In den USA ist Remdesivir bereits für den begrenzten Einsatz bei COVID-19-Erkrankten zugelassen. In Deutschland erhalten das Arzneimittel auch Patienten, die derzeit an klinischen Studien teilnehmen. Wir haben mit einem der verantwortlichen Mediziner über die Untersuchungen gesprochen.

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Die Suche läuft auf Hochtouren: Bisher ist in Europa kein Medikament zugelassen, das spezifisch bei einer Infektion mit dem Coronavirus wirkt. Allerdings zeigen erste Studien mit dem ursprünglich zur Behandlung von Ebola entwickelten Mittel Remdesivir positive Resultate.

In Deutschland hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits Anfang April ein sogenanntes Arzneimittelhärtefallprogramm für Remdesivir bestätigt. Damit dürfen auch hierzulande behandelnde Ärzte ihren Patienten den Wirkstoff verabreichen. Dazu prüfen derzeit deutschlandweit acht klinische Zentren Remdesivir in der Behandlung von COVID-19-Erkrankten.

Eine der Studien läuft am Klinikum rechts der Isar der TU München. Wir haben mit dem verantwortlichen Mediziner, dem Infektiologen Christoph Spinner, über den aktuellen Stand der Untersuchungen, deren Ablauf und die letzten Hürden in der Zulassung von Remdesivir gesprochen.

Herr Spinner, am vergangenen Freitag haben die USA für Remdesivir eine Ausnahmegenehmigung für den begrenzten Einsatz des Wirkstoffes in Krankenhäusern erlassen. Auch Sie setzen Hoffnungen auf das Medikament. Warum?

Christoph Spinner: Als bisher einziges Mittel hat Remdesivir in kontrollierten Studien einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung gezeigt, es hat die Dauer um 31 Prozent verkürzt. Dazu gibt es Hinweise auf eine geringere Sterblichkeit in der Therapie. Obgleich die bis dato veröffentlichten Ergebnisse noch nicht abschließend gesichert sind.

Und die Ausnahmegenehmigung? Gibt es in den USA laschere Regelungen oder eine andere Dringlichkeit aufgrund der vielen Todesopfer und Corona-Infizierten?

Die Verfahren der Behörden unterscheiden sich. Üblicherweise muss ein pharmazeutischer Unternehmer für neue Arzneimittel einen Antrag auf Zulassung bei der zuständigen Arzneimittel-Zulassungsbehörde stellen. Jetzt haben wir aber eine außergewöhnliche Situation. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat bereits 2005 gesonderte Verfahren möglich gemacht – damals übrigens genau mit Blick auf Pandemien.

Was bedeutet das?

Die Zulassungsbehörde kann von sich aus bei übergeordnetem öffentlichen Interesse eine Zulassungsvorprüfung beginnen. Das heißt, die EMA arbeitet bereits an der Bewertung eines Arzneimittels, ohne dass ein Pharmaunternehmen einen Zulassungsantrag gestellt hat. Sie beginnt also bei der Prüfung nicht bei Null und kann so Anträge viel schneller bearbeiten – dazu kommt noch die Möglichkeit von beschleunigten Zulassungsverfahren.

"Sicherheit der Patienten sollte immer an erster Stelle stehen"

Warum ist dann Remdesivir in den USA schon verfügbar und in Europa noch nicht?

Die EMA hat auch bei Remdesivir schon mit der Begutachtung begonnen. Es gibt aber ein ordentliches Arzneimittel-Zulassungsverfahren – und das ist auch gut so! Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten sollte immer an erster Stelle stehen. Das heißt im Umkehrschluss: Die Zulassungsbehörde muss darüber entscheiden, ob ein Medikament zugelassen wird oder nicht. Und der Weg der Zulassungen kann sich zwischen den Behörden unterscheiden.

Bereits seit Ende März untersuchen Sie im Rahmen klinischer Studien Remdesivir und dessen Wirkung bei COVID-19-Patienten. Wie laufen die Untersuchungen konkret ab? Wie kann ich mir das als Laie vorstellen?

Wie bei jedem anderen Arzneimittel auch, gibt es bei der Zulassung verschiedene Phasen, in der Regel vier. Wenn ein Mittel nach Laborversuchen aussichtsreich wirkt, dann wird die Wirkung zunächst bei wenigen Menschen untersucht. Mediziner prüfen, wie und ob es überhaupt vertragen wird und welche Nebenwirkungen es gibt. Danach kommt die sogenannte Dosisfindung, die Phase II. Und in Phase III wird die Sicherheit und Effektivität untersucht. Das Medikament wird dann in einer vierten Phase nach der Zulassung weiter an einer Vielzahl von Patienten beobachtet. In jeder Phase werden Studien gemacht und es gelten die sehr strengen Regularien des Arzneimittelgesetzes, um die Sicherheit maximal zu erhöhen.

"Jedem COVID-19-Erkrankten in unserer Klinik bieten wir an, an Studien teilzunehmen"

In welcher Phase befinden wir uns bei Remdesivir?

Wir konnten direkt mit Phase III starten.

Weil Remdesivir ursprünglich zur Behandlung von Ebola entwickelt wurde und dabei bereits die ersten beiden Phasen durchlaufen hatte.

Richtig, zugelassen war es aber nicht. In den jetzigen Phase-III-Studien wurde mit den Ebola-Dosierungen begonnen. Jedem COVID-19-Erkrankten in unserer Klinik bieten wir an, an Studien teilzunehmen. In einem ärztlichen Aufklärungsgespräch legen wir alle potenziellen Vor- und Nachteile dar. Wenn der Patient nach ausreichender Bedenkzeit zusagt, wird nach einem Studienplan behandelt.

Wie sieht das konkret aus?

Remdesivir wird einmal am Tag über eine festgelegte Dauer intravenös verabreicht. Und der Patient wird täglich beobachtet. Das heißt, es werden alle Vitalzeichen, der körperliche Zustand und mögliche Symptome erfasst sowie Laboruntersuchungen durchgeführt. Der Verlauf wird sorgsam in einem Studiensystem dokumentiert. Daraus wird dann später die statistische Analyse gemacht, zusammengefasst aus allen Untersuchungszentren. Derzeit sind das alleine acht in ganz Deutschland.

Was für Probleme könnten bei der Studie auftauchen?

In Peking musste eine Studie zu Remdesivir vorzeitig abgebrochen werden, weil es nicht mehr genug COVID-19-Patienten gab, die für die Untersuchung nötige Patientenzahl wurde nicht erreicht. Doch jede valide Studie braucht eine gewisse Fallzahl, sonst können die Forscher daraus keine statistische Aussagekraft ziehen. Das ist äußerst ungeschickt, weil Menschen mit Studienmedikamenten behandelt wurden und keine Aussage ableitbar ist. Aber klar ist natürlich auch: Es ist immer erfreulich, wenn es keine COVID-19-Patienten gibt.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

"Bis heute gibt es in Europa kein zugelassenes Präparat bei COVID-19-Erkrankungen"

Wie viele Patienten haben denn bei Ihnen bisher Remdesivir verabreicht bekommen?

Diese Zahl ändert sich natürlich ständig. Innerhalb der Studie haben wir bisher eine zweistellige Anzahl an Patienten behandelt. Das ist schon ganz ordentlich. Entscheidend ist aber gar nicht so sehr, wie viele in einer Klinik behandelt werden, sondern eine ausreichende Anzahl an möglichst vielen unterschiedlichen Standorten.

Wenn Sie die aktuellen Untersuchungen mit anderen klinischen Studien vergleichen, sind da COVID-19-Patienten eher gewillt, Remdesivir auszuprobieren?

Das kann man so ohne Weiteres nicht mit anderen Studien vergleichen. Ich habe aber viele Patienten erlebt, die eine sehr, sehr hohe Motivation hatten, nun an klinischen Arzneimittelprüfungen teilzunehmen. Bis heute gibt es in Europa kein zugelassenes Präparat bei COVID-19-Erkrankungen.

Bei Remdesivir sind aber noch einige wichtige Fragen offen, seien es Nebenwirkungen, zum Einfluss auf die Sterblichkeit und welche Patienten am ehesten profitieren.

Es gibt im Moment mehrere Studien zu Remdesivir, wobei zwei davon Daten in Pressemitteilungen vorgelegt haben. In der einen Studie wurde Remdesivir zehn Tage mit einem Placebo verglichen. Und in der anderen Studie, an der wir auch teilnehmen, wird die Wirkung auf schwer kranke Corona-Patienten über fünf oder zehn Tage untersucht. Ich muss aber betonen: Ich habe noch nie erlebt, dass in solcher Geschwindigkeit klinische Prüfungen durchgeführt und veröffentlicht werden, wie jetzt im Kontext von COVID-19. Nur damit Sie eine Vorstellung haben: Wir haben unsere Studie innerhalb von sieben Tagen aktiviert – vom ersten Anruf bis zum ersten Patienten. So etwas dauert normalerweise drei bis vier Monate!

"Positives Bauchgefühl"

Wenn Sie die bisherigen Ergebnisse aus München mit denen anderer Zentren und anderer Studien vergleichen, sehen Sie da eine ähnliche Tendenz?

Ja. Das Gefühl eines eher günstigen Einflusses auf den Verlauf und dass das Mittel relativ gut vertragen wird, scheint sich zu bestätigen. Aber wir sind natürlich auch vorsichtig. Wir dürfen uns nicht leiten lassen von einzelnen Patienten. Die Beobachtung muss woanders und breit reproduzierbar sein – genau deswegen machen wir die klinischen Studien. Es wäre aber schön, wenn die unser positives Bauchgefühl bestätigen.

Die Frage, die sich nun natürlich alle stellen: Wann könnte – im Optimalfall – das Medikament frühestens breite Anwendung in Deutschland finden?

Das alles Entscheidende ist die Antragstellung des pharmazeutischen Unternehmers. Das ist die Voraussetzung dafür, dass ein Zulassungsverfahren eingeleitet wird. Wie da der aktuelle Stand ist, weiß ich nicht. Die EMA hat aber bei Remdesivir am 30. April bereits in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass sie von sich aus mit der Prüfung begonnen hat. Ich selbst rechne in den kommenden Wochen mit einer Zulassung. Wir hätten natürlich gerne alle möglichst bald ein Arzneimittel, das wirksam ist – aber es muss auch von den Herstellern zur Verfügung gestellt werden können.

Genau das, die Produktion eines Mittels im großen Maßstab innerhalb kurzer Zeit, ist ja eine große Herausforderung.

Eine weitere große Schwierigkeit ist auch die Verteilung von Arzneimitteln im aktuellen Kontext. Glücklicherweise hat sich die Situation international stabilisiert. Auch das BfArM konnte Hamsterkäufe von Arzneimitteln insgesamt verhindern.

Über den Gesprächspartner: PD Dr. Christoph Spinner ist Facharzt für Innere Medizin und Infektiologe. Er ist für die klinischen Studien zu möglichen Medikamenten gegen COVID-19 am Klinikum rechts der Isar der TU München verantwortlich.
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