Ein bisschen "Wetten, dass..?", eine Prise "Lass dich überraschen": Mit vielen Promis auf der Couch versucht "Gottschalk holt’s nach" das verkorkste 2020 zu revidieren. Das kann nicht gelingen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Was war das für ein Jahr. Eines, das wir am liebsten sofort aus unserem Gedächtnis löschen möchten. Ein Jahr, in dem wir zu Hause saßen, in die Kameras unserer Laptops starrten, uns auf der Straße voneinander abwandten, uns aufregten, dass der andere keine Maske trägt. Oder eben doch.

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Es war aber auch das Jahr, in dem es keine Fußballeuropameisterschaft gab, kein Olympia, keine Festivals, keine Konzerte, keine Karl-May-Spiele. Ähm, Moment, Karl-May-Spiele? Wer hat die denn vermisst? Im deutschen Fernsehen eigentlich nur einer: Thomas Gottschalk, der in "Gottschalk holt’s nach" in der ARD am Montagabend dieses Katastrophenjahr zumindest ein kleines bisschen wieder in Ordnung bringen will.

In den ersten Sekunden scheint das tatsächlich zu gelingen. Thomas Gottschalk schreitet mit großer Geste ins Studio, lila Hose, Samtjackett, irgendwo zwischen Dandy und Hippie. Er begrüßt Deutschland, Österreich und die Schweiz, das Publikum johlt. Aber es ist noch immer 2020, das Klatschen kommt vom Band, so wie den Rest des Abends. Mal aus der Konserve, mal aufgenommen in der Hamburger Elbphilharmonie oder in Wacken.

"Gottschalk holt's nach": Winnetou und Jon Bon Jovi

Gottschalk setzt sich auf die Couch, weil wo Gottschalk ist, muss auch eine Couch sein, beziehungsweise eine Sitzlandschaft, der Knietätschler der Nation muss Abstand halten. Schließlich hat auch Gottschalk einiges nachzuholen, zum Beispiel die ausgefallene einmalige Ausgabe von "Wetten, dass ..?", die im November stattgefunden hätte.

Das erklärt zumindest den Aufmarsch der ewig gleichen prominenten Gäste, die irgendwie zum Inventar bei Thomas Gottschalk gehören: David Garrett, Peter Maffay, Robbie Williams, Sting, Jon Bon Jovi. Und eben Winnetou, für den sich außer Gottschalk eigentlich sonst niemand mehr im Fernsehen interessiert.

Bis auf Sophie, 13 Jahre alt, die in diesem Jahr unbedingt nach Bad Segeberg zu den Karl-May-Spielen wollte. Da dies nicht möglich war, trifft sie eben Ex-"DSDS"-Sieger Alexander Klaws im Studio, der 2020 erneut den Häuptling der Apachen gespielt hätte.

Auftritt, Überraschung, Promi

Ein Muster, das sich in den fast drei Stunden von "Gottschalk holt’s nach" stets wiederholt. Zwei jugendliche Athleten, die für Deutschland bei Olympia im Skateboarden angetreten wären, dürfen ihre Kür zeigen und treffen per Videoschalte den Rekord-Skater Tony Hawk.

Die zwölfjährige Soley wollte bei einem Beethoven-Wettbewerb antreten, jetzt spielt sie in der ARD und Weltklasse-Pianist Lang Lang schaut von der Videoleinwand aus zu. Hanna und Greta träumen von einem Auftritt in der Elbharmonie mit ihrem Orchester, Überraschung, David Garrett stolziert herein.

Moni und Daniel wollten mit 120 Gästen heiraten, Maxi und Ahmed führen eine Fernbeziehung und konnten sich ein Jahr lang nicht sehen - und das bleibt auch so. Statt Blitzhochzeit und Pärchenzusammenführung singt Wincent Weiss.

Gottschalk fehlt das Publikum

Thomas Gottschalk moderiert das souverän ab, aber dass ihm das Publikum fehlt, ist nicht zu übersehen. Im Heer der Moderationskärtchen-Auswendiglerner war er immer der, der spontan auf das reagierte, was in seinem Studio passiert und erst dann zu Höchstform auflief. Nur: So richtig viel Überraschendes passiert in "Gottschalk holt’s nach" nicht.

Robbie Williams meldet sich aus England, um zu erklären, was er im Lockdown gemacht hat (Frau, Kinder, Essen), will aber vor allem sein Weihnachtsalbum promoten. Toni Garrn nimmt auf der Couch Platz, um aus dem harten Lockdown-Leben eines millionenschweren Supermodels zu berichten. Virologe Alexander Kekulé ist auch da und hat ein Buch geschrieben.

Selbst Gesundheitsminister Jens Spahn schaltet sich hinzu, um wichtige Fragen zu beantworten: Wen er aus seiner Partei zu seinem Geburtstag einladen würde - die Kanzlerin. Ob wir nächstes Jahr Karneval feiern können - nö. Was es bei ihm an Weihnachten zu essen gibt - das weiß sein Mann. Ob er einmal Bundeskanzler werden möchte - bla, bla, bla, "einen Unterschied machen" - ja.

Corona-Jahr 2020: Zusammen und doch allein

Fehlt eigentlich nur noch Peter Maffay, der zum Abschluss zwei Superfans überrascht. Die Hand schütteln, geschweige denn umarmen, darf er sie nicht. So bleibt es bei einem sich immer noch seltsam anfühlendem Gruß aus der Distanz. Als Trostpflaster singt er zum Abschluss seinen neuen alten Song "Für immer jung", den er mit Fans noch einmal aufgenommen hat.

Im Studio dabei sein können die natürlich nicht. Zumindest nicht in gewünschter Weise. Stattdessen springen wieder rechts und links und hinter Peter Maffay Videoleinwände an, auf denen Menschen vor ihren Laptops, Smartphones und Tablets kurze Zeilen singen.

Irgendwie zusammen, aber doch voneinander getrennt. So wie eigentlich das ganze Jahr. Spätestens da ist klar: Daran kann auch Thomas Gottschalk nichts mehr ändern.

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