Nach einem 24:30 gegen Kroatien war die Stimmung bei den deutschen Handballern getrübt. Doch der Blick richtete sich schnell in Richtung EM-Halbfinale. Denn dort wartet am Freitag Weltmacht Dänemark.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die deutschen Handballer steckten ein bisschen im Zwiespalt. Die Stimmung war seltsam in den Katakomben der Lanxess Arena. Da war natürlich Freude wegen des Halbfinal-Einzugs bei der Heim-EM. Dies gelang erstmals seit 2016 wieder. Ein Erfolg, der bereits vor dem abschließenden Hauptrunden-Spiel gegen Kroatien feststand, sodass das DHB-Team befreit aufspielen, sich gar eine Niederlage leisten konnte. Doch die fiel mit 24:30 dann doch so deftig aus, dass sich Juri Knorr noch in der Halle bei den Zuschauern entschuldigte. Auch in der Interviewzone war ihm die Pleite noch sichtlich unangenehm.

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"Ich hätte mir einfach gewünscht, dass wir als Mannschaft nochmal eine Party feiern", sagte er: "Wir hatten aber nicht diesen Drive, diesen Spirit, diese Mentalität, die uns bisher im Turnier ausgezeichnet haben. Das ist extrem schade und es tut mir extrem leid für jeden, der in der Halle war, der sich ein Ticket gekauft hat." Denn das Team kenne die Preise. Dabei dachte er auch an seine Oma, die unter den Fans war. "Sie schaut nicht mehr so viele Handballspiele in der Halle. Deshalb ist das einfach schade", so Knorr. Ja, es war also auch Frust da. Die zuletzt stark angefachte Euphorie erhielt einen spürbaren Dämpfer.

"Dann spielen wir so einen Rotz"

Auch für Kai Häfner fühlte sich die Pleite "bescheiden an. Ich bin auch ein bisschen genervt von unserer Leistung, wie wir uns präsentiert haben. Wir wollten eigentlich den Flow mitnehmen, und dann spielen wir so einen Rotz. Das ist nicht gut und nervt gerade." Auch Rune Dahmke betonte, es sei "kein super Gefühl, mit einer Niederlage ins Halbfinale zu gehen. Das nimmt ein bisschen Euphorie raus. Und überschattet natürlich auch diesen riesigen Erfolg." Deshalb fühle es sich ein "bisschen blöd" an. Für den Moment zumindest.

Das lag unter anderem an dem nicht zu übersehenen und auch verständlichen Spannungsabfall, kombiniert mit Konzentrationsschwierigkeiten vor dem gegnerischen Tor. 24 Fehlwürfe leistete sich eine deutsche Mannschaft, die bei der hohen Fehlerquote die letzte Konsequenz vermissen ließ. "24 Fehlwürfe sind nicht schön, wir haben viele Chancen verworfen. Wir wollten die Last verteilen auf alle. Trotzdem bin ich natürlich unzufrieden", sagte Bundestrainer Alfred Gislason.

Viele Wechsel, viele Pausen

Er hatte Stars wie Knorr, Kapitän Johannes Golla oder Torhüter Andreas Wolff Pausen gegönnt, viel durchgewechselt und auch den Spielern eine Chance gegeben, auf die er die bislang nicht so intensiv gesetzt hatte. Zwischenzeitlich standen zum Beispiel in David Späth, Justus Fischer, Renars Uscins und Nils Lichtlein gleich vier U21-Weltmeister auf der Platte.

Die Mannschaft hat es zunächst nicht schlecht gemacht, hielt das Spiel bis zur Mitte der zweiten Halbzeit offen, verlor aber mit zunehmender Spielzeit Zugriff und Faden und verpasste es, ein gutes Gefühl für das Halbfinale am Freitag gegen Weltmeister Dänemark mitzunehmen. "Ich hoffe, dass die von diesem Spiel lernen und sie das nicht so schnell wiederholen", sagte Gislason über die hohe Fehlerquote. Er sei dennoch "sehr zufrieden, auch mit den ganzen Jungen". Über den Halbfinaleinzug sei er "sehr, sehr glücklich. Es war unser Traum, der ist wahr geworden."

Schnell abhaken

Man merkte trotz der Niederlage, dass sich bereits im Verlauf der Gespräche in der Interviewzone die Vorfreude einstellte. Gislason glaubt sowieso, dass sein Team das Negativerlebnis schnell abhaken wird. "Das Gefühl, ein Spiel verloren zu haben, ist nie schön. Wenn ich Unentschieden oder mit einem Tor gewonnen hätte gegen Kroatien und hätte durchgespielt mit einer Sieben, wäre ich unzufriedener als ich es jetzt bin", sagte der 64-Jährige: "Wir werden jetzt alles dransetzen, das Spiel gegen Dänemark zu gewinnen."

Das wird schwer genug, denn die Dänen gelten als Weltmacht im Handball, der Respekt ist riesig vor der Mannschaft, die erst im unbedeutenden Hauptrundenspiel gegen Slowenien die erste Niederlage bei diesem Turnier kassierte. Mit einer zweiten Garde wohlgemerkt, denn das Team ist nicht nur gespickt mit Topstars, sondern auch in der Breite unglaublich stark besetzt. "Wir müssen die beste Leistung der letzten Jahrzehnte abrufen", sagte Gislason: "Wir brauchen eine Riesenleistung, um eine Chance zu haben. Das ist uns allen klar." Wolff meinte, man sei nicht im Halbfinale, um sich dafür abzufeiern, "sondern wir sind im Halbfinale, um das Turnier gegebenenfalls zu gewinnen". Verstecken muss sich Deutschland nicht, aber es muss an dem Tag alles passen.

Flow, Fans und ein schlechter Tag

Häfner hofft deshalb auch auf die Unterstützung der 19.750 Fans in der am Freitag einmal mehr ausverkauften Halle, die ein wichtiger Faktor werden kann. "Wenn wir in den Flow kommen, die Halle da ist und die Dänen einen nicht so guten Tag haben, können wir dieses eine Spiel auch mal gewinnen", sagte Häfner.

Ohne Mut habe man eh keine Chance, betonte Knorr: "Wir haben natürlich Respekt, aber wir müssen mutig sein, wir müssen an uns glauben. Und diesen Glauben, der uns bisher stark gemacht hat, der uns zu dem größten Erfolg seit sehr langer Zeit für den deutschen Handball geführt hat, den brauchen wir", sagte der Spielmacher. Es müsse ein besonderer Tag werden, betonte der 23-Jährige: "Wir sind fähig, es zu einem besonderen Spiel zu machen. Mit den Fans da draußen." Die werden bereit sein. Denn sie hatten die Niederlage noch in der Halle abgehakt.

Verwendete Quellen

  • TV-Übertragung ARD
  • Mixed Zone Lanxess Arena
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