Nach der Weltmeisterschaft in Katar im vergangenen Jahr wird die WM 2034 höchstwahrscheinlich in Saudi-Arabien stattfinden, Fifa-Präsident Gianni Infantino hat dies bereits als perfekt vermeldet. Dass das Turnier vermutlich wieder im Winter gespielt werden muss und die Menschenrechtssituation in dem Königreich weitaus schlimmer als in Katar ist, scheint die Fifa und Infantino nicht weiter zu stören.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist, sollte man meinen, dass keine Aktion des Weltfußballverbandes Fifa und seines Präsidenten Gianni Infantino noch wirklich für Aufregung sorgen könnte. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der der ebenso mächtige wie gerissene Infantino am Montagabend auf seinem Instagram-Account verkündete, dass die Weltmeisterschaft 2034 in Saudi-Arabien stattfinden wird, verblüffte dann doch.

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Schließlich sollte die finale Entscheidung zur WM-Vergabe eigentlich erst beim Fifa-Kongress in Bangkok am 17. Mai 2024 fallen. Nun hat Infantino schon Monate zuvor Fakten geschaffen, ohne auf den Kongress Rücksicht zu nehmen. Gegenkandidaten für die Ausrichtung gibt es ohnehin nicht, Australien zog vermutlich angesichts der Aussichtslosigkeit des Unterfangens seine Bewerbung zurück.

"Das alles wirft Fragen über die Fifa-Führung auf. Auf einem praktischen Level stellt sich die Frage, ob die Fifa nicht eine Regel einführen sollte, dass es mindestens zwei oder drei Bewerber und somit einen Wettbewerb geben müsste", sagt der Journalist und Nahostexperte James M. Dorsey im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Auf einem übergeordneten Level ist die Fifa jedoch schon seit Jahrzehnten eine Unterstützerin arabischer Autokratien. Gianni Infantino hat offensichtlich eine sehr enge Verbindung zu Saudi-Arabien, insbesondere zu Kronprinz Mohammed bin Salman. Genauso wie er offensichtlich eine sehr enge Verbindung mit Scheich Tamim bin Hamad Al Thani aus Katar hat", sagt Dorsey, der das Buch "The Turbulent World of Middle East Soccer" geschrieben hat.

Saudi-Arabien ist einer der repressivsten Staaten im Nahen Osten

Man darf also annehmen, dass der Rückzug Australiens dem Fifa-Präsidenten aufgrund seiner persönlichen Verbindungen nicht ungelegen kam. Schon mit der Vergabe der WM 2030 an Länder auf drei verschiedenen Kontinenten hatte Infantino seinen Masterplan offenbart, um die WM 2034 aufgrund der kontinentalen Rotation des Turniers in Saudi-Arabien ausrichten zu können.

Dabei spricht abgesehen von den enormen finanziellen Mitteln und der unbestrittenen Fußballbegeisterung in der saudischen Bevölkerung eigentlich wenig für das Königreich als WM-Ausrichter. Die klimatischen Verhältnisse sind ähnlich wie in Katar, weshalb das Turnier wohl wieder in den Wintermonaten ausgerichtet werden müsste, was die europäischen Top-Ligen erneut zu einer Pause mitten in der Saison zwingen würde.

Die Situation der Menschenrechte in Saudi-Arabien schätzt Dorsey sogar noch weitaus schlimmer als in Katar ein. "Katar ist sicherlich keine Demokratie, sondern ein autokratischer Staat. Aber dort gibt es nicht diese Menge an politischen Gefangenen, niemand muss für Jahrzehnte ins Gefängnis, nur weil er oder sie einen Tweet abgesetzt hat. Es gibt auch nicht die Hinrichtungen wie in Saudi-Arabien. Man könnte die Aufzählung noch weiter fortsetzen. Saudi-Arabien ist einer der repressivsten Staaten im Nahen Osten", sagt der Amerikaner.

Saudi-Arabien will "Top Dog" sein – Sportswashing spielt nur eine untergeordnete Rolle

Die Menschen in Saudi-Arabien werden weiterhin politisch unterdrückt, auch wenn es im sozialen und wirtschaftlichen Bereich in den letzten Jahren einen Wandel gab. Zu diesem Wandel gehört auch, dass Saudi-Arabien als Ausrichter großer Sportereignisse auftritt. Boxkämpfe und Formel1-Rennen werden ins Land geholt, die Fifa Klub-WM wird in diesem Jahr in dem Wüstenstaat ausgetragen. In der Saudi Professional League spielen Mega-Stars wie Cristiano Ronaldo oder Neymar für horrende Gehälter. Die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2034 würde alledem die Krone aufsetzen.

Immer wieder wird von Sportswashing gesprochen, wenn ein Land Sport nutzt, um beispielsweise von Verstößen gegen die Menschenrechte abzulenken oder sich selbst ein besseres Image zu verschaffen. Im Fall von Saudi-Arabien spielt Sportswashing nach Einschätzung von James M. Dorsey aber nur eine untergeordnete Rolle.

"Es gibt viele Gründe dafür. Zuallererst stellt Saudi-Arabien seine Wirtschaft um. Die Sportindustrie spielt dabei eine zentrale Rolle. Sportveranstaltungen kurbeln den Tourismus an, was eines der Hauptziele der Saudis ist. Der Entertainment-Faktor spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in den Plänen. Den Menschen soll etwas geboten werden.

Außerdem geht es auch um die öffentliche Gesundheit. Saudi-Arabien ist eines der Länder mit den höchsten Raten an übergewichtigen Menschen und Diabetes-Erkrankungen", erklärt er. Die Hoffnung ist, dass mehr sportliche Betätigung nach dem Vorbild der Stars dabei Abhilfe schafft.

Aber natürlich geht es dem Königshaus auch darum, der Welt zu beweisen, dass Saudi-Arabien ein Mega-Event wie die WM ausrichten und eine gigantische Show abliefern kann. "Saudi-Arabien möchte immer der 'Top-Dog' sein. Egal, worum es geht", erklärt Dorsey.

Die Fifa scheint die eigenen Vorgaben zu ignorieren

Dass den Saudis dabei noch irgendjemand in die Quere könnte, ist unwahrscheinlich. Vor und während der WM in Katar regte sich in Deutschland Widerstand, es wurde in den Medien und auch unter den Fans viel über die Verstöße gegen die Menschenrechte diskutiert, es gab Boykottaufrufe. Allerdings war dies global gesehen eine Ausnahme, mit einem weltweiten Fan-Aufstand ist nicht zu rechnen.

"Um ehrlich zu sein: Den meisten Fans ist es egal. Es ist nur eine Minderheit der Fußballfans, die sich für die Situation der Menschenrechte interessiert. Es hat in Katar kaum jemand interessiert, Fans von Paris Saint-Germain, Manchester City oder Newcastle United ist es größtenteils völlig egal, wem ihre Vereine gehören", glaubt Dorsey.

Die nationalen Fußballverbände protestierten gar nicht, zögerlich oder zu spät gegen die Katar-WM, mit ernsthaftem Widerstand aus der Wirtschaft ist ebenfalls nicht rechnen. Selbst die Ermordung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul im Jahr 2018 beeinträchtigte die Handelsbeziehungen mit dem Land nur kurzfristig.

Einer WM in Saudi-Arabien scheint also nichts im Wege zustehen. Dabei führte das Turnier im vergangenen Jahr zu Konsequenzen, mit denen weder die Katarer noch die Fifa gerechnet hatten, wie Dorsey erklärt. Die Kritik im Vorfeld der Katar-WM warf ein Schlaglicht auf die Korruption beim Weltverband und die Situation der Arbeiter auf den Stadionbaustellen, sie zwang die Fifa dazu, 2017 ein festgeschriebenes Menschenrechtsprogramm in ihre Statuten aufzunehmen.

Diese eigenen Vorgaben scheinen dem Weltverband und seinem Präsidenten Gianni Infantino mit Blick auf die WM 2034 in Saudi-Arabien nun einmal mehr herzlich egal zu sein.

Über den Gesprächspartner:

  • James M. Dorsey ist ein international tätiger Journalist und Berater. Als Nahostkorrespondent berichtete der Amerikaner von verschiedenen Konflikten in der Region und wurde zweimal für den Pulitzer-Preis nominiert. Er schrieb das Buch "The Turbulent World of Middle East Soccer" und ist an der Universität Würzburg Co-Direktor am Institut für Fankultur.
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