• Von Flensburg bis Rosenheim: Deutschland wird neu vermessen.
  • Mit hochpräzisen Methoden erzeugen Experten dabei bis auf den Millimeter genaue Daten.
  • Die Ergebnisse kommen dem Klimaschutz zugute und unterstützen das autonome Fahren.

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In einem groß angelegten Projekt wird zurzeit die komplette Landmasse Deutschlands neu vermessen. Modernste Satellitentechnik macht es möglich, bis auf den Millimeter genaue Daten zu generieren.

Hinter dem Projekt stehen 15 Landesvermessungsämter und das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG). Insgesamt sind 35 Vermessungstrupps beteiligt, die mit modernster Technik zu Werke gehen. Vom 7. Juni bis zum 15. Juli werden dabei 250 sogenannte "geodätische Grundnetzpunkte" (GGP) kontrolliert.

Dabei arbeiten die Vermessungsspezialisten mit Daten verschiedener Anbieter. Dazu gehören Signale des GPS-Systems genauso wie des russischen GLONASS und des europäischen Galileo. Ähnlich wie in einem ganz normalen Smartphone. Nur mit wesentlich höherem Aufwand und weitaus präziser.

Vermessung mit vierdimensionalen Daten zeigt: Deutschland verändert sich

"Um dem Anspruch einer Genauigkeit von ein bis zwei Millimetern pro Messpunkt in Deutschland gerecht zu werden, muss einerseits Spitzentechnologie eingesetzt und andererseits die Messzeit deutlich ausgedehnt werden", sagt André Sieland vom Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen. "So wird jede Einzelmessung über 24 Stunden durchgeführt." Um Zuverlässigkeit zu gewährleisten, werden die Messungen dann noch ein weiteres, in Einzelfällen sogar noch ein drittes Mal wiederholt.

Was das Projekt besonders interessant macht, sind die vierdimensionalen Daten. Dabei spielt – neben den geologischen Koordinaten – die Zeit eine wesentliche Rolle. Denn bereits 2008 wurde eine ähnliche Messung des Landes durchgeführt. Im Fokus stehen nun die Unterschiede der beiden Messungen. Das Ergebnis: Deutschland verändert sich.

"Die verbreitete These, die Erdscholle Deutschlands sei keinen Veränderungen unterworfen, da wir in unseren Breiten keine tektonischen Verschiebungen oder ähnliches zur erwarten hätten, muss noch einmal überdacht werden", sagt André Sieland. Schon frühere Messungen hätten ergeben, dass verschiedene Regionen Deutschlands Hebungen bzw. Senkungen unterworfen seien.

So hilft die Vermessung des Landes dem Küstenschutz

So befänden sich beispielsweise die Ostseeküste und die Alpenregion in einer kontinuierlichen Aufwärtsbewegung, erklärt Sieland. Das ist im Falle der Ostsee auf die Folgen der Eiszeit zurückzuführen. In den Alpen macht sich dagegen die Plattentektonik bemerkbar, da sich die afrikanische Kontinentalplatte nach Norden bewegt und sich dabei quasi unter den europäischen Kontinent schiebt.

Die erdgeschichtlich noch sehr junge Nordseeküste wiederum befände sich in einer kontinuierlichen Abwärtsbewegung. "Die Bewegungen sind klein", betont Sieland. "Ihre Größenordnung beträgt wenige Millimeter pro Jahr." Und doch haben solche Erkenntnisse eine hohe Relevanz. Zum Beispiel beim Küstenschutz.

So seien Deiche auf eine Lebensdauer von circa 100 Jahren ausgelegt, sagt Sieland. Um die Küsten effizient zu schützen, sollten deshalb die neu gewonnen Erkenntnisse beim Bau der Deiche einfließen.

Präzise Daten unterstützen autonomes Fahren in Deutschland

Eine weitere Verwendungsmöglichkeit der beim Vermessen des Landes gewonnenen Informationen ist das autonome Fahren. Teilweise beruhen die augenblicklich genutzten Daten noch auf altem analogem Kartenmaterial. Dabei könnten teilweise Abweichungen bis in den Bereich von mehreren Metern vorkommen, sagt Sieland.

Mit der neuen Vermessung würden "diese Dienste nicht nur präziser, sondern mit verbesserten Grundlagen insbesondere in Beziehung auf die autonome Fortbewegung auch sicherer", sagt Sieland.

Landvermessungen gibt es schon seit vielen Jahren. Doch erst im Jahr 2008 wurde erstmals eine Vermessung vorgenommen, bei der alle Bundesländer und das BKG zusammenarbeiteten.

"Nach der Auswertung der aktuell gemessenen Daten kann nun ein ernsthafter Vergleich beider Ergebnisse unternommen werden. Dieser wird dann insbesondere Aussagen zu den geologischen Veränderungen der Erdoberfläche erlauben", sagt Sieland.

Vermessung Deutschlands ist wichtige Grundlagenarbeit für den Klimaschutz

Und dadurch entstehen Rückkopplungseffekte. "Da an der Auswertung der Messdaten auch die Referenzsysteme der Satellitenpositionierungsdienste Deutschlands beteiligt sind, werden Genauigkeitsgewinne für diese Systeme erwartet", sagt Sieland. "Somit werden für sämtliche Systeme, die auf Satellitenmesstechnik basieren, aktualisierte, präzise Grundlagen bereitstehen." Und die können wiederum zur Erforschung des Meeresspiegels und dadurch des Klimawandels verwendet werden.

Es ist eine wichtige Grundlagenarbeit, betont Sieland. Ohne die vieles nicht möglich wäre – sei es der Bau von Autobahnen oder Brücken.

"Diese Vorarbeit geschieht meist im Verborgenen", sagt Sieland. Dabei merkt man ihm die Freude an, dass seine Arbeit durch das aktuelle Vermessungsprojekt etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Zur Person: André Sieland ist Fachgebietsleiter Lage-, Höhen-, Schwerefestpunktfeld, Geodätisches Grundnetz im Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN).

Verwendete Quellen:

  • Tagesschau: Deutschland wird neu vermessen
  • gis.point: Start der GNSS-Kampagne 2021
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