Der Bundestag hat wie jedes Jahr um den Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz herum an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Weil diesmal auch Israel Staatsoberhaupt zu Gast ist, fällt die Gedenkstunde anders aus als üblich.

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Es ist eine historische Stunde, noch bevor das erste Wort gesprochen ist. Dass die Staatsoberhäupter Deutschlands und Israels gemeinsam an der Gedenkstunde des Bundestags für die Millionen Opfer des Nationalsozialismus teilnehmen und reden, das hat es noch nicht gegeben. Um Punkt 11 Uhr betreten Frank-Walter Steinmeier und Reuven Rivlin den Plenarsaal. Die Abgeordneten empfangen sie stehend und schweigend. Der erste Beifall brandet erst auf, als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner Rede den israelischen Präsidenten begrüßt.

"Es gibt kein heilsames Schweigen über Auschwitz", sagt Schäuble zur Eröffnung und zitiert den Publizisten Elie Wiesel, der vor 20 Jahren zu den Abgeordneten gesprochen hatte. "Wir müssen über Auschwitz sprechen. Über das, wofür es eigentlich keine Worte gibt."

Steinmeier: "Die bösen Geister der Vergangenheit zeigen sich in neuem Gewand"

Anschließend warnt Steinmeier in seiner Rede vor der Rückkehr autoritären Denkens in Deutschland. Zugleich ruft er zum entschiedenen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf. "Erheben wir uns gegen den alten Ungeist in der neuen Zeit", sagt er in der Gedenkstunde für die Millionen Opfer des Nationalsozialismus.

Der Bundespräsident spricht auch über das, wofür es eigentlich keine Worte gibt. Über die Schrecken von Auschwitz, wie sie der sowjetische Soldat Alexander Woronzow bei der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz mit seiner Kamera festgehalten hat. Er kam am Nachmittag des 27. Januar 1945 mit seinen Kameraden am deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager an, filmte Kinder, die ihm ihre Arme mit den eintätowierten Häftlingsnummern entgegenstreckten. "Schicksalslose, mit Materialnummern versehen, Brandzeichen einer versuchten Entmenschlichung", wie Steinmeier sagt. "Es sind Bilder grenzenlosen Grauens, es sind Bilder eines deutschen Verbrechens."

Einmal mehr bekennt sich Steinmeier zur deutschen Verantwortung für dieses Verbrechen, fordert, die Erinnerung daran zu bewahren. "Vor wenigen Jahren hätte meine Rede an diesem Punkt enden können", fährt er fort. "Wir waren uns einig über die Lehren der Vergangenheit und eine Erinnerungskultur, die es gemeinsam zu pflegen gilt in diesem Land. Doch ich fürchte, unsere Selbstgewissheit war trügerisch."

Heute zeigten sich die überwunden geglaubten bösen Geister von früher in neuem Gewand. "Sie präsentierten ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Vision, als die bessere Antwort auf die offenen Fragen unserer Zeit. Ich fürchte, darauf waren wir nicht vorbereitet – aber genau daran prüft uns unsere Zeit."

Israels Präsident Rivlin warnt vor "chronischem Antisemitismus"

Israels Präsident Rivlin greift anschließend Steinmeiers Gedanken auf. Er warnt vor einem "chronischen Antisemitismus" in der Welt und mahnt eine führende Rolle Deutschlands im Kampf dagegen an. "Wir dürfen nicht aufgeben. Wir dürfen nicht nachlassen. Deutschland darf hier nicht versagen."

Und Rivlin wird hochpolitisch. Er kommt auf die unterschiedlichen Positionen Deutschlands und Israels zum Iran zu sprechen. Dessen Bedrohung sei für Israel nicht theoretisch. "Für uns ist das eine existenzielle Frage." Auch auf den Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump geht Rivlin ein, spricht davon, dass er "hoffnungsvoll gestimmt" sei. Für die Umsetzung komme es darauf an, Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern aufzubauen. "Da können Sie uns sehr helfen", gibt er Bundestag und Bundesregierung mit auf den Weg.

Mit Blick auf den Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump bat Rivlin um deutsche Vermittlung im Verhältnis zu den Palästinensern. Es gehe nun darum, Vertrauen zwischen Israel und den Palästinensern zu schaffen - "und da können Sie uns sehr helfen".

Er danke der Bundesregierung dafür, dass sie "tief der israelischen Sicherheit verpflichtet " sei. Deutschland habe immer eine wichtige Rolle gespielt, wenn es darum ging, "Vertrauen zwischen uns und den Palästinensern herzustellen". (mf/dpa/AFP)

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