Deutschland wird wohl auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, selbst genug "grünen" Wasserstoff für die eigene Wirtschaft zu produzieren. Aber es gibt Alternativen.

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Für die in Deutschland angestrebte Klimaneutralität gilt mit Ökostrom erzeugter "grüner" Wasserstoff als dringend notwendig. Die Dekarbonisierung von Industriebetrieben mit hohen Treibhausgasemissionen soll mit dem Hochlauf des Wasserstoffmarktes vorangetrieben werden. Doch wie wird der wachsende Bedarf gedeckt? Energieversorger jedenfalls rechnen hierzulande für die Zukunft mit keiner Eigenversorgung mit nachhaltig produziertem Wasserstoff.

Aus Sicht des spanischen Energieriesen Iberdrola liegt das auch am fehlenden Angebot des benötigten Stroms aus Erneuerbaren Energien. "Solange wir in Deutschland noch große Mengen Strom "vergrünen" müssen, wird die Wasserstoffwirtschaft immer darunter leiden, dass sie um Erneuerbare Energien konkurriert", sagte der Vertriebschef von Iberdrola Deutschland, Sven Wolf, der Deutschen Presse-Agentur.

Größerer Wasserstoffbedarf, als eigene Produktionsmöglichkeiten hergeben

So sehen es auch RWE und Eon: "Deutschlands Wasserstoffbedarf ist deutlich größer als seine Möglichkeiten zur Erzeugung von Erneuerbarem Strom", heißt es bei RWE. Ein knappes Gut muss der Rohstoff jedoch deshalb nicht sein. "Wir stehen weltweit in Kontakt mit Unternehmen, die liefern wollen", wird bei Eon betont.

Auch das Bundeswirtschaftsministerium rechnet nur mit einer Teilversorgung der deutschen Wirtschaft durch Eigenproduktion: "Da die heimischen Erzeugungspotenziale für Wasserstoff begrenzt sind, wird der größere Teil der Bedarfe dauerhaft über Importe von Wasserstoff und seinen Derivaten gedeckt werden müssen", heißt es im Entwurf für die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Bisher will die Bundesregierung in Deutschland bis 2030 eine Elektrolysekapazität von mindestens zehn Gigawatt aufbauen.

Doch wo liegen die Hindernisse für die Wasserstoff-Produktion aus Ökostrom in Deutschland und Europa? Energieversorger verweisen auf die Kosten beim Ausbau der Erneuerbaren. "Da für die Produktion von "grünem" Wasserstoff mithilfe von Elektrolyse beträchtliche Mengen an Strom benötigt werden, müssen die Kosten für erneuerbare Energiequellen wie Wind und Solar weiter sinken", heißt es bei Eon.

In der deutschen Wasserstoffwirtschaft gibt man sich zuversichtlich: Im Energiemix sei der Wasserstoffeinsatz lange nicht so unwirtschaftlich wie häufig dargestellt, sagt Mischa Paterna vom Wasserstoffcluster Mecklenburg-Vorpommern. Bei der Speicherfähigkeit und Kopplung von Strom- und Wärmesektor gebe es schlichtweg keine Alternative, und politische Vorgaben erzwingen schnelles Handeln.

Um Risiko und Preise für Stromerzeuger, Wasserstoffproduzenten und Industrieabnehmer in Grenzen zu halten, setzen Unternehmen unter anderem auf langfristige Strom-Abnahmeverträge, sogenannte Power Purchase Agreements (PPA). Iberdrola-Deutschland-Chef Felipe Montero hält eine Produktion von Wasserstoff ohne Festverträge bei normalen Marktbedingungen vor allem in Deutschland für nicht wettbewerbsfähig.

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Stahlproduzent schließt Deal mit Wasserstofferzeuger aus dem Baltikum ab

Der Stahlproduzent Salzgitter und Iberdrola haben jüngst einen langjährigen Liefervertrag für Grünstrom geschlossen. Der soll aus dem im Bau befindlichen Offshore-Windpark "Baltic Eagle" in der Ostsee kommen. Damit soll "grüner" Wasserstoff produziert werden, der ein Kernelement für die Produktion von "nahezu CO₂-freiem Stahl" sei.

Aus Sicht von RWE werden solche PPA auch aus regulatorischen Gründen fast schon existenziell für die grüne Wasserstoffwende in Industrie und Verkehrssektor sein. Verwiesen wird auf EU-Vorgaben, wonach "Betreiber von Elektrolyseuren innerhalb der EU langfristige Stromabnehmerverträge für Strom aus Erneuerbaren benötigen, damit sie den erzeugten Wasserstoff als 'grün' vermarkten dürfen". Um im Rahmen des europäischen CO₂-Zertifikatehandels steigende Produktionskosten zu vermeiden, bleibe energieintensiven Firmen also wenig Spielraum.

Die im Februar 2023 vorgestellten EU-Regeln, die die Ziele für die Wasserstoffproduktion konkretisieren, werden von der Wirtschaft grundsätzlich begrüßt. Endlich Planungssicherheit, heißt es. Iberdrola bemängelt aber, dass nach einer Übergangsphase stundengenau nachgewiesen werden müsse, dass der verwendete Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Auch bei Eon und RWE spricht man von Überregulierung. "Das macht Wasserstoff in der EU unnötig teuer", kritisiert RWE.

Damit überhaupt eine nennenswerte Produktion von Wasserstoff in Europa entsteht, ist aus Sicht der Energiewirtschaft vor allem in der Anfangsphase Förderung nötig. Eon, RWE und Iberdrola nennen als mögliche Ansatzpunkte eine Subvention des zur Wasserstoff-Produktion benötigten Stroms, Hilfen bei Investitionen in Elektrolyse-Anlagen und eine transparentere Förderlandschaft auf europäischer Ebene.

Wasserstoffcluster in Deutschland, in denen etwa Firmen ihre Aktivitäten bündeln und abstimmen, hoffen darauf, dass die Bundesregierung sich das Förderprojekt H2Global auch im Inland zum Vorbild nimmt: Hier garantiert der Bund beim Import von "grünem" Wasserstoff, dass An- und Verkäufer zu bestmöglichen Konditionen miteinander handeln können und sichert Produzenten die Übernahme möglicher Deckungslücken. Die Festlegung eines Fixpreises, um Planungssicherheit für den Markthochlauf zu ermöglichen, wäre nach Angaben von Paterna der Wunsch der Wasserstoffwirtschaft. (dpa/the)

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