Hitlers Plan der totalen Zerstörung: Am 19. März jährt sich der "Nero-Befehl" zum 75. Mal. Was hat es damit auf sich?

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Am 19. März 1945, zu einem Zeitpunkt, als die militärische Lage für Deutschland bereits aussichtslos war, befahl Hitler den deutschen Truppen beim Rückzug die vollständige Zerstörung der deutschen Infrastruktur: "Alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören."

Die Feinde, das heißt die zu diesem Zeitpunkt bereits vordringenden alliierten Truppen, sollten nur noch "verbrannte Erde" in Deutschland vorfinden. Hitlers Absicht war die Zerstörung sämtlicher Lebensgrundlagen auf deutschem Boden.

Damit weitete er die Zerstörungsmaßnahmen, die sich bislang auf die deutschen Eroberungs- und Besatzungsgebiete im Ausland erstreckt hatten, auf deutschen Boden aus.

Der Name "Nero-Befehl" - historisch umstritten

Der Name des im Nachhinein als "Nero-Befehl" betitelten Erlass ist auf den römischen Kaiser Nero zurückzuführen, der mutmaßlich seine Heimatstadt Rom selbst in Brand gesetzt haben soll - diese Einordnung wird mittlerweile aber von vielen Historikern angezweifelt.

Unzutreffend ist der Name auch in Bezug auf Hitlers Intention einer flächendeckenden Zerstörung, denn der Befehl beschränkte sich nicht nur auf eine einzelne Stadt. Deutschland hatte während der vorangegangenen fünf Kriegsjahre ganze Länder gebrandschatzt. Nunmehr sollte auch das deutsche Reichsgebiet vollkommen zerstört und den Menschen jegliche Lebensgrundlage genommen werden.

Militärische Notwendigkeit oder Strafaktion?

Hitler begründete seinen Erlass mit militärischer Notwendigkeit. Im Osten war zu diesem Zeitpunkt die Rote Armee bis zur Oder vorgedrungen; im Westen hatten US-Truppen den Rhein überschritten, viele deutsche Städte fielen dem britischen Bombenhagel zum Opfer.

Offensichtlich plante Hitler zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Suizid, den er am 30. April ausführte. Es war ihm bewusst, dass er eine Niederlage ohnehin nicht überleben würde. Das deutsche Volk sollte keine Zukunft haben und mit ihm gemeinsam untergehen.

Der Befehl war wohl auch als Strafe für die Niederlage Deutschlands gedacht: "Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen!"- so Adolf Hitler.

Zerstörung deutscher Infrastruktur lange vor dem "Nero-Befehl"

Bereits in den Wochen vor dem "Nero-Befehl" hatte Hitler die Zerstörung der Infrastruktur in Gebieten angeordnet, mit deren Besetzung durch die Alliierten zu rechnen war. So war außer der Brücke von Remagen keine der Rheinbrücken mehr passierbar, und auch andere Verkehrswege waren zerstört.

Die Offiziere, die laut Hitler versagt hatten, weil sie die Brücke von Remagen nicht gesprengt hatten, wurden zum Tode verurteilt.

Umsetzung des "Nero-Befehls"

Der "Nero-Befehl" wurde nur teilweise umgesetzt und betraf vor allem die Zerstörung von Brücken, Verkehrswegen und Versorgungsanlagen, weniger die Industrie. So kam es unter anderem zur Sprengung eines Tunnels der Berliner S-Bahn unter dem Landwehrkanal, die zu einer Flutung der U-Bahn führte; unklar ist allerdings, wer tatsächlich hinter der Sprengung steckte.

Vielfach versuchten die Bewohner die Vernichtung von Brücken oder auch ganzen Städten zu verhindern und bezahlten dafür mit dem Leben.

Zusammen mit einigen Großindustriellen versuchte der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer, die Zerstörung von Industrieanlagen zu verhindern. Den Eliten war daran gelegen, ihre wirtschaftlichen Machtpositionen zu wahren; teilweise hatten sie auch bereits Kontakt mit Konzernen im Ausland aufgenommen.

In einem Schreiben vom 29. März an Hitler kritisierte Rüstungsminister Speer dessen "Nero-Befehl". Die Durchführung der geplanten Zerstörungsmaßnahmen hätte zu noch stärkeren Einschränkungen geführt und wäre existenzbedrohend für die überlebende Bevölkerung gewesen.

Am 30. März musste sich Hitler einverstanden erklären, die Industrie nur zu lähmen, anstatt sie komplett zu zerstören. Hitler präzisierte den Erlass vom 19. März und ließ Speer Spielraum für konkrete Entscheidungen. Durch Speers Intervention wurde der Erlass dann Anfang April unwirksam.

Die Rolle des Rüstungsministers Albert Speer

Albert Speer, von Beruf Architekt, seit 1942 Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, übergab einen Tag vor dem "Nero-Befehl" Hitler einen Brief, in dem er sich gegen dessen Vernichtungspläne aussprach. Hitler ignorierte das Schreiben.

In Speers Antwort auf den "Nero-Befehl" lehnte er Hitlers Plan erneut ab. Es gelang ihm, dass alle Zerstörungsmaßnahmen über sein Ministerium laufen mussten - so konnte er in Zusammenarbeit mit Wehrmacht und Verwaltung viele Maßnahmen verhindern.

Aber Speer versuchte nicht nur, die Großindustrie zu schützen, sondern wollte sich angesichts des vorhersehbaren Endes auch selbst in ein positives Licht rücken. Das nutzte ihm später im Nürnberger Prozess, denn er wurde nicht zum Tode, sondern nur zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

Dieser Schachzug Speers sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein Freund Hitlers war. In seiner Funktion als Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion war es ihm gelungen, die Rüstungsindustrie zu enormen Leistungen anzutreiben, was zu einer Verlängerung des Krieges beigetragen hat.

Auch war er am Bau von Konzentrations- und Massenvernichtungslagern beteiligt und hat sich offenbar an jüdischen Notverkäufen bereichert.

Verwendete Quellen:

  • Adolf Hitlers "Nero-Befehl", NS-Archiv, Dokumente zum Nationalsozialismus
  • Das Zeitalter der Weltkriege, Ploetz Große illustrierte Weltgeschichte in 8 Bänden, Band 5
  • Welt.de: Im Bunker fällte Hitler Deutschlands Todesurteil
  • Manfred Weißbecker: "... bis alles in Scherben fällt", AG Friedensforschung, Bundesausschuss Friedensratschlag

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