• Viele Menschen erleben die monatelange Schließung von Friseurbetrieben als unangenehm.
  • Nicht nur für das psychische Wohlbefinden sind Friseure wichtig: Sie können sogar zur Früherkennung von Hautkrebs beitragen, argumentiert Helmut Markwort.
  • Wird die Bedeutung von Friseuren im Bereich der Gesundheitsvorsorge tatsächlich unterschätzt?

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Seit zwei Monaten sind die Friseurläden in Deutschland bereits geschlossen - und für einige Menschen ist das ein besonders schmerzlicher Verzicht. Denn während man online shoppen kann und sich auch Seminare und Sportstunden übers Internet umsetzen lassen, gelingt es nur den wenigsten, sich die Haare selbst zu schneiden oder den Ansatz übergangslos nachzufärben.

Nach Ansicht des "Focus"-Gründers und FDP-Politikers Helmut Markwort bedeutet der Verzicht auf den Friseurbesuch für viele Menschen nicht nur eine Verletzung der persönlichen Eitelkeit. In einem Interview mit der Münchner "tz" betonte er kürzlich, dass Friseurinnen und Friseure auch einen Beitrag zur psychischen und physischen Gesundheit ihrer Kunden leisten. So könnten sie frühzeitig Krankheitssymptome auf der Kopfhaut wie etwa Schuppenflechte oder Hautkrebs erkennen.

Die Deutsche Krebsgesellschaft sieht diese Aussage kritisch. Friseure besäßen nicht die notwendige medizinische Schulung, um Screeningmaßnahmen durchzuführen. Medizinische Beratung und gesundheitliche Versorgung gehörten weiterhin in die Hände von Ärzten, teilte sie auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Früherkennung kann Leben retten

Wichtig sei es, die Vorsorgeuntersuchungen bei Dermatologen oder Hausärzten regelmäßig wahrzunehmen. Gesetzlich versicherte Patienten haben alle zwei Jahre Anspruch auf ein solches Screening. "Krebs, frühzeitig erkannt, ist meist sehr viel besser behandelbar als eine fortgeschrittene Erkrankung", betont die Deutsche Krebsgesellschaft in ihrer Stellungnahme.

Gerade deshalb ist Thomas Lang seiner Friseurin dafür dankbar, dass sie ihn im April 2019 auf eine auffällige Hautstelle an seinem Hinterkopf aufmerksam machte und diese nicht erst beim nächsten Vorsorgetermin auffiel.

Wie sich anschließend herausstellte, handelte es sich dabei um aggressive schwarze Hautkrebs-Zellen. "Das war noch in einer sehr frühen Phase und von ihr sehr gut gesehen", sagt der Ingenieur aus Unterhaching.

Die Diagnose und Behandlung habe in seinem Fall sehr lange gedauert, schildert Lang. Eine erste Operation sei im September desselben Jahres erfolgt, die vollständige Entfernung des Melanoms erst im November 2020. "Wenn mich die Friseurin nicht so früh darauf angesprochen hätte, hätte ich jetzt ein viel größeres Problem", sagt Lang.

Entscheidender Friseur-Hinweis kein Einzelfall

Friseure würden sich nicht anmaßen, eine medizinische Diagnose zu stellen. Es sei für sie aber selbstverständlich, dass sie einen Kunden auf Auffälligkeiten an der Kopfhaut anspreche, sagt Seher Bauer. Sie ist Inhaberin eines Friseursalons in Aalen.

Es sei schon vorgekommen, dass Kunden später Grüße und Lob von ihren Ärzten dafür ausgerichtet hätten, dass die Friseurin so aufmerksam war.

Meist handle es sich um harmlosere Erkrankungen, aber bei einem ihrer Stammkunden habe auch sie zur Früherkennung von Hautkrebs beigetragen: "Das war ein junger Familienvater. Irgendwann habe ich bemerkt, dass hinter dem Ohr an der Kopfhaut ein dunkler Fleck war, der mir so vorher nicht aufgefallen war. Ich habe ihm empfohlen, das von einem Arzt prüfen zu lassen. Ein Vierteljahr später kam er mit einem Blumenstrauß und hat sich bedankt."

Friseure als Seelsorger

Viel deutlicher sei ihr aber bewusst, dass die Friseurbesuche ein wichtiger Faktor für das psychische Wohlbefinden ihrer Kunden seien, sagt Bauer. "Wir hatten seit zwei Wochen ohne Gewähr wieder Termine angenommen, weil wir gehofft hatten, dass wir am 15. Februar öffnen dürfen. Und in den Telefonaten haben wir gemerkt, wie groß bei den Kunden die Vorfreude darauf ist, wieder zum Friseur gehen zu können."

Dass viele Menschen den Verzicht auf den Friseurbesuch als besonders schmerzhaft empfinden, ist für den Psychologen Ingo Ostgathe nachvollziehbar. In der Maslowschen Pyramide, die die Bedürfnisse des Menschen hierarchisch abbildet, stehen gleich nach den Grundbedürfnissen wie denen nach Nahrung und Schlaf und dem Sicherheitsbedürfnis die sozialen Bedürfnisse.

Diese würden beim Friseurbesuch in hohem Maße gestillt. Oft gingen Menschen über Jahre regelmäßig zum selben Friseur und würden diesem viel von sich erzählen. "Da ist jemand, der hört zu, gibt Anregungen, ist an meinem Wohl interessiert", sagt Ostgathe.

Menschen haben Bedürfnis nach Selbstausdruck

"Außerdem macht er mir Komplimente, gibt mir Lob." Damit würde die nächste Ebene der Pyramide berührt, weil das Bedürfnis nach Anerkennung gestillt würde.

An der Spitze der Pyramide steht schließlich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Weil es ein Akt der Kreativität sei, sich seine Wunschfrisur auszudenken und diese dem Friseur gegenüber zu kommunizieren, würde auch die höchste Ebene der Pyramide angesprochen.

Menschen würden durch die Frisur oft auch eine innere Haltung ausdrücken. Es werde als unangenehm empfunden, wenn die äußere Erscheinung nicht zur inneren Einstellung passe. Das könne im Extremfall so erlebt werden, als würde einem die Würde genommen.

Für Ostgathe sei das bei seiner Arbeit im Krankenhaus deutlich geworden. Dort sei es für manche Patienten, die sich kaum bewegen können, trotzdem wichtig, dass sie ihr äußeres Erscheinungsbild pflegen können. Gerade in einer Zeit, in der es ihnen gesundheitlich schlecht geht, würden sie sich damit selbst signalisieren: "Ich bin es mir wert, dass ich mich pflege. Es ist nicht alles egal, ich gestalte noch."

Unmut über top-gestylte Politiker

Für zusätzlichen Unmut sorgt in der aktuellen Situation, dass die meisten Politiker, die die Friseurschließungen verantworten, selbst bei öffentlichen Auftritten makellos gepflegt erscheinen. Das sorgt dem Psychologen zufolge für eine empfundene Asymmetrie.

"Volksvertreter – Politiker sollten uns ja eigentlich auf Augenhöhe vertreten – werden nicht mehr als tatsächliche Vertreter empfunden, weil sie offensichtlich in einer ganz anderen Lebensrealität sind als wir."

Die Botschaft, die dabei vermittelt werde, laute: "Haltet euch an die Regeln, aber wir zeigen, dass wir sie umgehen können." Auch wenn es rechtlich möglicherweise unproblematisch sei, widerspreche das dem Fairness-Empfinden vieler Menschen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Ingo Ostgathe, Diplom-Psychologe mit Praxis in München
  • Stellungnahme der Deutschen Krebsgesellschaft auf Anfrage unserer Redaktion
  • Gespräch mit Seher Bauer, Inhaberin des Haarstudios Annero in Aalen
  • Gespräch mit Thomas Lang, Diplom-Ingenieur aus Unterhaching
  • tz.de: FDP-Politiker Markwort: "Friseure können frühzeitig Krankheitssymptome erkennen"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.