Der islamistische Terror hat Einzug in Europa gehalten. Bürger sind verunsichert, gerade vor einem Großereignis wie der bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft. Die Frage, wie hoch die Anschlagsgefahr in Deutschland ist, spukt vielen durch den Kopf. Terrorexperte Jörg H. Trauboth betont: Es gibt heute kein Land mehr mit garantierter Sicherheit. Er rät jedoch zur Gelassenheit.

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Herr Trauboth, wie gefährdet ist Deutschland für islamistischen Terror?

Jörg H. Trauboth: Die Gefährdung ist unverändert hoch, im Vergleich zu Frankreich aber geringer. Das hat mit unserer gesellschaftlichen Struktur zu tun, die nicht kolonial-lastig und weniger muslimisch ist. In Frankreich ist eine Parallelgesellschaft entstanden, in der man jugendliche, desillusionierte Arbeitslose zu wenig beachtet hat.

Warum könnte auch Deutschland ein Anschlagsziel sein?

Vorrangig, weil wir beim Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) mitmachen. Wir sind in seinen Augen Gottesfeinde. Aber der IS hat auch wegen der Flüchtlinge ein Problem mit uns. Das liegt daran, dass Menschen seiner Religion in unser Land kommen und von uns beschützt werden. Das bedeutet eine psychologische Niederlage für den IS. Da wir so viele Flüchtlinge aufgenommen haben wie kein anderes Land, ist das ein spezifisch deutsches Problem. Der IS will den Konflikt zwischen Islambefürwortern und Islamfeindlichkeit in unserer Zivilgesellschaft haben.

Was wollen Terroristen mit ihren Anschlägen in Europa grundsätzlich erreichen?

Es gibt drei Ansätze. Zum einen den Bestrafungsansatz für den Kampf der Gottesfeinde gegen das Kalifat. Zum zweiten sorgt jeder neue spektakuläre Anschlag für neuen Zulauf von Jugendlichen aus vor allem europäischen Nationen, zumal der IS wegen der Geländeverluste und des Rückgangs der Finanzmittel unter steigendem Druck steht. Und drittens gibt es eine Art "terroristischen Wettkampf" zwischen dem IS und Al-Kaida.

Inwiefern muss Deutschland auf die neue Gefahr reagieren?

Wir verheddern uns im Anti-Terror-Kampf noch zu sehr in föderalistischen Strukturen. Es gibt zu viele Kompetenzen, zu viel Misstrauen und fehlende zentrale Führung. National würde ich mir wünschen, dass das Bundeskriminalamt Kompetenzen analog zum FBI erhält.

Wie real ist die Gefahr, dass meine Persönlichkeitsrechte oder der Datenschutz beschränkt oder verändert werden?

Es ist die Aufgabe der Behörden, noch transparenter zu machen, dass die gefühlte Angst mit der realen Bedrohung nicht übereinstimmt. Ich sehe keine Bedrohung unserer Rechte, allerdings eine zwingend notwendige Veränderung beim Datenschutz zugunsten des physischen Schutzes der Bürger.

Wir haben derzeit keine klare Linie. Der Gesetzgeber legt einen Katalog vor und wird dann traditionell vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen. Alle Beteiligten sollten sich vorher zusammensetzen und eindeutig bestimmen, wie Datenschutz und Schutz vor Terror in Einklang gebracht werden können. Alles andere verunsichert die Bürger.

Wie wahrscheinlich ist ein Anschlag, speziell im Hinblick auf ein Großereignis wie die EM?

Terroristen werden stark abgesicherte Großveranstaltungen eher meiden. Die Gefahr eines Anschlags außerhalb der Sportanlagen ist deutlich höher als innerhalb.

Was wird für den Schutz der EM-Besucher getan und wie wirksam sind diese Vorkehrungen?

Für die Stadien gibt es ein Sicherheitskonzept, das darauf ausgerichtet ist, einen Anschlag zu verhindern oder im Fall eines Anschlags die Sportstätte ohne Panik zu räumen. Während der Europameisterschaft sollen alle Besucher vor Stadien und Fanmeilen abgetastet werden. In den öffentlichen Bereichen werden Zugänge gesichert und Gelände per Video überwacht. Die Polizeipräsenz wird so hoch sein wie nie zuvor, unterstützt von 10.000 privaten Sicherheitsleuten. Auch deutsche Polizisten werden vor Ort sein. Allerdings unbewaffnet. Die EM-Stadien werden zu Festungen. Die Wirksamkeit der Vorkehrungen schätze ich als sehr hoch ein. Fans müssen Geduld mitbringen. Wie immer gilt aber auch während der EM: Eine 100%ige Sicherheit gibt es nicht.

Und wie schätzen Sie die Lage bei Versammlungen wie Public Viewing in Deutschland ein?

Die Behörden in Deutschland haben sich gut vorbereitet. Ich denke, man sollte sich auf die Spiele freuen und positiv denken. Die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer eines Anschlags während der EM zu werden, halte ich für extrem gering.

Jörg H. Trauboth ist Oberst a. D. der Luftwaffe, ehemaliger Generalstabsoffizier und vertrat die Interessen Deutschlands im Militärausschuss der NATO in Brüssel. Er quittierte im Alter von 50 Jahren den Dienst und beriet als Krisenmanager europäische Unternehmen und Behörden in weltweiten Entführungs- und Erpressungslagen. Er ist Sachbuchautor und hat den neuen Terror in seinem Polit-Thriller "Drei Brüder" verarbeitet.
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