Die Wohnungsnot nimmt zu und damit der Bedarf an Neubauten. Doch Experten bemängeln, dass zu viele Vorschriften Bauherren Zeit und Geld kosten. Das Problem: Jedes Bundesland hat seine eigenen Regeln.

Mehr Politik-Themen finden Sie hier

Rund 1.250 Euro pro Quadratmeter haben Bauherren in Deutschland 2007 im Schnitt für einen Neubau bezahlt. Zehn Jahre später waren es schon etwa 1.700 Euro - 36 Prozent mehr.

Das geht aus Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hervor. Die Immobilienexperten der privaten Forschungseinrichtung machen Gründe wie steigende Material- und Lohnkosten dafür verantwortlich. Vor allem aber beklagen sie steigende Anforderungen an Neubauten. Rund 3.300 Normen müssen Bauherren in Deutschland demnach beachten, hinzu kommen Vorgaben auf Landesebene und in den Kommunen und Gemeinden.

Es geht dabei um Umwelt- und Brandschutz, Parkraum, Abstandsregeln oder Denkmalschutz: Wie dick muss Dämmmaterial sein, um Klimaziele einzuhalten? Wie stark Glastüren, um Sicherheit zu gewährleisten? Und wann ist eine Wohnung ausreichend barrierefrei?

"Regeln haben immer das Potenzial, Bauen zu verteuern, weil sie die Handlungsfreiheiten der Unternehmen reduzieren", sagt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der International Real Estate Business School (IREBS) der Universität Regensburg.

Allerdings erfolgten viele der Regeln nicht willkürlich, sondern als Ergebnis demokratischer Entscheidungen: "Bei Brandschutz geht es um das hohe Gut Sicherheit. Bei Umweltauflagen um die Nachhaltigkeit unser Lebensumgebung und selbst bei Denkmalschutz geht es um Wichtiges, nämlich um unser kulturelles Erbe."

Just zufolge muss das Ziel deswegen in erster Linie mehr Transparenz sein: "Was kostet uns der Umweltschutz im Bauen und gäbe es günstigere Alternativen? Was kostet uns der letzte unterkellerte Parkplatz und was wäre die Alternative? Wie wichtig sind uns verschiedene Gebäude- und Ensembletypologien in Städten wirklich?"

Ein Ort, eine Frage, drei Regeln

Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe, der die Interessen von 35.000 mittelständischen Unternehmen vertritt, sieht das Problem vor allem in der Vielzahl der Verordnungen. Denn jedes Bundesland macht seine eigenen Regeln. "Die Landesbauordnungen sollten zugunsten einer einheitlichen bundesweiten Ordnung abgeschafft werden", fordert Verbandssprecherin Ilona K. Klein.

Allein Treppengeländer müssten in Berlin und Brandenburg unterschiedlich hoch sein, gibt sie ein Beispiel. Über eine "Vorschriftenflut" aber will die Fachfrau nicht klagen. Es gebe zwar Vorgaben, die aus Sicht der Bauunternehmer "unsinnig" sind. Aber viele Regeln hätten nachvollziehbare Gründe - und gerade technische Normen seien dringend nötig.

Dass sich die 16 Landesbauordnungen "noch stärker an der bundesweiten Musterbauordnung orientieren", wünscht sich auch CDU-Politikerin Mechthild Heil, Vorsitzende des Bau-Ausschusses im Bundestag.

Zudem gebe es aus verschiedenen Bereichen Vorschriften für ein und dieselbe Sache, die sich unter Umständen widersprächen: Bei einem Bauprojekt kann es passieren, dass die Landesbauordnung, die Arbeitsstättenverordnung und Regeln der Gemeinde-Unfallversicherung verschiedene Höhen für die Brüstung vorsehen. "Alleine zu klären, welche Regel in diesem Fall gelten soll, kann einigen Aufwand verursachen, der sich in den Baukosten niederschlägt", so die Architektin.

Neidischer Blick auf die Niederlande

Fachleute richten den Blick gerne Richtung Westen. "Kleiner Nachbar, großes Vorbild" lobt etwa das Institut der deutschen Wirtschaft (IW): Die Bauordnung in den Niederlanden ist erheblich entschlackt und vor allem auf Ziele ausgelegt worden.

Dort kann ein Bauherr entscheiden, wie er Energie einspart - solange er dabei Richtwerte einhält. Das wecke Innovationspotenzial. In den Niederlanden sind die Baukosten für Neubauwohnungen dem IW zufolge in zehn Jahren um rund sechs Prozent gestiegen. Zur Erinnerung: In Deutschland waren es 36.

Verbandssprecherin Klein ist dennoch skeptisch: Mehr Typenhäuser, also standardisierte Gebäude, wie es sie in den Niederlanden häufiger gebe, seien zwar kostengünstiger. "Aber der Deutsche möchte lieber im individuellen Häuschen wohnen."

Jörg Zeller, Professor für Bau- und Architektenrecht aus Koblenz, betont, dass Bauherren auch in Deutschland gewisse Spielräume haben, etwa wie sie im Energiebereich vorgegebene Gebäudewerte einhalten. "Wenn wir die Vorschriften und Normen auf die einzelnen Gewerke herunterbrechen, dann sind das gar nicht so viele", gibt der Jurist außerdem zu bedenken.

Über den Sinn mancher Vorgaben lasse sich zwar streiten. Aber das Problem liegt seines Erachtens eher bei Betrieben, die sich nicht fortbilden und somit nicht "am Puls der Zeit bleiben". Wenn diese Vorgaben nicht einhalten und es in der Folge zu Prozessen kommt: "Das kostet dann Zeit und Geld."

Hohe Nachfrage als Kostentreiber

Bundesgesetzliche Regelungen gibt es vor allem bei der Energieeffizienz. "Wir müssen darauf achten, dass der wichtige Klimaschutz und der Bedarf nach preiswertem Wohnraum sich wieder besser vertragen", sagt Mechthild Heil.

Dafür gebe es Ideen und technische Lösungen, sie müssten nur stärker angewendet werden. Konkreter wird die Ausschussvorsitzende hier nicht. Durch die Reduzierung von Bauvorschriften dürfe man keine Wunder erwarten, warnt Heil: Den größten Anteil an der Steigerung der Baukosten habe die hohe Auslastung der Baufirmen durch die große Nachfrage. Und an der wird sich so rasch nichts ändern.

Verwendete Quellen:

  • www.iwkoeln.de: "Kleiner Nachbar, großes Vorbild" (20.09.2018)
  • Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der International Real Estate Business School (IREBS) der Universität Regensburg
  • Dr. Ilona K. Klein, Leiterin Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe
  • Mechthild Heil, MdB (CDU), Vorsitzende des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen des Bundestags
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.