Er eckte überall an: Die Trainerkarriere von Jürgen Klinsmann

Schon zu seiner Zeit als Spieler ist Klinsmann hin und wieder für einen Aufreger gut – etwa, als er 1997 nach einer Auswechslung wutentbrannt in eine aufgestellte Werbetonne tritt.

Noch mehr als auf dem Fußballplatz polarisiert Klinsmann aber auf der Trainerbank. Der Start seiner Karriere erfolgt 2004 direkt an der Spitze, als neuer Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Nach dem Aus in der Vorrunde bei der EM hat Klinsmann viel vor: "Man muss den ganzen Laden auseinandernehmen", hatte er wenige Wochen zuvor in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gefordert.

Und tatsächlich: Der Trainer-Novize erstaunt die deutsche Öffentlichkeit schon zu Beginn mit neuen Ideen: Die Nationalspieler arbeiten unter dem amerikanischen Fitnesstrainer Mark Verstegen jetzt etwa mit Gummibändern – geradezu revolutionär.

Abgesehen davon macht der neue Nationaltrainer auch personell keine Kompromisse. Prominentester Fall: Der bislang unangefochtene Stammtorhüter Oliver Kahn muss seinen Platz als Nummer eins unter Klinsmann an Jens Lehmann abgeben. Nicht alle haben dafür Verständnis.

Auch im Trainerteam kracht es deshalb: Den langjährigen Torwarttrainer Sepp Maier wirft Klinsmann raus, als der sich für Oliver Kahn und nicht Jens Lehmann als Nummer eins im Tor ausspricht. Beim FC Bayern geht Maier sogar noch vor Klinsmanns Amtsantritt und sitzt nur noch in Kahns Abschiedsspiel neben Klinsmann auf der Bank.

Darüber hinaus fliegt Christian Wörns, mit dem Klinsmann bei der WM 1998 noch auf dem Platz stand, unter dem neuen Trainer aus dem DFB-Team. Und ist darüber wenig begeistert: "Er ist link und unehrlich", schimpft Wörns danach über seinen Ex-Teamkollegen.

Aber sogar die 1:4-Schlappe gegen Italien kurz vor der WM 2006 und Klinsmanns regelmäßige Flüge nach Kalifornien sind vergessen, als er Deutschland beim "Sommermärchen" im eigenen Land bis zu Platz drei führt. Nach der WM tritt er trotzdem zurück und überlässt seinem Co-Trainer Jogi Löw den Posten.

Zwei Jahre später tritt Klinsmann den nicht weniger prestigeträchtigen Job als Trainer beim FC Bayern an. Und bringt mit hierzulande unbekannten Namen wie Marcelo Martins, Nick Theslof oder Martín Vásquez gleich einen Großteil des Trainerstabs aus den USA mit.

In München hat Klinsmann viele starke Persönlichkeiten um sich, darunter Uli Hoeneß. Der hatte ihn zwei Jahre zuvor als Nationaltrainer noch scharf angegangen und bezeichnet ihn nach seiner Zeit in München sogar als "Feind".

Beim FC Bayern dreht Klinsmann erneut fast jeden Stein um, lässt große Teile des Vereinsgeländes umgestalten. Für Aufsehen und bald auch Spott sorgen vor allem die Buddha-Figuren, die im Sommer 2008 auf einer Dachterrasse an der Säbener Straße auftauchen. Später sagt Klinsmann, er sei für das Aufstellen der Statuen gar nicht verantwortlich gewesen.

Rund um Klinsmann immer ein viel diskutiertes Thema: Seine regelmäßigen Reisen in die Wahlheimat Kalifornien. Im Oktober 2008 basteln ihm verärgerte Bayern-Fans ein One-Way-Ticket in Richtung USA.

Warum die Fans unzufrieden sind? Unter anderem ein 2:5 zuhause gegen Werder Bremen, ein 1:5 gegen den späteren Meister Wolfsburg oder das Pokal-Aus gegen Bayer Leverkusen bringen die Bayern 2008/09 um jegliche Titelchancen. Doch die größte Blamage folgt im Champions-League-Viertelfinale, als der FC Barcelona die Münchner schon im Hinspiel mit 4:0 vom Platz fegt. Kurz danach wird Klinsmann entlassen.

Im Jahr 2011 tritt Philipp Lahm in seinem Buch "Der feine Unterschied" gegen Klinsmann nach: Schon nach sechs bis acht Wochen hätten die Spieler gewusst, dass es mit dem Trainer beim FCB nicht klappen würde, schreibt er darin. Klinsmann habe sich vor allem für die Fitness interessiert, während die Spieler die Taktik selber besprechen mussten.

Klinsmanns nächste Station als Trainer ist 2011 die amerikanische Fußball-Nationalmannschaft. Auch hier macht sich er sich nicht überall Freunde: So bringt er die amerikanische Fußballliga Major League Soccer gegen sich auf, nachdem er erklärt, die Spieler hätten es dort schwer, ihr Niveau zu halten.

Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt gibt es einen kleinen Spieleraufstand: Der Trainer würde zu viel experimentieren, taktisch zu wenig erklären und lieber auf deutschstämmige Amerikaner wie Jermaine Jones (l.) setzen als auf einheimische Spieler, kritisieren elf Profis in einem anonymen Brief. Doch Klinsmann übersteht die Krise.

Doch es bleibt weiter kontrovers: Überraschend nominiert Klinsmann Landon Donovan, den er 2009 noch zum FC Bayern holte, nicht für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Für Ärger sorgt dabei vor allem ein Twitter-Kommentar seines Sohnes, der den US-Rekordnationalspieler noch verspottet.

Auch Mittelfeldspieler Benny Feilhaber wird von Klinsmann trotz guter Leistungen ausgebootet und kritisiert den Trainer daraufhin öffentlich, zu sehr auf vielversprechende Talente zu setzen und nicht auf Spieler, die dem Team sofort weiterhelfen.

Bis 2016 bleibt Klinsmann Trainer der amerikanischen Nationalmannschaft. Er gewinnt mit ihr den Gold Cup 2013, seinen einzigen Titel als Trainer, und schafft es bei der Weltmeisterschaft 2014 ins Achtelfinale.

Nach seiner Entlassung als US-Nationaltrainer hört man längere Zeit nichts vom ehemaligen DFB-Stürmer. Bis ihn Investor Lars Windhorst im Herbst 2019 bei Hertha BSC in den Aufsichtsrat beruft. Dort bleibt er aber nicht lange.

Denn nach der Entlassung von Ante Covic springt Klinsmann gleich als Trainer ein: Zu seinem Debüt bei Hertha BSC filmt er die Stadionatmosphäre medienwirksam mit seinem Handy. Und macht dabei ganz nebenbei Werbung für den Sportartikelhersteller Adidas, der in Konkurrenz zum Hertha-Ausrüster Nike steht.

Klinsmann will die Hertha in die Champions League bringen, fordert Spieler wie Götze, Özil oder Draxler. Auf dem Platz ist die Realität trister: Anfang Februar unterliegt die Hertha im Heimspiel gegen Mainz verdient mit 1:3. Wenige Tage später verkündet Klinsmann seinen Rücktritt von Hertha BSC – nicht etwa intern oder in einer Pressekonferenz, sondern ganz modern per Facebook-Livestream.

Wie konnte das nur passieren? Kurze Zeit nach Klinsmanns Entlassung tauchen bei der Hertha brisante Tagebücher auf. Darin spricht der Ex-Trainer von einer "Lügenkultur" im Verein und bewertet wenig schmeichelhaft jeden einzelnen Spieler des Kaders – unter anderem in Herthas Torhüter Thomas Kraft sieht Klinsmann "keinen Mehrwert".

Im Februar 2023 wird Jürgen Klinsmann neuer Nationaltrainer von Südkorea. "Von der ersten Sekunde war klar: Er will den Job", ließ Michael Müller, Technischer Direktor des südkoreanischen Verbandes KFA, bei der Vorstellung des Trainers verlauten. Klinsmann soll Südkorea beim Asien-Cup 2024 und bei der WM 2026 anführen.

Doch das Projekt Südkorea ist für Klinsmann nach einem Jahr bereits wieder beendet. Am 16. Februar 2024 gibt der Verband die Trennung von Klinsmann bekannt. Zuvor war Südkorea überraschend im Halbfinale des Asien-Cups gegen Jordanien gescheitert.

Der Verband spart bei der Verkündung der Kündigung nicht mit Kritik. "Wenn es darum geht, das Beste aus dem Nationalteam herauszuholen, die Spieler zu führen und hinsichtlich seiner Arbeitshaltung hat Klinsmann nicht unsere Erwartungen in ihn als Chefcoach der Nationalmannschaft erfüllt", heißt es.

Zudem werden Querelen innerhalb des Teams bekannt. Südkoreanische Medien hatten unter Berufung auf den Verband berichtet, dass es am Abend vor dem Asien-Cup-Halbfinale zu einem handfesten Streit unter den Spielern gekommen sei, bei dem sich Mannschaftskapitän Heung-Min Son (r.) einen Finger ausgerenkt habe. Klinsmann hatte unter anderem auch die Misstöne für die schwache Leistung des Teams verantwortlich gemacht.