• Treiben derzeit vor allem Ungeimpfte die Zahlen von Neuinfektionen und Hospitalisierungen nach oben, wie etwa Gesundheitsminister Jens Spahn meint?
  • Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht dazu keine bundesweiten Daten, deshalb hat unsere Redaktion in allen 16 Bundesländern nachgefragt.
  • Das Ergebnis beweist: Corona-Impfungen wirken.
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Gut 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind vollständig geimpft. Doch die Kurve, die die Zahl der Neuinfektionen anzeigt, geht seit Wochen steil nach oben. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt, nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Montagmorgen liegt sie nun sie bei 75,8.

Zudem ist erstmals in der vierten Corona-Welle die Zahl der bundesweit auf Intensivstationen behandelten COVID-19-Patienten wieder auf über 1.000 gestiegen. Was dramatisch klingt, ist es bei näherem Hinsehen aber gar nicht – beziehungsweise nur für eine Bevölkerungsgruppe: nämlich die Menschen, die bisher nicht vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind.

"Wir erleben im Moment eine Pandemie der Ungeimpften", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert nutzte während einer Pressekonferenz die gleichen Worte: "Mehr und mehr handelt es sich um eine Pandemie der Ungeimpften" erklärte er vergangenen Montag.

Stimmt das? Offiziell gibt es derzeit keine bundesweiten Zahlen. "Das RKI plant dazu (Inzidenz aufgeschlüsselt nach Geimpften/Ungeimpften) zeitnah eine Veröffentlichung", teilte das Institut auf Anfrage unserer Redaktion mit. Um schon jetzt ein Bild zu bekommen, hat unsere Redaktion die Gesundheitsministerien aller 16 Bundesländer um Zahlen gebeten. Daten, die aufschlüsseln, wie viele Neuinfektionen und Hospitalisierungen derzeit von Ungeimpften und Geimpften ausgehen.

Die Antworten aus den Ländern sind eindeutig: Bundesweit infizieren sich in überwiegender Mehrheit Ungeimpfte und müssen im Krankenhaus wegen einer COVID-19-Erkrankung behandelt werden. Zugleich zeigt die Erhebung auch, dass es kein bundeseinheitliches Verfahren gibt, teilweise werden sogar innerhalb einzelner Bundesländer unterschiedliche Werte und Betrachtungsweisen mit Blick auf die Berechnung der Inzidenzen von Geimpften und Ungeimpften verwendet. Aus diesem Grund sind die Zahlen – auch aufgrund unterschiedlicher Erhebungszeiträume – zwischen den einzelnen Bundesländern nicht miteinander vergleichbar.

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Pandemie der zwei Welten

Bis Redaktionsschluss haben die Behörden in 14 Bundesländern auf unsere Anfrage reagiert, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg antworteten nicht. Sechs Bundesländer – das Saarland, Hessen, Sachsen, Thüringen, Bremen und Berlin – erheben derzeit nicht systematisch Zahlen zu Neuinfektionen bei Ungeimpften und Geimpften, oder die Daten liegen der jeweiligen Landesregierung nicht gesammelt vor.

Ein Sprecher der Bremer Senatorin für Gesundheit verweist in seiner Antwort an unsere Redaktion darauf, dass die Erhebung zum Impfstatus "durch die individuellen Gespräche zwar möglich, jedoch auch unsicher" sei. Deshalb gibt das Bundesland bisher keine Inzidenzwerte getrennt nach Impfstatus heraus. Berlin tut das ebenfalls nicht. Der dortige Senat will jedoch die Rahmenbedingungen dafür anpassen, womöglich schon am Dienstag, wie es in einer Mail an unsere Redaktion heißt.

Bei den verbleibenden acht Bundesländern sieht es wie folgt aus:

  • Baden-Württemberg: 10,1 beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern für die, die zweimal mit einem Impfstoff von Biontech, Astrazeneca oder Moderna beziehungsweise einmal von Johnson und Johnson geimpft sind. Für Ungeimpfte liegt der Wert hingegen bei 122,5 (Stand jeweils 26. August). In den vorangegangenen vier Wochen bis zum 26. August wurden dem baden-württembergischen Landesgesundheitsamt insgesamt 15.653 COVID-19-Fälle übermittelt, darunter befanden sich nur 302 Fälle (1,9 Prozent) "mit Angaben zu einer vollständigen Impfung (Impfdurchbruch)", wie das Stuttgarter Regierungspräsidium in einer E-Mail an unsere Redaktion schreibt. 81 Menschen davon mussten hospitalisiert werden. Von den 47 Personen, die in dem Zeitraum auf der Intensivstation behandelt werden mussten, war von 39 der Impfstatus bekannt – 33 Fälle waren zum Zeitpunkt der Erkrankung nicht vollständig oder gar nicht geimpft.
  • Bayern: Die Sieben-Tages-Inzidenz in Bayern liegt unter den Ungeimpften bei 110,6, unter den vollständig Geimpften bei 9,2 (Stand: 25. August). In den vier Wochen vom 26. Juli bis zum 22. August wurden dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit insgesamt 521 hospitalisierte COVID-19 Fälle übermittelt. Darunter hatten demnach 15,9 Prozent einen vollständigen Impfschutz.
  • Hamburg: "Die Inzidenz zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden, ist wegen des sehr unterschiedlichen Infektionsgeschehens in beiden Gruppen sehr aussagekräftig", schreibt ein Sprecher der Hamburger Sozialbehörde in der Antwort-E-Mail an unsere Redaktion. Im Zeitraum vom 16. bis 22. August wies Hamburg für Ungeimpfte eine Inzidenz von 78,1 und für Geimpfte den Wert 3,4 aus. Die jeweilige Quote unter den Hospitalisierungen lag hingegen noch nicht vor. Hamburg habe aber die regelmäßige Erfassung der dafür notwendigen Daten "kürzlich eingeleitet", heißt es.
  • Niedersachsen: Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt hat vom 1. Januar bis zum 9. August eine Sonderauswertung durchgeführt. In dem Zeitraum haben die niedersächsischen Gesundheitsämter der Landesbehörde insgesamt 157.078 Corona-Fälle gemeldet. Darunter waren 622 Fälle (0,4 Prozent), die eine abgeschlossene Corona-Impfung hatten.
  • Nordrhein-Westfalen: Auch NRW schlüsselt die Inzidenzzahlen nicht auf. Ein Auswertung der Meldefälle vom 1. Juli bis 19. August zeigt aber ein ähnliches Bild wie etwa in Niedersachsen: Von den insgesamt 39.764 Corona-Fällen lagen bei 65 Prozent Angaben zum Impfstatus vor. "Unter diesen Fällen waren gemäß Angaben in den Meldungen 86 Prozent ungeimpft, unvollständig immunisiert oder es liegen unvollständige beziehungsweise unplausible Angaben vor", erklärt ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums. 14 Prozent seien zum Zeitpunkt der Erkrankung vollständig immunisiert gewesen. Bei den hospitalisierten Patientinnen und Patienten hatten 15 Prozent einen vollen Impfschutz (Stand: 20. August).
  • Rheinland-Pfalz: Vom 1. Januar bis zum 19. August wurden dem Landesuntersuchungsamt in Rheinland-Pfalz insgesamt 34.020 symptomatische COVID-19-Fälle übermittelt. "Darunter waren lediglich 627 vollständig Geimpfte (rund 1,8 Prozent)", heißt es in der E-Mail an unsere Redaktion. Davon wurden 27 Personen hospitalisiert, vier mussten auf der Intensivstation behandelt werden. An COVID-19 starben in dem Zeitraum 13 vollständig geimpfte Menschen (0,5 Prozent) – bei insgesamt 2.466 Corona-Toten in dem Bundesland in der gleichen Zeit.
  • Sachsen-Anhalt: In der Woche bis zum 26. August betrug die Sieben-Tage-Inzidenz dem sachsen-anhaltinischen Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration zufolge bei Geimpften 2,8 (insgesamt 34 Fälle), bei Ungeimpften 29,8 (298 Fälle). Dem Bundesland liegen derzeit keine Daten zur Hospitalisierung Geimpfter und Ungeimpfter vor.
  • Schleswig-Holstein: Die Sieben-Tage-Inzidenz in Schleswig-Holstein betrug zum 26. August 8,8 für Geimpfte und 104,2 für Nicht-Geimpfte. "Die Inzidenz (Infektionsrate) ist unter den Ungeimpften mehr als zehn Mal höher als unter den Geimpften", betont ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. "Die Zahlen bestätigen den erneuten Aufruf, sich impfen zu lassen." Derzeit seien von den Hospitalisierten in Deutschlands nördlichstem Bundesland rund 26 Prozent geimpft, 59 Prozent seien es nicht und bei rund 15 Prozent sei der Status (noch) nicht erhoben worden.

Ungeimpfte sind die Treiber der Pandemie

Die Daten aus den acht Bundesländern beweisen: die Corona-Impfungen wirken und senken sowohl die Zahl der Infektionen als auch die der Hospitalisierungen drastisch. "Dass der Anteil schwerer oder tödlicher Verläufe mit steigender Anzahl an geimpften Personen sinkt, ist ein weiterer positiver Fakt hinsichtlich der Zunahme der Impfungen", unterstreicht der Sprecher des schleswig-holsteinischen Gesundheitsministeriums.

Die große Mehrzahl der Infektionen gebe es bei den Ungeimpften, sagte auch der Epidemiologe Nicolai Savaskan, Amtsarzt im Berliner Bezirk Neukölln, der Deutschen Presse-Agentur. Er betont: "Impfdurchbrüche sind sehr selten. Und selbst wenn es sie gibt, verläuft die Infektion in der Regel milder." Die Zahlen belegen nun, worauf Expertinnen und Experten bereits seit Monaten hinweisen: Ungeimpfte sind die Treiber der Pandemie.

Um sicher durch die vierte Corona-Welle zu kommen, drängt Gesundheitsminister Spahn unentwegt auf eine höhere Impfquote. Er sagt aber auch: Ob man sich impfen lasse oder nicht, sei eine persönliche, freie Entscheidung. Wer sich impfen lässt, schützt sich selbst – aber auch diejenigen, die sich nicht impfen lassen können wie Kinder oder Kranke.

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