Die Bundesregierung will eine Studie zu den Folgen einer Abtreibung für Frauen in Auftrag geben. Fünf Millionen Euro stehen dem Gesundheitsministerium dazu zur Verfügung. Doch die Fachwelt läuft Sturm - nicht nur, weil es bereits viele wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema gibt.

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Eigentlich sollte es für Forscher ein Grund zur Freude sein, wenn die Politik eine Studie in Auftrag gibt. Doch hier ist das Misstrauen enorm: Das Projekt des Bundesgesundheitsministeriums, die gesundheitlichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen untersuchen zu lassen, stößt in der Fachwelt auf große Skepsis.

Das hat wissenschaftliche, aber vor allem gesellschaftliche Gründe. "Es gibt eine alte Tradition, eine Drohkulisse aufzubauen für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen", sagt Cornelia Helfferich von der Evangelischen Hochschule Freiburg. "Wenn die Studie in diesem Kontext steht, dann haben wir ein Problem."

Und Claudia Schumann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), vermutet "eine politisch motivierte Studie". "Da soll eine bestimmte Klientel bedient werden", sagt die Frauenärztin und Psychotherapeutin aus Northeim.

Deal von Union und SPD

Der Argwohn rührt vor allem daher, wie die Entscheidung zustande kam: beim Ringen der Großen Koalition um den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, der regelt, wie über Abtreibungen informiert werden darf.

Ursprünglich wollte die SPD den Paragrafen ganz abschaffen, die Union ihn aber nicht antasten. In einem Kompromiss einigten sich beide darauf, dass Ärzte und Kliniken künftig anders als bislang etwa auf ihrer Website mitteilen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Im Gegenzug bekommt das von Jens Spahn (CDU) geführte Gesundheitsministerium fünf Millionen Euro für die Studie. Die soll von 2020 bis 2023 "Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen" untersuchen. Ergebnisoffen, wie das Ministerium ausdrücklich betont.

"Es gibt genug Studien"

Der zweite Grund für die Skepsis ist wissenschaftlicher Natur: "Es gibt genug Studien", sagt Schumann. "Es lässt sich nicht beweisen, dass eine Abtreibung einen klaren negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Frauen hat."

Helfferich stimmt zu: "Es deutet nichts darauf hin, dass das ein weit verbreitetes Problem ist. Die große Mehrheit der Frauen bewältigt einen Abbruch ohne Langzeitfolgen."

Die Leiterin des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen hatte 2012 bis 2018 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 14.000 Frauen unter anderem zu Abbrüchen befragt. In Deutschland wurden 2017 laut Statistischem Bundesamt rund 101.000 Schwangerschaften abgebrochen.

Dutzende Studien haben in den vorigen Jahrzehnten die psychischen Folgen von Abtreibungen untersucht. So verglich ein US-Team um Antonia Biggs von der University of California über einen Zeitraum von fünf Jahren knapp 1.000 Frauen - ein Teil ließ die Schwangerschaft abbrechen, den übrigen wurde ein Abbruch verweigert, weil die Frist überschritten war. Die seelische Gesundheit jener Frauen, deren Schwangerschaft beendet wurde, war mindestens so gut wie die der übrigen Teilnehmerinnen, wie das Team 2017 im Fachblatt "JAMA Psychiatry" berichtete.

Vor einem Jahr kam eine in derselben Zeitschrift veröffentlichte dänische Studie - trotz anderer Methodik - zu einem ähnlichen Resultat: Demnach erhöht ein Schwangerschaftsabbruch nicht die Tendenz zu einer Depression.

"Keine negativen psychischen Folgen"

Die Resultate decken sich damit, was eine Arbeitsgruppe des US-Psychologenverbands APA im Jahr 2008 nach der Analyse Dutzender Studien bilanzierte: "Die beste wissenschaftliche veröffentlichte Evidenz zeigt, dass bei erwachsenen Frauen, die ungeplant schwanger werden, das relative Risiko für seelische Probleme nach einer einmaligen Abtreibung im ersten Trimeter nicht höher ist, als wenn sie das Kind austragen."

"Wir wissen, dass eine Abtreibung an sich keine negativen psychischen Folgen hat", betont Anette Kersting von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). "Das sollte man akzeptieren", sagt die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Leipzig.

Wie müsste eine Studie überhaupt aussehen, um binnen drei Jahren zu validen Ergebnissen zu kommen, die das Wissen erweitern?

"Studien zu diesem Thema sind unglaublich schwierig, denn die Situationen der Frauen sind sehr unterschiedlich", sagt Schumann. Man bräuchte sehr viele Teilnehmerinnen, die miteinander vergleichbar wären. An der US-Studie nahmen 30 medizinische Zentren teil. Die dänischen Forscher werteten landesweite Bevölkerungsregister aus, die in Deutschland gar nicht existieren.

Wissenslücken an anderer Stelle

"Es gibt Wissenslücken, aber nicht im gesundheitlichen Bereich", sagt Helfferich. "Man muss die Situation einer ungewollten Schwangerschaft in ihrer Komplexität erfassen." Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle - neben Persönlichkeit und Biografie einer Frau auch die soziale und berufliche Situation und insbesondere die Partnerschaft.

Die Leipziger Expertin Kersting betont, dass jene Frauen, die die Beendigung einer Schwangerschaft wünschen, häufiger emotionale Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Stress in der Partnerschaft oder traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend haben. "Viele dieser Frauen können eine Abtreibung weniger gut bewältigen."

Das liege aber nicht an dem Abbruch an sich, sondern an der psychischen Konstellation, der Situation und dem Umfeld - etwa an Stigmatisierung und fehlender sozialer Unterstützung. Eine Studie könne klären, wie man diese Gruppe besser unterstützen könne, sagt Kersting. "Da wäre es sinnvoll, Konzepte zu entwickeln."

"Ein unglaublich frauenverachtendes Bild"

Grundsätzlich fordert Helfferich, Frauen die Fähigkeit zuzubilligen, die beste Entscheidung treffen zu können. "Bei der ganzen Diskussion fehlt mir der Blick darauf, dass Frauen ihre Entscheidung so oder so treffen und wissen, was sie tun", sagt sie.

Insbesondere kritisiert sie das in der Debatte um Paragraf 219a verwendete Wort "Werbeverbot" als irreführend. "Es geht nicht an, dass Informationen, die Frauen brauchen, um eine Entscheidung zu treffen, vorenthalten werden. Das zeigt ein unglaublich frauenverachtendes Bild."

Nun wartet die Fachwelt gespannt, wie die Studie, die 2019 vergeben werden soll, aussehen wird. Eines sei sicher, sagt Helfferich: "Die Studie wird unter Beobachtung stehen. Sie wird sich wissenschaftlich seriös darstellen müssen." (dpa/mcf)

Kampf gegen Abtreibungsgegner: Ärztin teilt Bild von Fruchtblase

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