Die Laborbedingungen, unter denen Abgaswerte von Fahrzeugen gemessen werden, haben nur wenig mit der Realität zu tun. Das ist dem Europaabgeordneten Markus Pieper (CDU) ein Dorn im Auge. Das Mitglied des Verkehrsausschusses in Brüssel hofft, durch den VW-Skandal ein entsprechendes Gesetz schnell auf den Weg zu bringen. Gleichzeitig warnt er davor, den Konzern unter Generalverdacht zu stellen. Ein Gespräch über die Folgen der geschönten Abgaswerte.

Ein Interview

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Wie realistisch ist es, dass noch mehr Autobauer so manipuliert haben wie VW?

Markus Pieper: Bekannt sind ja die Fälle von VW und jetzt auch von Audi. Dass andere europäische Autobauer das auch gemacht haben, will ich nicht ausschließen. Aber an solchen Mutmaßungen will ich mich nicht beteiligen.

Welche Schlupflöcher haben Autobauer, speziell was Abgasmessungen und andere Umweltauflagen angeht?

Gesetzliche Schlupflöcher gibt es eigentlich keine. Zwar dürfen die Autohersteller Übergangsfristen ausnutzen, um bestimmte Zielwerte zu erreichen. Außerdem werden sogenannte Umweltkredite an Unternehmen vergeben, die besondere Innovationen im Abgasbereich erreicht haben. Das eigentliche Problem ist ein anderes.

Und das wäre?

Seit Jahren ist bekannt, dass die Labormessungen in den Unternehmen zu anderen Ergebnissen führen als beim tatsächlichen Fahrverhalten. Das kritisiert das Europäische Parlament schon lange. Bereits 2013 haben wir angekündigt, dass bis Ende diesen Jahres ein entsprechender Gesetzgebungsvorschlag von der Europäischen Kommission kommen muss: Damit nur noch im realistischen Fahrbetrieb getestet wird.

Dass die Prüfbedingungen nur wenig mit der Realität zu tun haben, ist ja schon lange bekannt. Warum wurde daran bisher nicht gerüttelt?

Es ist ja nicht so, dass die Autohersteller völlig unnachvollziehbare Werte angeben. Aber VW und Audi haben durch eine manipulierte Software eine Straftat begangen. Nichtsdestotrotz muss die Schere zwischen dem tatsächlichem Verbrauch und den Laborwerten der Automobilindustrie endlich geschlossen werden.

Glauben Sie, die Kommission wird sich im Zuge des Skandals beeilen, einen entsprechenden Vorschlag für strengere Prüfbedingungen zu machen?

Das, was ich aus der Kommission gehört habe, lässt darauf schließen, dass mit einem Gesetzesvorschlag zu realistischen Testbedingungen von Neufahrzeugen innerhalb von wenigen Wochen zu rechnen ist. Außerdem muss die Kommission dafür sorgen, dass Hersteller künftig Nachweise erbringen: Darüber, dass ihre Testsoftware manipulationssicher ist. Es muss doch technisch möglich sein, dass eine Software, die Abgaswerte misst, nicht beeinflusst werden kann.

Welche Auflagen gibt es denn bislang von der EU?

Die Vorgaben sind zum einen die Fahrzeugprüfungen. Aber wir haben eben zugelassen, dass das im Unternehmen auf betriebseigenen Prüfständen gemacht wird. Das lässt Spielraum zu. Das zu ändern, werden wir jetzt einfordern. Getestet werden muss unter tatsächlichen Bedingungen. Zum anderen muss die Automobilindustrie einen Fahrplan zur Abgasreduzierung einhalten. Die Vorgaben für die kommenden Jahre sind in diesem Bereich sehr streng. Der jetzige Skandal darf aber nicht dazu führen, dass diese Richtlinien noch strenger gefasst werden: Wir dürfen die Industrie nicht überfordern. Das A und O sind realistische Prüfbedingungen.

Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen den Autobauern denn für ihre geschönten Prüfungsergebnisse?

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat ja schon ein Ermittlungsverfahren gegen den inzwischen zurückgetretenen Vorstand Martin Winterkorn eingeleitet und es wurde bereits Strafanzeige gestellt. Außerdem wird der Gesetzgeber auch Sammelklagen ermöglichen – von betroffenen Autofahrern.

Welche Konsequenzen drohen VW denn aus Brüssel? Könnte auch Deutschland EU-Mitgliedsstaat belangt werden?

Die Kommission wird mit Sicherheit überlegen, wie sie die Umgehung von EU-Umweltstandards sanktioniert. Denkbar wäre ein Verfahren gegen VW. Ich glaube aber nicht, dass Deutschland als Mitgliedsstaat mit einem Verfahren rechnen muss.

Die Bundesrepublik hat sich ja gemeinsam mit den anderen EU-Staaten erst im Frühjahr zu deutlichen CO2-Einsparungen in den nächsten Jahrzehnten verpflichtet. Wie passt die VW-Affäre in dieses Konzept?

Gute Frage. Welche Dimensionen der VW-Skandal noch annehmen wird, ist schwer zu sagen. Ich glaube aber nicht, dass er die CO2-Vorgaben, die Deutschland einhalten muss, maßgeblich beeinflussen wird.

Wie sehr schadet der Skandal der Vorbildfunktion der EU, die sie bei der Weltklimakonferenz in Paris Ende des Jahres einnehmen will?

Zunächst geht es ja um einen Verstoß eines einzelnen Konzerns. Das kann man nicht mit der Klimapolitik der EU in einen Topf werfen. Die Ziele, die wir uns für 2020 gesetzt haben, haben wir bereits übertroffen. Das Missverhalten eines Konzerns wird die Vorbildfunktion der EU deshalb nicht mindern. Viel schlimmer sind die Auswirkungen für die Mitarbeiter von VW, Audi und deren Zulieferer. Es darf nicht passieren, dass Hundertausende Beschäftigte und ihre Familien dafür gerade stehen müssen, welche Fehler eine kleine Gruppe im Konzern gemacht hat. Das ist etwas, das in dieser Debatte leider völlig untergeht. Wir dürfen VW nicht unter den Generalverdacht der bösen Automobilindustrie stellen, sondern müssen die Schuldigen zur Verantwortung ziehen.

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