• SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach zählt normalerweise zu den Mahnern und Warnern in der Corona-Pandemie. Doch auf den Sommer blickt er hoffnungsvoll.
  • Wenig Verständnis bringt der Rheinländer für Impfdrängler auf.
  • Nachvollziehen kann er hingegen, wenn ältere Menschen eine Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin ablehnen.
Ein Interview

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Mehr aktuelle News

Herr Lauterbach, Sie haben auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2021 in München vom "Sommer der Befreiung" gesprochen – generell macht sich ein vorsichtiges Gefühl der Erleichterung breit. Warum sind die ganz schlimmen Prognosen, die für Mai sogar bis zu 2.000 Tote pro Tag vorhergesagt hatten, nicht eingetreten?

Karl Lauterbach: Weil wir reagiert haben. Es war wichtig, dass wir die Diskussion über die Notbremse und Osterruhe gehabt haben. Die Virologen und Epidemiologen haben alle gewarnt. Die Bevölkerung hat sich dann sehr viel vorsichtiger verhalten, danach kam dann auch noch die Notbremse selbst, die Öffnungen sind aufgeschoben worden. Wir haben ganz zum Schluss also doch noch einmal sehr gut zusammengespielt, die öffentliche Gesundheit, das Verhalten der Bürger und die Politik. Das erklärt den Erfolg. Zusätzlich kommt auch noch das Impfen hinzu, aber bedeutsamer waren die Maßnahmen, die jeder Einzelne ergriffen hat, und das Zusammenspiel.

Welche Gefahr droht durch die indische Variante? Rollt mit ihr vielleicht sogar die vierte Welle auf uns zu?

Wenn die indische Variante nach Europa kommt, dann Gott sei Dank zu einem so späten Zeitpunkt, an dem die Impfungen schon sehr viel verhindern werden. Der starke Anstieg der indischen Variante im Vergleich zur britischen Variante, den wir jetzt in England sehen, zeigt das. Wenn sie früher nach England gekommen wäre, als noch nicht so viele Menschen geimpft waren, dann wäre das ein riesiges Problem gewesen. Die beiden Kernmutationen, die die indische Variante B.1.617 aufweist, sind im Zusammenspiel doch gefährlicher, als wir zu Anfang geglaubt hatten. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass wir hierzulande so weit mit der Impfung sind, dass eine explosionsartige Verbreitung wie bei B.1.1.7 nicht mehr wahrscheinlich ist.

Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen rund um die Corona-Pandemie in unserem Live-Blog

Was halten Sie von der Forderung, den Patentschutz für die Corona-Impfstoffe aufzugeben?

Ich finde die Patentfreigabe richtig, wenn sie kommt. Ich glaube nicht, dass die Messenger-RNA-Impfstoffe wie Biontech, Curevac oder Moderna von der Patentfreigabe wesentlich benachteiligt werden oder sie das stark schädigen würde. Denn dort steht tatsächlich das Know-how in der Produktion im Vordergrund. Aber es gibt andere Impfstoffe, wo die Patente eine große Rolle spielen, nämlich die Impfstoffe, die auch von ärmeren Ländern selbst hergestellt werden könnten. Es gibt aktuell zum Beispiel eine wesentliche Prognose, dass es gelingen könnte, auf Hühnerei-Basis einen Impfstoff herzustellen, der massentauglich wäre, der sehr wahrscheinlich auch in ärmeren Ländern selbst produziert werden könnte, wenn dafür die Patente ausgesetzt sind. In diesem Bereich spielt das also durchaus eine Rolle, daher fände ich die Patentfreigabe richtig.

"Weite Teile der besonders Gefährdeten sind noch nicht geimpft"

Sie haben die Impfdrängler gerügt – wen genau meinen Sie damit?

Impfdrängler sind Menschen, die vortäuschen, in der Priorität jetzt schon dran zu sein, es aber nicht sind. Also zum Beispiel diejenigen, die vorgeben, sie seien die Hauptbetreuungsperson, obwohl sie die kranke Großmutter oder Tante schon Monate nicht mehr besucht haben – und sich so eine Impfgenehmigung erschleichen. Dieses Verhalten nötigt mir keinen Respekt ab. Es nimmt anderen den Impfstoff weg, und wir müssen davon ausgehen, dass wir noch weite Teile der besonders Gefährdeten, also die Bevölkerungsgruppe 40 bis 60 Jahre noch nicht geimpft haben. Diese Leute warten zum Teil geduldig auf ihren Termin. Impfdrängler sind also unangenehm. Dieses Verhalten sollte auch entsprechend sanktioniert werden, wie auch Patientenvertreter fordern.

Finden Sie es in Ordnung, wenn ältere Menschen den für sie empfohlenen Impfstoff von Astrazeneca ablehnen?

Ja, das finde ich in Ordnung, denn wir haben hier keinen Zwang, einen bestimmten Impfstoff zu nehmen. Wenn Menschen also Sorge haben und wollen den Impfstoff nicht, dann müssen wir aufklären. Ich persönlich halte den Impfstoff von Astrazeneca - und auch den von Johnson & Johnson - für sicher, würde ihn auch Jüngeren empfehlen und habe ihn auch selbst genommen. Aber ich kann das verstehen, wenn Leute Vorbehalte haben. Zu sagen, die Älteren bekommen nur diesen oder jenen Impfstoff und sonst nichts, das halte ich nicht für angemessen.

"Ich bin mitten dabei, bei der Bewältigung der Pandemie mitzuhelfen"

Die Diskussionen der Union über die Kanzlerkandidatur von Armin Laschet oder Markus Söder hat wichtige Entscheidungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verzögert. War das unverantwortlich von der Union?

Ich bewerte den Streit von Herrn Söder und Herrn Laschet nicht. Jeder Bürger wird sich da selbst ein Bild machen. Dass es nicht geholfen hat, wird wohl jedem klar sein. Das ist aber keine Gelegenheit für mich, gegen Herrn Söder oder Laschet Wahlkampf zu machen.

Inwieweit werden Sie Olaf Scholz im Wahlkampf unterstützen?

Das wird sich zeigen. Ich bin aktuell noch nicht im Wahlkampf, sondern mitten dabei, bei der Bewältigung der Pandemie mitzuhelfen. Da sind wir auf einem sehr guten Weg – und dann kommt sicher noch die Zeit für den Wahlkampf. Ich habe volles Vertrauen zu Olaf Scholz. Er ist ein erstklassiger Kanzlerkandidat – eine Einschätzung, die er ja auch selbst von sich hat und vorträgt. Die ist aber angemessen. Ich kenne ihn seit 20 Jahren, er ist wirklich krisenfest und solide, ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihm.

USA für Aussetzung von Patenten für Corona-Impfstoffe

Impfungen für alle, so schnell wie möglich: Um diesem Ziel näherzukommen, greift die US-Regierung zu einem ungewöhnlichen Mittel. Für Corona-Impfstoffe sollen zeitweise keine Patente gelten. Damit könnte die Produktion langfristig deutlich angekurbelt werden.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.