Egal ob Angela Merkels Raute oder Donald Trumps Präzisierungsgeste aus Daumen und Zeigefinger: Auch wenn wir nichts sagen, sagen wir viel. Über unsere Gestik und Mimik senden wir Signale an unsere Umwelt. Wir gestikulieren beim Sprechen, verändern unsere Mimik und unterstreichen damit unsere Aussagen und unsere Erscheinung. Doch was verrät das über uns und was kann man daraus ableiten? Das erklärt Körpersprache-Experte Stefan Verra.

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Herr Verra, was kann Körpersprache über jemanden aussagen?

Stefan Verra: Mit einer Körpersprache-Analyse kann ich das Äußere einer Person beurteilen. Sie kann also niemals das Innere eindeutig offenbaren. Maximal Rückschlüsse darauf sind möglich. Gedankenlesen per Körpersprache ist also nicht möglich. Allerdings ist Körpersprache immer ein äußeres Zeichen einer inneren Befindlichkeit.

Menschen machen eine Geste üblicherweise aus bestimmten Gründen. Nehmen wir zum Beispiel Angela Merkels Raute. Es gibt hierbei zwei Dinge, die wissenschaftlich argumentierbar sind. Mit den Händen in dieser Haltung wirkt sie deutlich aktiver als früher noch, als ihre Arme lasch links und rechts herunterhingen. Diese Armhaltung hat uns in der Evolution immer schon aktiv gemacht. Für Abwehr von Feinden und Heranziehen von Ressourcen.

Der zweite Punkt: Das sanfte Aneinanderlegen der Fingerspitzen lässt bei Angela Merkel auf einen niederen Cortison-Spiegel schließen. Das Stresshormon wird vor allem dann gebildet, wenn wir ans Limit kommen. Weil Merkel auch in stressigen Situationen ihre Fingerspitzen nur ganz sanft berührt, scheint sie später in eine Stressreaktion zu kommen, als die meisten von uns. Das wollen wir bei so einem politischen "Alpha-Tier" auch sehen.

Wie wichtig sind Gestik und Mimik für unsere Kommunikation?

Man muss das aus der Evolution heraus betrachten. Sowohl Menschen als auch Tiere mussten früher bereits aus großer Entfernung einschätzen können, was auf sie zukommt und was es für Folgen haben wird. Deswegen spielt die Körpersprache in der Ersteinschätzung des Gegenübers die größte Rolle.

Das heißt, aus hundert Metern Entfernung sehe ich bereits, ob jemand aggressiv auf mich zukommt oder nur gemütlich auf mich zuschlendert. Nehmen wir mal Donald Trump und Barack Obama: Trump wirkte auf unser Stammhirn eher gefährlich – im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Da hatten wir alle das Gefühl, er ist einer von uns.

Dann kommt der zweite wichtige Punkt: Die hierarchische Einordnung. Ordnet sich mein Gegenüber über oder unter mir ein? Obama hat hier signalisiert, dass er sich mit uns gleichstellt und wir haben ihn dadurch ins Herz geschlossen. Donald Trump hat genau das Gegenteil gemacht. In Prozenten kann man nicht sagen, wie wichtig die Körpersprache im Vergleich zu gesprochenem Wort ist, aber die Körpersprache kommt vor der ersten Silbe – und somit entscheiden wir an ihr mit welcher Emotion wir den folgenden Worten zuhören.

Wie viel Glauben können wir den Analysen von Körpersprache-Experten schenken?

Gleich vorneweg: 80 bis 90 Prozent der bestehenden Analysen sind Humbug. Bei Körpersprache-Analysen zählt nicht die Meinung dessen, der analysiert, sondern das, was sichtbar und wissenschaftlich durchargumentierbar ist. Und zwar ohne Argumentationsbruchstellen.

Ich kann aus Körpersprache niemals auf die innere Befindlichkeit oder Psyche eines Menschen schließen. Da grenze ich mich von einigen Psychologen ab, weil es hier immer wieder Argumentationsbruchstellen gibt. Jeder, der eine Analyse liest, sollte sich Gedanken darüber machen, ob sie wissenschaftlich haltbar wäre.

Über welche Theorien und Schlussfolgerungen lässt sich diskutieren?

Ganz wichtig ist hier zu sagen, dass Einzelsignale nicht deutbar sind. Man muss beobachten, ob dieses Signal nochmal auftaucht oder ob es zufällig war. Ein Foto kann deshalb zum Beispiel nicht wirklich analysiert werden. Dafür sind bewegte Bilder nötig. Viele Analysten oder auch die Medien nehmen einfach ein Foto her und ziehen daraus ihre Schlüsse.

Das funktioniert nur, wenn jemand diese Geste immer macht – wie zum Beispiel Angela Merkels Raute. Jeder weiß, dass das zu ihr dazugehört. Ich kann aber zum Beispiel nicht anhand eines Fotos den Beziehungsstatus von Kim Kardashian und Kanye West erklären. Ich kann auch an der Körpersprache keinen Lügner erkennen, obwohl das viele Analysten immer behaupten. Solche Theorien und Schlussfolgerungen sind immer mit Vorsicht zu genießen.

Ist es möglich, Personen zu analysieren, wenn man sich nicht mit ihnen im gleichen Raum befindet? Oder verfälscht eine Analyse via TV die Ergebnisse gegenüber einer direkten Untersuchung?

Wenn man gutes Videomaterial hat, am besten auch "Off the Scene"-Material, und wenn man auf den Aufnahmen möglichst viel vom Körper sieht, dann kann das auch mit TV-Analysen ganz gut klappen. Aber so eine Analyse dauert etliche Stunden. Soll ich jemanden genau analysieren, sitze ich schon mal acht bis zehn Stunden an einem Video und überprüfe auch die Wiederholung der Geste.

Ob sie nur einmal zufällig gemacht wurde, oder ob sie immer wieder vorkommt. Ich beobachte den Umfang der Bewegungen, und wie lange Gesten und Mimiken gehalten werden. Auch die Veränderung der Körpersprache während des Gesprächs ist wichtig. Zum Beispiel ob sie grundsätzlich ausladender oder enger wird. Ob sich der Kopf tendenziell hebt oder senkt. Also immer das große Ganze vor den Einzelsignalen.

Welche Einflüsse spielen eine Rolle bei unserer Körpersprache?

Jeder äußere Reiz, der stark genug ist, um das Ionen-Gleichgewicht in unserer Zellmembran aus dem Gleichgewicht zu bringen, verändert die Körpersprache. Und das sind schon sehr geringe Reize. Wir reagieren immer auf fast alles.

Kann jeder von uns Körpersprache deuten lernen?

Jeder von uns konnte das mal. Das heißt eigentlich, dass wir es wieder lernen müssen. Als Baby waren wir darauf angewiesen, über unseren Körper zu kommunizieren. Wir haben die Sprache noch nicht beherrscht. Zu erkennen, ob es den Eltern gut geht, konnten wir nur an der Körpersprache deuten.

Waren unsere Eltern nervös, hatte das auch einen Einfluss auf uns. Und mit neun oder zehn Jahren entwickelt sich das "vernünftige Denken" und dann glauben wir plötzlich, wir könnten uns die Welt allein aus den Inhalten heraus erklären. Wir müssen im Erwachsenenalter wieder lernen manchmal das vernünftige Denken hinten anzustellen und Menschen einfach auf uns wirken lassen.

Stefan Verra (*1973) aus Lienz, Österreich ist Körpersprache-Experte, Dozent, Coach und Autor. Er hält weltweit Vorträge zur Körpersprache für Unternehmen, Ärztekongresse und macht das Thema mit öffentlichen Veranstaltungen für Interessierte zugänglich. Verra hat bereits drei Bücher über Körpersprache veröffentlicht: "Die Macht der Körpersprache im Verkauf" (2011), "Hey, dein Körper spricht! Worum es bei Körpersprache wirklich geht" (2015) und "Hey, dein Körper flirtet! Echt männlich, richtig weiblich – was wir ohne Worte sagen" (2016).
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