Die Ikone speckt gehörig ab. Das Estadio do Maracana hat auf einen Schlag knapp zwei Drittel seines Fassungsvermögens verloren. Zumindest am Reißbrett. Denn streng genommen fände im Februar 2013 keine Menschenseele Platz im einst größten und wohl auch berühmtesten Stadion der Welt.

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In Rio de Janeiro gehen die Uhren schon immer ein bisschen anders, sagen die Brasilianer. Das Problem ist nur, dass die schöne Metapher in diesem einen Fall so gnadenlos einhergeht mit der Realität.

In weniger als 500 Tagen wird die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien angepfiffen. In Rio, im Maracana, soll dann am 13. Juli 2014 das Endspiel stattfinden. Wenn ab sofort alles glatt läuft. Doch danach sieht es derzeit nicht unbedingt aus.

Zwei WM-Stadien sind fertig

In Fortaleza und Belo Horizonte haben sie die Probleme hinter sich gelassen. Kurz vor Weihnachten wurden erst die Arena Castelao und wenige Tage später dann das Estadio Minerao eröffnet. Letzteres hält sogar kritischen Nachhaltigkeitsstudien stand: Darauf sind auf dem Dach eine 2,6-Megawatt-Photovoltaik-Anlage sowie eine Regenwassernutzungsanlage installiert.

Zwei von zwölf Spielstätten sind im WM-Gastgeberland heute schon fertig. Keine besonders beruhigende Quote; nicht nur angesichts des in diesem Sommer stattfindenden Confed Cups, der ja für die ausgewählten Stadien eine Art Generalprobe für das Endturnier im nächsten Jahr darstellt.

In Brasilia, Cuiaba, Curitiba, Natal, Porto Alegre, Salvador da Bahia und Sao Paulo steht den Veranstaltern und Baufirmen noch jede Menge Arbeit in Haus. Dennoch scheinen die Fristen dort derzeit nicht zu wackeln. In Rio und in Recife, der Stadt im äußersten Osten des Landes, sind die Probleme aber prekär. Und auch in Manaus gibt es veritable Verzögerungen und Probleme.

Regen verzögert Bauarbeiten

Dort soll ebenso wie in Recife ein komplett neues Stadion erbaut werden. Mitten im Amazonasgebiet türmen sich mittlerweile aber die Probleme. Das größte, und das sollte eigentlich für die Planer keine zu große Überraschung gewesen sein, ist der Regen. Der Rio Negro flutet permanent seine Ufer, von oben prasselt manchmal tagelang das Nass herunter.

Die Arena da Amazonia liegt in den Händen des deutschen Architekturbüros GMP, das zusammen mit der brasilianischen Baufirma Andrade Gutierrez das exotischste Stadion der Spiele bauen soll. Aber selbst deutsche Pünktlichkeit ist gegen den schwankenden Pegelstand des Rio Negro machtlos.

So fehlt es manchmal tagelang an Strom, die Zufahrtswege zum Stadion, das mitten im Urwaldgebiet errichtet wird, sind blockiert oder unter meterhohem Matsch vergraben oder beides. In Recife wird in einem noch nahezu unerschlossenen Stadtteil gebaut. Die Probleme dort sind andere, hätten aber trotzdem beinahe den Confed Cup in der Arena Pernambuco platzen lassen.

4.000 Arbeiter schufteten im Herbst letzten Jahres, um die Fifa-Kontrolleure doch noch zu überzeugen. Wenige Wochen davor war an eine Einhaltung der Fristen noch nicht im Traum zu denken. Der Druck ist aber weiter da, schließlich soll in diesem Sommer in Recife gespielt werden.

Große Probleme beim Umbau in Rio

Wo Recife und Manaus noch weitgehend unter dem Radar laufen, ist Rio mit dem Maracana als Brennpunkt nicht zu übersehen. Nicht nur wegen der WM: Zwei Jahre später finden in Rio gleich noch die Olympischen Sommerspiele statt.

Ein momentan durchaus mögliches Scheitern der Umbaumaßnahmen im wichtigsten Stadion des Landes käme einer nationalen Erniedrigung gleich, ähnlich der des 1:2 aus dem WM-"Finale" 1950 gegen Uruguay.

Das Maracana ist für das Ausland Sinnbild und Mythos des brasilianischen Fußballs zugleich. Aber auch für das "göttlichste aller Stadien dieser Welt" (Mario Zagallo) gelten schnöde Bauvorschriften und das Diktat der Fifa.

Wobei es im Stadion schon ganz manierlich aussieht. Das markante Dach-Oval ist geblieben, die Tribünen wurden angehoben und näher an das Spielfeld gezogen. Aus dem einstigen Fassungsvermögen von rund 200.000 Fans ist ein Bruchteil geblieben. Jetzt sollen 79.000 Menschen darin Platz finden.

Rekordverdächtige 6.000 Arbeiter werkeln 24 Stunden am Tag am und um das Stadion herum. Nur an Karneval fällt die Nachtschicht aus. Probleme gibt es mit den unmittelbaren Anwohnern. Das Maracana liegt wie unzählige andere südamerikanische Stadien auch direkt an den Eisenbahnschienen und damit im Schmelztiegel des täglichen Lebens.

Zwangsenteignung für Parkplätze

Jetzt sollten für eine Reihe neuer Parkgelegenheiten um das Stadion herum rund 700 Familien der Favela Metro Mangueira zwangsenteignet werden. Unter anderem hätten auch ein Indianer-Museum und eine Schule den Planierraupen weichen müssen. Die indigene Bevölkerung, die hier seit Jahrzehnten in besseren Barracken leben, weigerten sich aber zu gehen.

Um den Zeitplan nicht noch weiter zu strapazieren, entschlossen sich die Behörden nun für die Errichtung alternativer Parkplätze in anderen Zonen. Die Räumung ist vorerst verschoben, die Hatz nach Fristen geht aber unvermittelt weiter.

Es sind Unwägbarkeiten wie diese, die den Umbau von geschätzten 900 Millionen Reais (ca. 340 Millionen Euro) auf deutlich mehr in die Höhe schnellen lassen. Immerhin gibt es jetzt von Behördenseite die Garantie, dass das Maracana im April fertiggestellt sein soll. Am 2. Juni ist Eröffnung, Brasilien gegen England.

Bei der Fifa ist man angesichts der stockenden Fortschritte alarmiert. Andererseits gab es bei der letzten Weltmeisterschaft in Südafrika im Vorfeld ähnliche Probleme und am Ende hat alles mehr oder weniger reibungslos funktioniert.

Trotzdem mahnt Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke noch einmal eindringlich: "Die Deadline für die Fertigstellung der Stadien ist die WM-Endrundenauslosung im Dezember 2013. Dann muss Klarheit herrschen. Es kann nicht sein, dass ein WM-Stadion erst im April 2014 fertig ist. Wir brauchen entsprechende Vorlaufzeiten."

Fifa drängt auf Fertigstellung

Der Weltverband nimmt sich dabei wie gewohnt selbst aus der Schusslinie. Der Gastgeber sei für alle Stadien und die komplette Infrastruktur selbst verantwortlich. "Ich weise lieber jetzt auf die Probleme hin, denn jetzt haben wir noch genügend Zeit", sagt Valcke. "Es soll nicht heißen, das Thema sei nie angesprochen worden."

Und natürlich hat die Fifa für den Fall der Fälle auch schon eine Art Notfallplan gebastelt: Schafft es ein Standort nicht rechtzeitig, sein Stadion fertigzustellen, kippt es automatisch von der Liste. Dann wird in elf Stadien gespielt und die freigewordenen Partien werden auf andere Städte aufgefüllt.

Baukosten explodieren

Aber davon geht in Brasilien niemand aus. Auch wenn die Kosten schon jetzt geradezu explodiert sind. Rund drei Milliarden Euro Baukosten rechnen die Veranstalter insgesamt für den Neu- beziehungsweise den Umbau der zwölf Stadien. So lautete zumindest der Plan.

Dass die kalkulierten Zahlen eingehalten werden können, glaubt schon heute niemand mehr. Insgesamt soll der Staat rund zwölf Milliarden Euro für die Ausrichtung der WM ausgeben. Auch für ein Boom-Land wie Brasilien eine stolze Zahl.

Also bleiben sie gelassen und gewohnt optimistisch. Und basteln nebenbei an anderen Dingen. So sollen die rund 80.000 Prostituierten in Belo Horizonte in Englischkursen auf die Belange ihrer Gäste eingestimmt werden. Auch "technisches Vokabular" gelte es zu vermitteln. Das sind allerdings nur launige Geschichtchen am Rande. In erster Linie sind Stadien und Infrastruktur wichtig.

Brasiliens Sportminister Aldo Rebelo zumindest hat keinerlei Zweifel an der Schaffenskraft seiner Landsleute. "Wir haben einige Probleme, das kann man nicht leugnen. Aber wir können damit sehr gut umgehen. Und glauben Sie mir: Wir haben schon verwegenere Dinge auf die Beine gestellt!"

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