Wenn man den Wechsel von Neymar zum FC Barcelona verstehen will, empfiehlt sich ein Blick in Sandro Rosells Vita. Der Präsident des FC Barcelona war nicht immer Präsident des FC Barcelona. In einem früheren Leben war Rosell für den Sportartikelhersteller Nike unterwegs.

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Er brachte den US-Riesen Mitte der 1990er Jahre auf Barcas Brust, fädelte danach auch den Vertrag mit dem brasilianischen Fußballverband ein. Seitdem spielen der FC Barcelona und die Selecao, zwei der bekanntesten Sport-Brands der Welt, in Leibchen mit dem Swoosh auf der Brust.

Neymar da Silva Santos Junior hätte eigentlich bei Real Madrid landen sollen. Es gehört zum Selbstverständnis der Königlichen, die besten Fußballspieler des Planeten ihr Eigen zu wissen. Und von diesem Neymar erzählen sie sich in Brasilien wahre Wunderdinge. Real Madrid ist es gewohnt das zu bekommen, was der Klub sich als Geschenk an sich und seine Fans so vorstellt.

Im Gerangel um einen 19-jährigen Springinsfeld aber wurde Real zum Opfer seiner Selbstgefälligkeit. So zumindest erzählt es Luis Alvaro de Oliveira. Der Präsident des FC Santos war vor geraumer Zeit in Spaniens Hauptstadt gereist, mit seiner Gelddruckmaschine Neymar im Gepäck. In Madrid blieben beide dann nur weniger als einen Tag.

Mourinho fordert neuen Haarschnitt

Wie die Kolonialherren hätten sich die Spanier aufgeführt, fluchte Alvaro de Oliveira. Tatsächlich hätte Trainer Jose Mourinho gefordert, Neymar müsse sich als potenzielles neues Mitglied der königlichen Familie die Haare schneiden lassen. Da hatten die Kolonialherren die Rechnung allerdings ohne die drei Brasilianer gemacht: Alvaro de Oliveira, Neymar junior und Neymar senior.

Papa Neymar firmiert zugleich als Manager seines Sohnes und bewegt sich auf seinem Terrain wie der Spross auf dem Feld: flink, aggressiv und angriffslustig. "Mein Sohn ist eine Firma. Und ich bin ihr Vorstandsvorsitzender", macht er erst gar keinen Hehl daraus, was das vorrangige Ziel der ganzen Unternehmung ist.

Sein Sohn ließ das Werben Reals abblitzen und verlängerte stattdessen kurze Zeit später um weitere zwei Jahre beim FC Santos. Europa konnte noch ein wenig warten. Finanziell jedenfalls war die Heimat für Neymar unschlagbar. Sein Vater zog binnen kurzer Zeit zehn große Sponsoren, unter anderem Red Bull, Konami, Panasonic, Unilever und Volkswagen an Land und vereinbarte Werbeeinnahmen von geschätzten 20 Millionen Euro pro Jahr.

Dazu veräußerte er die Bildrechte an seinem Sohn auf Lebenszeit an die Agentur IMX Talent. Das Internet und die mobilen Endgeräte dienen seitdem als Teilchenbeschleuniger, mehr als bei jedem anderen Sportler auf der Welt.

Das Business-Magazin "SportsPro" wählte Neymar im vergangenen Jahr zum "am besten vermarktbaren Sportler der Welt". Platzhirsche wie Usain Bolt oder David Beckham, das einstige Role-Model des durchkommerzialisierten Fußballprofis, landeten abgeschlagen auf den Plätzen.

Santos lehnt ab

Die Neymars sind ganz offensichtlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Brasiliens Wirtschaft boomt, angetrieben von der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft und den Olympischen Sommerspielen zwei Jahre später. Den Klubs geht es gut, viele Stars bleiben der Liga treu oder kehren nach Jahren im europäischen Exil wieder zurück. Die Zeiten, da den brasilianischen Klubs ein begabtes Talent nach dem anderen zu Spottpreisen abgekauft wurde, sind vorbei.

So konnte es sich auch der FC Santos leisten, die Millionen aus Madrid einfach so abzulehnen - und Neymar durfte noch ein Jahr an seinem Status des Heiligen in seiner Heimat feilen. In der eher drögen Selecao ohne einen anderen echten Star sticht er trotz seiner jungen Jahre längst heraus. Neymar ist ein begnadeter Dribbler und hat jetzt schon eine bemerkenswerte Kühle vor dem gegnerischen Tor. Das suggerieren wenigstens massenhaft im Internet gestreute Video-Clips.

"Virales Marketing" ist keine neue Erfindung. Aber bei Neymar schießen seine Effekte geradezu durch die Decke. Neymar senior soll seine Finger überall im Spiel und dabei Unterstützung von oberster Stelle haben. Nicht zufällig gab es in den letzten beiden Jahren um keinen anderen Spieler auf dem Planeten mehr Gerüchte als um seinen Sohn. Wie viel dabei von unabhängigen Medien glaubhaft recherchiert und wie viel bewusst aus "eigener Produktion" lanciert war, ist unklar. Das Gerücht ist da und wird recycelt, recycelt, recycelt.

So haben alle ihren Schnitt gemacht. Neymars Bekanntheitsgrad wuchs exorbitant - und damit seine Anhängerschaft und die Werbeeinahmen. Offenbar bedient Neymar mit seinem Image und seinem Style eine ganz besondere Klientel. Das freut die Peergroup, es freut aber vor allen Dingen die Sponsoren.

Beim FC Barcelona spielen unter anderem Gerard Pique, Carles Puyol und Andres Iniesta für Nike. Puyols Laufbahn wird bald enden, Iniesta hat nicht den benötigten Glamourfaktor. Pique, liiert mit Pop-Star Shakira, ist ein wichtiger Pfeiler, zudem mit Potenzial - aber eben auch ein Abwehrspieler. Und deren Spiel ist weitaus weniger spektakulär als das einer Offensivkraft.

Das beste Pferd im Barca-Stall hat einen Vertrag mit Nikes größtem Konkurrenten: Leo Messi spielt seit Jahren in den drei Streifen. Barcas Ausrüstervertrag mit Nike läuft dieses Jahr aus. Neymars Transfer - von fast allen Experten erst nach der WM 2014 vorausgesagt - könnte der Türöffner für eine Vertragsverlängerung mit noch größerer Laufzeit und besseren Konditionen für die Katalanen sein.

Schafft es Neymar in Europa?

Ab 1. Juli gilt Neymars Kontrakt bei den Katalanen. Sein sportlicher Wert für die Mannschaft ist im Vorfeld umstritten, ebenso seine Art, Fußball zu spielen. Es gibt einige, die ihm die raue Gangart in Übersee nicht auf Anhieb zutrauen. Schließlich hat er noch keine Sekunde in Europa gespielt.

Vielleicht ist das in erster Instanz auch gar nicht so wichtig. Wenn sich ein Klub eine längere Eingewöhnungszeit erlauben kann, dann wohl Barca mit seinem nachhaltigen Spielstil. Mindestens genauso wichtig ist die Rendite.

Sandro Rosell jedenfalls hat da längst andere Visionen. Der FC Barcelona soll mittelfristig der bekannteste Klub der Welt werden. Der neue Pop-Star des Fußballs dürfte dabei sehr hilfreich sein.

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