Bei starken Blutungen können Minuten über Leben und Tod entscheiden. Oft ist der Blutverlust schwer zu stoppen, auch weil viele Menschen Blutverdünner nehmen. Ein neues Präparat könnte Leben retten.

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Eine optimierte Wundauflage mit einer aus Krabbenschalen gewonnenen Substanz kann selbst starke Blutungen schnell stoppen - sogar bei Menschen, die hoch dosiert Blutverdünner einnehmen. Der Stoff Chitosan wird in der Rettungsmedizin bereits zum Stillen starker Blutungen verwendet. Ein US-indisches Forschungsteam hat nun jedoch eine Wundauflage entwickelt, die bisherige Präparate übertreffen soll.

Dies könnte bei schweren Blutungen, etwa nach Unfällen, Leben retten, betont die Gruppe um Amrit Ghosha von der Harvard Medical School in Boston. Auch bei Operationen von Menschen, die Blutverdünner nehmen, könnte das Produkt einen Unterschied machen.

"Unkontrollierte Blutungen sind für etwa 35 Prozent der weltweit jährlich mehr als fünf Millionen Todesfälle durch Verletzungen verantwortlich."

Forscherteam von der Harvard Medical School

Verkehrs- und Arbeitsunfälle, Schuss- oder Stichverletzungen: "Unkontrollierte Blutungen sind für etwa 35 Prozent der weltweit jährlich mehr als fünf Millionen Todesfälle durch Verletzungen verantwortlich", schreibt die Gruppe in den "Proceedings" der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS").

Gefährdet seien insbesondere Menschen, die etwa wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen Blutverdünner nehmen. Das seien allein in den USA derzeit rund elf Millionen Menschen – Tendenz steigend. In Deutschland gehen Schätzungen von etwa einer Million Menschen aus, die regelmäßig Gerinnungshemmer nehmen. In Österreich und der Schweiz sind die Zahlen anteilig ähnlich hoch.

Blutungen stillen: Krabbenschalen enthalten wichtigen Stoff

Ein ideales blutstillendes Mittel – im Fachjargon Hämostyptikum – sollte selbst schwerste Blutungen rasch stoppen, mehrere Stunden wirken und problemlos wieder entfernt werden können, betonen die Autoren. Zudem müsse es verträglich und transportabel sein und sich gut lagern lassen.

"Bisher kann kein einzelnes Hämostat all diese Kriterien vollständig erfüllen", bemängelt die Gruppe. Derzeit würden in Krankenhäusern vorwiegend Präparate auf Basis von Kaolin – auch bekannt als Porzellanerde – eingesetzt, sowie mit Chitosan imprägnierter Mull. Diese Chitosan-Gaze wird – neben Kaolin – auch in Deutschland in der Notfallmedizin breit genutzt.

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Chitosan wird gewonnen, indem man von dem etwa in Krabbenschalen vorkommenden Stoff Chitin eine Acetylgruppe abspaltet. Bei diesem Prozess wird die Chitosan-Oberfläche positiv geladen. Mit dieser hohen positiven Ladung bindet die Substanz auf Wunden negativ geladene Blutbestandteile, neben roten Blutkörperchen etwa Blutplättchen und das Eiweiß Fibrinogen, die zentral an der Blutgerinnung beteiligt sind. Allerdings seien mit Chitosan imprägnierte Wundauflagen materialtechnisch nicht optimiert, betont die Gruppe.

Neue Struktur erwies sich als vielversprechend

Struktur eines Chitin-Hämostats
Poröse Struktur eines Chitin-Hämostats © Vivian Lee/dpa

Als Alternative entwickelten die Forschenden eine poröse Wundauflage nach dem Vorbild von Lungenbläschen, die zum Gasaustausch von Atemluft und Blut dienen. Als besonders effektiv zur Blutstillung erwiesen sich Chitosan-Gerüste mit kugelförmigen Poren. In einem weiteren Schritt optimierte das Team die Größe dieser Poren.

Versuche im Labor bestätigten demnach, dass diese Struktur Blut besser absorbiert und dessen Gerinnung besser aktiviert als bisherige Kaolin- oder Chitosan-Präparate. Bei Nagetieren und Schweinen mit Leberverletzungen stoppte die poröse Auflage demnach selbst starke Blutungen binnen weniger Minuten.

Präparat wurde schon an Menschen getestet

Schließlich testete das Team die Auflage an Menschen, denen Herzkatheter in eine Arterie am Unterarm eingeführt wurden, wobei die Untersuchten vorher Gerinnungshemmer bekamen. Nach dem Abziehen des Schlauchs stoppte die Auflage die Blutung selbst bei sehr hohen Dosen dieser Blutverdünner binnen maximal neun Minuten.

Bisherige Produkte auf Kaolin- oder Chitosan-Basis bräuchten dafür länger als eine halbe Stunde, erläutert die Gruppe. Gerade angesichts der zunehmenden Zahl von Menschen, die Blutverdünner einnähmen, steige der Bedarf für Hämostyptika, die an stark blutenden Wunden die Blutgerinnung effektiv aktivieren könnten.

"In Deutschland ist Chitosan schon seit langem eine große Hilfe beim Stillen von Blutungen", sagt der Notfallmediziner Björn Hossfeld vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm. In der Studie habe das Team vor allem die Struktur der Wundauflage verändert. Damit habe es die Vorteile des vor allem in den USA genutzten Kaolin, nämlich viel Flüssigkeit zu binden, mit denen von Chitosan, nämlich die Blutgerinnung anzuregen, verbunden. "Ob das neue Produkt aber wirklich besser ist, bleibt abzuwarten", sagt das Mitglied im Wissenschaftlichen Arbeitskreis der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). "Das werden wir uns genau anschauen." (Walter Willems, dpa/mak)

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