Nach der WM 2014 ist vor der EM 2016: Schafft es die deutsche Nationalmannschaft, ihren Erfolg von Brasilien bei den Großturnieren der kommenden Jahre zu bestätigen? Franz Beckenbauer sprach nach dem WM-Titelgewinn 1990 davon, dass die deutsche Mannschaft auf Jahre hinweg unschlagbar sei - und sah sich getäuscht. Wie optimistisch dürfen wir nach dem WM-Sieg 2014 in die Zukunft blicken?

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Der Kaiser ist der Kaiser und als solcher naturgemäß nahezu unfehlbar. Nur einmal lag Franz Beckenbauer dann doch spektakulär daneben: Mit seiner Einschätzung nach dem Triumph von 1990, der frisch gebackene Weltmeister Deutschland sei "auf Jahre hinaus unschlagbar. So leid mir das für den Rest auch tut."

Beckenbauers Prophezeiung wurde bereits zwei Jahren später von Europameister Dänemark ad absurdum geführt. Die Milchmädchenrechnung, die der Kaiser anhand der Zusammenlegung der beiden deutschen Fußballverbände, der Bundesrepublik und der DDR, kurz nach der Wende aufmachte, löste sich quasi in Luft auf. In fast einem Vierteljahrhundert holte Deutschland noch genau einen Titel - und zwar bei der EM 1996 in England - die Pokale der restlichen neun Großereignisse rissen sich andere Nationen unter den Nagel.

Jürgen Klinsmanns Reformen als Teil des Erfolgs

Jetzt ist Deutschland wieder Weltmeister. Der Deutsche Fußball-Bund kann nicht auf eine externe Zufuhr von neuen Spielern hoffen. Aber der DFB hat ja schon seit geraumer Zeit etwas viel Besseres: eine fantastisch funktionierende Spieler- und Trainerausbildung, die Jahr für Jahr immer noch mehr Talente auf und neben dem Platz ausspuckt.

Der Grundstein für den ersten Titel nach 24 Jahren sei nicht in den Wochen vor der WM in Brasilien gelegt worden. Das betonten alle Verantwortlichen, der Bundestrainer, der DFB-Präsident, die (erfahrenen) Spieler und auch die Trainer und Manager aus der Bundesliga.

Der Grundstein - eigentlich waren es gleich zwei - wurde in der dunkelsten Zeit des deutschen Fußballs gelegt. Das runderneuerte Ausbildungskonzept und die verpflichtenden Bestimmungen zur Errichtung von Nachwuchsleistungszentren für alle Profiklubs waren der erste Schritt. Den zweiten läuteten Jürgen Klinsmanns weiterführende Reformen ein.

Stars spüren den Druck von unten

Das liegt alles zwar schon ein paar Jahre zurück, unterstreicht aber deshalb umso besser die Nachhaltigkeit der Überlegungen: Deutschland "produziert" hervorragend ausgebildete Nachwuchsspieler in Serie. Die Bundesliga hat ihren Ausländeranteil auch deshalb wieder deutlich reduziert, die U-Mannschaften des DFB sind längst keine lästigen Anhängsel mehr, sondern werden von erfahrenen und perfekt ausgebildeten Trainern gecoacht, die von der D-Jugend an voll und ganz die Spielphilosophie der A-Nationalmannschaft mittragen.

Das alles führt dazu, dass hinter der nun Goldenen Generation der Lahms, Schweinsteigers, Mertesackers, Podolskis und Kloses die gar nicht mehr so jungen Wilden etabliert sind bei Joachim Löw und dass selbst diese Riege der Mittzwanziger - Neuer, Khedira, Özil, Boateng, Hummels - bereits Druck von den "Neuen" wie Christoph Kramer, Julian Draxler, Leon Goretzka, Max Meyer, Matthias Ginter oder Kevin Volland bekommt.

Joachim Löw hat die Qual der Wahl

Über 60 Neulinge hat Joachim Löw in seinen acht Jahren als Bundestrainer bereits einberufen. Löw hat das nicht aus blindem Aktionismus getan oder weil er über die Maßen experimentierfreudig wäre - sondern, weil ihm die Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga jedes Jahr ein paar neue, hoffnungsvolle Talente auf den Hof stellen, die Löw dann ausprobieren und gegebenenfalls in sein Team einbauen kann.

Bis auf den mittlerweile 36-jährigen Miroslav Klose wird keiner der anderen 22 Weltmeister aus der Nationalmannschaft zurücktreten. Und selbst Klose überlegt, ob er noch zwei Jahre dranhängen soll. Die offiziell beste Mannschaft der Welt wird also auch die kommenden Aufgaben in Bestbesetzung angehen können.

DFB-Elf weiß, dass sie Titel gewinnen kann

Die Gewissheit, auch die großen Titel gewinnen zu können, ist seit der Nacht von Rio de Janeiro da. Und unschätzbarer psychologischer Vorteil gerade für die älteren Spieler, die vorher einige Enttäuschungen zu verarbeiten hatten.

Deutschlands Erfolg ist auf Nachhaltigkeit aufgebaut, das ist der große Unterschied zu den Jahren nach dem 1990er-Triumph. Da verließ sich der DFB blindlings nur auf Altbewährtes und wurde von den anderen Nationen abgehängt. Das wird dieses Mal nicht mehr passieren. Auch, weil alle Beteiligten weit davon entfernt sind von dieser nonchalanten Überheblichkeit, die den 90er Generationen den Blick auf die Realität vernebelt hatte.

Natürlich schlafen auch die Konkurrenten nicht. Die Spanier, die schon in zwei Jahren mit einer starken Mannschaft wieder zurückschlagen wollen. Oder auch die Italiener, die Engländer und die Niederländer. Oder die aufstrebenden Nationen wie Frankreich und Belgien. Aber bis auf Spanien, das eine ähnliche Flut an hochspezialisierten Spielern in der Hinterhand weiß, ist der DFB auch in der Breite qualitativ hervorragend bestückt.

Deutschlands Joker stechen

Wie wichtig Alternativen und ein entsprechender Konkurrenzkampf sind, hat nicht zuletzt die WM gezeigt, wo fünf der insgesamt 18 Tore der deutschen Mannschaft von Spielern von der Bank erzielt wurden. Nicht zuletzt auch das goldene Tor im Finale - durch den eingewechselten Mario Götze, auf Flanke des eingewechselten Andre Schürrle.

Joachim Löw wird auch in Zukunft Problemfelder zu bearbeiten haben. Es fehlen Alternativen auf den Außenverteidigerpositionen und im Angriff, hier muss der Bundestrainer weiter improvisieren, weil (noch) keine entsprechenden Alternativen auf Anhieb helfen könnten. Aber das Problem ist längst erkannt und in der Ausbildung der Jugendlichen vermerkt.

Der Triumph in Brasilien hat eine Euphorie entfacht, die derzeit noch in den richtigen Bahnen verläuft. Sie fördert eine positive Aufbruchstimmung und macht nicht träge und satt. Im Erfolg begeht man entscheidende Fehler, das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt. Aber der DFB hat gelernt und scheint geläutert. Deshalb darf man auch voller Zuversicht in die Zukunft blicken.

"Die deutsche Mannschaft wird sehr schwer zu schlagen sein", hat Franz Beckenbauer am Montag gesagt und nicht wenige waren wohl im ersten Moment etwas erschrocken. Aber der Kaiser schränkte gleich auch ein: "Ich werde nicht mehr den Fehler machen und sagen, die deutsche Mannschaft wird auf Jahre hinaus unschlagbar sein."

Wenn also selbst der Berufsoptimist Beckenbauer demütig und mit der gebotenen Zurückhaltung zitiert wird, stehen die Chancen auf eine rosige Zukunft wohl nicht so schlecht.

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