• Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren, Lockdown: In den vergangenen Monaten hat sich unser Leben drastisch verändert.
  • Da ist es essentiell, einen kühlen Kopf zu bewahren.
  • Resilienz ist dabei ein wichtiger Faktor.
Ein Interview

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Es ist nicht immer einfach, in der aktuellen Coronakrise einen kühlen Kopf zu bewahren und positiv zu bleiben. Allerdings gibt es einige Techniken, die Ihnen dabei helfen können. Sie können zum Beispiel Ihre Resilienz stärken.

Was der Begriff bedeutet, warum Resilienz gerade jetzt so wichtig ist und wie Sie diese mit einfachen Techniken trainieren können, hat uns die Wirtschaftspsychologin Simone Wenzel gesagt.

Frau Wenzel, man hört den Begriff immer wieder. Aber was bedeutet eigentlich Resilienz?

Simone Wenzel: Der Begriff kommt aus der Materialkunde und beschreibt die Eigenschaft von Materialien als besonders widerstandsfähig oder elastisch. Auf den Menschen übertragen beschreibt Resilienz die seelische Widerstandsfähigkeit einer Person. Resilienten Menschen gelingt es zum Beispiel besser, unbeschadet oder auch gestärkt aus belastenden Lebenssituationen herauszugehen, und mit Belastung und Stress besser umzugehen. Sie lassen sich weniger schnell aus der Bahn werfen und regenerieren sich nach Krisen schneller. Gleichzeitig gelingt es ihnen auch besser, sich an schwere Situationen oder widrige Lebensumstände anzupassen. Und schwierige Situationen gehören zum Leben dazu. Deswegen ist das Thema für jede beziehungsweise jeden von Interesse.

Warum ist Resilienz gerade jetzt so wichtig?

Gerade sind wir mehr Stressoren ausgesetzt als ohnehin schon und diese können zu einer psychischen Gefährdung führen. Aufgrund der Pandemie wurden wir innerhalb eines ganz kurzen Zeitraums vor ganz viele Veränderungen gestellt. Unser Alltag, sowohl privat als auch beruflich, und unsere Strukturen haben sich komplett verändert. Durch die Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben sich unsere Routinen verändert. Dazu kommen Emotionen wie Angst, Sorge oder Trauer. Aber viele Gegebenheiten lassen sich nun einmal nicht verändern. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir unsere Einflussmöglichkeiten auch in diesen Situationen erkennen. Und das bedeutet, dass wir uns aktuell Fragen stellen wie "Wie gestalte ich meinen Alltag, wenn die gewohnten Routinen wegfallen?", "Was könnten neue Aktivitäten sein, denen ich nachgehen kann?" oder "Welche abgeänderten Strukturen helfen mir, um mit den Veränderungen umzugehen?".

"Wir sehen nicht mehr die Einflussmöglichkeiten"

Woran erkenne ich, dass mir Resilienz fehlt?

Wenn wir merken, dass es uns besonders schwerfällt, über die Krise hinwegzukommen. Zu akzeptieren, was eben unveränderbar ist. Wenn wir uns immer wieder die Frage stellen "warum gerade ich?". Oder immer wieder in die Situation kommen, dass wir mit dem eigenen Schicksal hadern, uns den Dingen ohnmächtig ausgesetzt fühlen und verzweifeln. Wir sehen nicht mehr die Einflussmöglichkeiten, die die Situation für uns vielleicht ertragbarer machen könnten. Dann kann es beispielsweise besonders ratsam sein, sich mit Resilienz auseinanderzusetzen. Denn das Risiko für Folgeschäden in Form von psychischen Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel Suchterkrankungen oder Depressionen, ist bei weniger resilienten Menschen höher.

Und wie erkenne ich, wo mir Resilienz fehlt?

Es kann zum Beispiel helfen, sich die Sieben Säulen der Resilienz anzuschauen. Diese beschreiben Grundhaltung und Praktiken, die die Resilienz speisen. Im ersten Moment klingen sie banal oder auch klischeehaft, aber wenn wir uns überlegen, was wir davon im Alltag umsetzen, merken wir doch oft, dass da noch Lücken sind. Die erste Säule ist zum Beispiel die Akzeptanz. Resilienten Menschen gelingt es besser, die Realität anzuerkennen. Anzuerkennen, dass gewisse Umstände zum Leben dazugehören. Es ist wichtig, dass wir irgendwann die Frage nach dem Warum loslassen und zu der Frage "Wie gehe ich jetzt damit um?" kommen. Auch Optimismus ist da wichtig. Das bedeutet nicht, sich die Dinge schön zu reden. Sondern zuversichtlich zu bleiben, die kleinen, positiven Dinge zu würdigen und nicht immer alles Negative zu sehen. Erfolgstagebücher oder eine Liste mit den Highlights des Tages können helfen.

Und wie lauten die anderen Säulen?

Die Lösungsorientierung wiederum sorgt dafür, dass man raus aus der Problemorientierung und hin zur Erarbeitung von Lösungen geht. Es ist häufig gar nicht wichtig, das Problem zu kennen oder zu analysieren, um es lösen zu können. Außerdem machen uns enge soziale Bindungen resilienter. Das fällt unter die Netzwerkorientierung. Dazu gehört auch, Hilfe einzufordern, anzunehmen und Beziehungen zu pflegen. Virtuelle Spieleabende oder Videotelefonate können helfen. Auch die Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Säule. Sie bedeutet, die Überzeugung zu besitzen, Kompetenzen zu haben und die Dinge selbst beeinflussen zu können. Also ein gewisses Selbstbewusstsein zu haben. Es ist zum Beispiel hilfreich, sich vergangene Erfolge noch einmal zu vergegenwärtigen und Feedback von außen einzuholen.

Damit fehlen noch zwei.

Resilienten Menschen gelingt es auch, schneller aktiv zu werden, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen und sich bewusst zu machen, wo Veränderungen wirklich bewirkt werden können. Die Zukunftsorientierung ist die siebte Säule. Wenn wir unsere Ziele kennen und eine Vision haben, ist es leichter, Durststrecken in Kauf zu nehmen. Da kann es helfen, an unseren eigenen Zielen und Visionen zu arbeiten.

"Wir entwickeln für jede Person einen Werkzeugkasten"

Und wenn wir wissen, wo uns Resilienz fehlt, was folgt als nächstes?

Dann gehen wir die Säulen konkret an. In den Trainings beginnen wir immer mit ein bis zwei Säulen und dehnen das Ganze dann sozusagen aus. Wir entwickeln für jede Person einen Werkzeugkasten mit Strategien. Denn es gibt nicht die eine Strategie, die für alle hilfreich ist. Man integriert sie in den Alltag, probiert aus und reflektiert immer wieder. Wie bin ich gerade aufgestellt? Was belastet mich? Wie gehe ich damit um? Wie bewerte ich Situationen? Was kann ich tun, um besser zurechtzukommen? Und bei Bedarf muss noch einmal nachgeschärft werden. Wenn ein, zwei Säulen wesentlich gestärkt sind, ist man aber noch nicht insgesamt resilienter. Das ist ein Prozess.

Was ist der erste Schritt zu gestärkter Resilienz?

Bei Resilienz geht es nicht darum, die negativen Gefühle oder schwierige Situationen auszublenden. Es geht darum, bewusst wahrzunehmen - auch die negativen Gefühle. Deswegen ist aus meiner Sicht der erste Schritt die Entwicklung einer gestärkten Selbstwahrnehmung. Das heißt, dass wir schneller erkennen, welche Situationen und Umstände uns belasten. Wir erkennen, mit welchen Denkmustern, emotionalen Reaktionen oder Handlungsstrategien wir diesen begegnen. Man wird feinfühliger und achtsamer für die eigenen Bedürfnisse und Reaktionen. Dadurch erkennen wir wiederum, woran wir noch arbeiten müssen. Das ist nicht ganz einfach, aber definitiv erlernbar. Eine gewisse Nachhaltigkeit und der Wille, dass die Dinge auch langfristig umgesetzt werden, sind da wichtig. Resilienz ist nichts, wo wir einfach den Hebel umlegen können und von heute auf morgen haben wir sie. Sie ist auch keine Eigenschaft, mit der man geboren wird. Resilienz ist eine dynamische Eigenschaft, die über die gesamte Lebensspanne entwickelt werden kann. In die eine als auch in die andere Richtung.

"Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung"

Kann der Arbeitgeber seine Mitarbeiter hierbei unterstützen?

Die Säulen können auch auf Organisationen und die Arbeit im Team angewendet werden. In unseren Trainings arbeiten wir zum Beispiel daran, den Optimismus im Team zu stärken, indem Erfolge gefeiert und der Blick für die Stärken im Team geschärft werden. Die Netzwerkorientierung kann in Zeiten des Homeoffice' durch bewussten virtuellen Austausch, Gesprächsroutinen oder neue Strukturen gestärkt werden. Und auch die Lernkultur sollte gefördert werden, indem beispielsweise offen über Erfahrungen - auch negativer Art - gesprochen wird, um sich so dynamischer an Veränderungen anpassen zu können.

Welche Strategien kann im Grunde jeder anwenden?

Bei Stress hat Bewegung, vorzugsweise in der Natur, beispielsweise einen positiven Effekt auf unsere psychische Gesundheit. Auch 20-minütige Spaziergänge helfen. Eine gesunde Schlafroutine ist ebenso wichtig und genug Entspannungspausen. Das heißt, dass wir immer im Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung sind. In Zeiten von Homeoffice, wo die Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben, zwischen Pausen, Feierabend und Arbeit verschwimmen, lohnt es sich, ganz bewusst Zeiten der Regeneration einzulegen. Da können zum Beispiel Entspannungsübungen helfen.

In Bezug auf die Coronakrise hat uns ein Leser gefragt, wie wir es schaffen können, eine belastende, nicht veränderbare Situation zu akzeptieren. Welche Strategie gibt es dafür?

Das ist eine gute Frage. Auch hier gilt leider wieder, dass es da nicht diese eine Strategie gibt. Prinzipiell ist es wichtig, dass wir uns der Situation, die wir nur schwer akzeptieren können, stellen. Ihr Raum geben und sie nicht verdrängen. Hier können Gespräche mit Vertrauenspersonen oder auch Ansätze wie das Brain-Dumping helfen. Dabei schreiben wir einfach alle Dinge auf, die uns im Kopf herumschwirren und uns belasten. Komplett unstrukturiert. Im nächsten Schritt fragen wir uns, was wir jetzt damit machen, wie wir damit umgehen. Wir fokussieren unsere Aufmerksamkeit darauf, was veränderbar oder was vielleicht auch eine Chance in dieser Situation ist. Studien haben gezeigt, dass dies zur Steigerung der Akzeptanz hilfreich sein kann. Wichtig ist, dass wir nicht in eine Passivität verfallen und die Dinge einfach über uns ergehen lassen. Es gilt, nachsichtig mit sich selbst zu sein.

Zur Person: Simone Wenzel, Wirtschaftspsychologin, Senior Consultant und Trainerin im Kölner Institut für Managementberatung. Ihre Trainingsschwerpunkte sind unter anderem Resilienz auf individueller, Team- oder organisationaler Ebene sowie der Umgang von Mitarbeitern und Führungskräften mit Veränderungs- und Krisensituationen. Das Interview wurde über Teams geführt.

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