Russland hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von neuen Waffensystemen entwickelt, die jetzt in alle Welt verkauft werden.

Wohin gehen deutsche Waffen?

Je nach Jahr landen ungefähr die Hälfte bis zwei Drittel der Exporte in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beziehungsweise der Nato in Europa. Dann ist die USA ein ziemlich großer Abnehmer.

Man kann sagen: Die Mehrheit der Waffen geht in befreundete Länder. Aber auch die Staaten des Mittleren Ostens bekommen relativ viel: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar. Außerdem Israel und Staaten wie Indien und Südkorea, in manchen Jahren auch Brasilien und Indonesien.

Welche Waffen verkaufen die deutschen Unternehmen dabei?

Die Exporte aus Deutschland bestehen zu einem guten Teil aus Schiffen, aus U-Booten, aber auch kleineren Kriegsschiffen. Die sind schon an viele Länder geliefert worden, auch außerhalb der Nato und der EU.

Dann sind es gepanzerte Fahrzeuge, die gehen überwiegend in EU- und Nato-Mitgliedsstaaten. Aber nicht nur. Gerade ist ja bekannt geworden, dass auch Leopard-Panzer nach Katar geliefert werden sollen.

Kleinere gepanzerte Fahrzeuge sind zum Beispiel nach Algerien und nach Ägypten verkauft worden. Außerdem exportiert Deutschland Herstellungstechnologie und Bauteile.

Welche Bedeutung hat die Rüstungsindustrie für die deutsche Wirtschaft?

Die offiziellen Exporte machen pro Jahr etwa sechs Milliarden Euro aus, das ist deutlich weniger als ein halbes Prozent der gesamten deutschen Exporte.

Die Rüstungsindustrie produziert natürlich auch noch für die heimischen Märkte, das sind nochmal sieben, acht Milliarden Euro. Sie beschäftigt ungefähr 90.000 Menschen – deutlich unter einem Prozent der gesamten Beschäftigung.

Man kann davon ausgehen, dass 45.000 davon vom Export abhängen. In kritische Länder gehen höchstens Waren im Wert von zwei bis zweieinhalb Milliarden Euro, das entspricht etwa 15.000 Beschäftigten.

Sie sprechen die "kritischen Länder" an: An welche Staaten denken Sie da besonders?

Es gibt einige, die problematisch sind wegen massiver Menschenrechtsverletzungen, dazu würde ich Saudi-Arabien zählen.

Da sind Länder, die entweder unmittelbar in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen sind – denken Sie etwa an den Irak, wo auch einiges hingeliefert wird – oder solche, in denen zumindest die Gefahr solcher Auseinandersetzungen besteht.

Wenn die Waffen geliefert sind, hat man keine Kontrolle mehr darüber, wie sie verwendet werden. Plötzlich werden sie für ganz andere Ziele eingesetzt, als sie die Bundesregierung fördern wollte.

Nehmen wir den Jemen, Saudi-Arabien, Katar: Die Lage dort ist unübersichtlich. Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob die saudischen oder katarischen Kräfte gegen Rebellen kämpfen, oder ob sie in einen lokalen Konflikt eingreifen, mit dem Ziel, die Kontrolle über den Jemen zu gewinnen.

Das wäre zwar kein klassischer Angriffskrieg, aber schon ein Krieg, den ein großes Land – Saudi-Arabien, mit Hilfe befreundeter Länder – in einer Situation führt, in der das kleine Land relativ schwach ist.

Das wäre natürlich aus deutscher Sicht nicht förderungswürdig. Man kann es aber nicht verhindern, wenn die Waffen schon geliefert sind.

Würden Sie den Kampf gegen den Terrorismus zu den "förderungswürdigen Zielen" rechnen?

Das sehen viele zwar anders, aber ich denke, es gibt legitime Rüstungsexporte, auch außerhalb der Nato. Da, wo Staaten sich verteidigen müssen, wo die Gefahr besteht, dass sie angegriffen werden oder wo es in der Tat terroristische Angriffe gibt.

Allerdings müssen die Lieferanten immer gucken, wie haltbar die Regierung dort ist. Wenn man nicht weiß, ob in zwei, drei Jahren möglicherweise eine andere politische Führung da ist, die sich dann nicht mehr an die Regeln hält, hat man ein Problem.

Es gibt Kritik, dass Deutschland Waffen in Krisengebiete liefert und sich dann über die angespannte Flüchtlingssituation wundert.

Ich sehe den Zusammenhang nur indirekt. Es ist nicht so, dass wir große Mengen Waffen an Länder geliefert haben, aus denen momentan viele Flüchtlinge kommen.

Syrien hat die meisten aus Russland bekommen, und auch der Umfang an Waffenlieferungen an die afghanischen Streitkräfte ist sehr gering geblieben.

Indirekt kann man aber schon Zusammenhänge herstellen. Etwa, weil wir relativ viel in den Mittleren Osten geliefert haben.

Die Frage in Syrien ist ja: Welche Rolle spielt Saudi-Arabien? Ist es bereit, an einer Friedenslösung mitzuarbeiten, oder unterstützt es eher die radikalen sunnitischen Kräfte?

Und damit, dass wir Saudi-Arabien über viele Jahre militärisch gestärkt haben, haben wir dazu beigetragen, dass es zumindest bis vor kurzem keine gute Rolle im Syrien-Konflikt gespielt hat.

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